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Kompaktlexikon der Biologie: Ruminantia

Ruminantia, Wiederkäuer, artenreichste Unterordnung der Paarhufer (Artiodactyla) mit fünf Fam., den Hirschferkeln (Tragulidae), den Hirschen (Cervidae), den Giraffen (Giraffidae), den Gabelhorntieren (Antilocapridae) und den Hornträgern (Bovidae). Gemeinsam ist allen R. die Fähigkeit zum Wiederkäuen. Hierbei wird etwa eine halbe bis eine Stunde nach Nahrungsaufnahme der im Pansen vorverdaute Speisebrei in den Mundraum zurückbefördert und dort durch mahlende Bewegung der Zähne weiter mechanisch zerkleinert. Zunächst wird die Speiseröhre (Ösophagus) durch Schlucken von Speichel schlüpfrig gemacht. Die Ansaugphase beginnt mit einem tiefen Atemzug bei geschlossener Glottis, sodass der Unterdruck im Brustraum erhöht und durch das Druckgefälle zwischen Pansen und Speiseröhre Nahrungsbrei aus dem Pansen gesaugt wird. Während der Auspressphase drückt eine von der Mitte des Ösophagus ausgehende Kontraktionswelle den pansenseitigen Inhalt der Speiseröhre zurück in den Pansen, den kopfseitigen vorwärts in die Mundhöhle (Druck-Saug-Vorgang). Dort wird Flüssigkeit ausgedrückt und wieder verschluckt. Nach kurzer Kaudauer (ca. eine Minute beim Rind) gelangt die Nahrungsportion wieder in den Pansen. Gesteuert werden die reflektorisch ablaufenden Prozesse durch ein Wiederkauzentrum in der Formatio reticularis des verlängerten Marks, dort, wo bei anderen Tieren das Brechzentrum lokalisiert ist (Erbrechen).

Der Magen der R. ist in vier Kammern gegliedert. Die drei ersten Kammern, die Vormagenkammern, besitzen ein verhorntes Epithel, dessen Oberfläche durch Zotten auf das mehr als Zwanzigfache vergrößert ist. Das verhornte Epithel ist eine Barriere für die in den Kammern lebenden symbiontischen Mikroorganismen, erlaubt aber die Resorption von durch diese gebildeten kurzkettigen Fettsäuren, die einen großen Teil des Energiebedarfs der Wiederkäuer decken können. Die Vormägen werden als Pansen (Rumen), Netzmagen (Reticulum) und Blättermagen (Omasum, Psalter) bezeichnet. Sie sind besiedelt von Mikroorganismen (Bakterien, Einzellern und Pilzen; Pansensymbiose), die sonst nur schwer verdauliche Futterbestandteile, insbesondere Cellulose, Pektine und Hemicellulose abbauen. Hierbei werden die bereits erwähnten kurzkettigen Fettsäuren gebildet. Darüber hinaus sind die Mikroorganismen eine wichtige Vitamin- und Proteinquelle für die Wiederkäuer. Die aufgenommene Nahrung gelangt zuerst in den Pansen- und Netzmagenbereich und wird durch zyklische Kontraktionen gründlich mit Speichel und den symbiontischen Mikroorganismen durchmischt. Durch periodisches Hochwürgen und erneutes Kauen wird die Nahrung für den mikrobiellen Abbau hinreichend zerkleinert. Erst danach gelangt der Nahrungsbrei nach erneutem Schlucken über den Pansen bzw. Netzmagen in den Blättermagen, in dem der Nahrung das Wasser entzogen wird. Vom Blättermagen aus gelangt der an Mikroorganismen reiche Nahrungsklumpen in den Hintermagen oder Labmagen (Abomasum). Dieser enthält Magendrüsen, die Salzsäure und Eiweiß spaltende Enzyme bilden. Hier findet nun eine enzymatische Verdauung statt, wie sie auch bei Säugetieren mit einfachem Magen vorhanden ist. ( vgl. Abb. )

Innerhalb der R. gibt es Unterschiede in Bezug auf den Umfang der Vormagenverdauung. Vor allem Grasfresser (z.B. Rinder) haben große Vormägen, in denen das Futter lange Zeit zurückgehalten wird und eine große Zahl Cellulose verdauender Mikroorganismen vorhanden ist. Tiere die Blätter, Früchte, Blüten usw. fressen (z.B. Rehe, Giraffen, Elche), die nährstoffreicher und dafür celluloseärmer sind, haben relativ kleine Vormägen mit geringerer Zahl an Cellulose spaltenden Bakterien, und auch die Verweilzeit der Nahrung in den Mägen ist kürzer. Daneben gibt es noch Mischformen zwischen diesen beiden Extremen.



Ruminantia: Das Verdauungssystem der Wiederkäuer am Beispiel der Kuh. Die Pfeile zeigen den Weg des von der Kuh gefressenen Grases, das zuerst in Pansen und Netzmagen gelangt, anschließend wieder hochgewürgt und erneut durchgekaut wird und dann in den Blättermagen gelangt, wo ihm Wasser entzogen wird. Im Labmagen schließlich wird der bakterienreiche Nahrungsklumpen durch die Enzyme der Kuh verdaut

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Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
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Dr. Daniel Dreesmann

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Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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