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Kompaktlexikon der Biologie: Spielverhalten

Spielverhalten, das Ausüben bestimmter eigenmotivierter Verhaltensweisen ohne erkennbaren Ernstbezug, d.h. diese Verhaltensweisen sind aus dem normalen Kontext herausgelöst. Zusammen mit Erkundungs- und Neugierverhalten ist das Spielen für eine normale Verhaltensentwicklung unerlässlich. Es kommt bei manchen Vögeln, den meisten höheren Säugetieren sowie dem Menschen vor. In der Jugendphase ist es besonders ausgeprägt, besteht aber auch oft noch bis ins Erwachsenenalter hinein. Nach der Übungshypothese ist das S. eine Form des Lernens, die es den Tieren ermöglicht Verhaltensweisen zu perfektionieren, die sie zu praktischen Zwecken benötigen.

In der Praxis gehen Erkunden, Neugier und Spielen fließend ineinander über: Ein Jungfuchs in „Spielstimmung“ streift z.B. ungezielt umher (spontanes Erkunden), bis er ein bisher unbekanntes Objekt (z.B. eine große Feder) sieht. Die Feder wird gezielt und aktiv erkundet, z.B. mit der Pfote gestoßen, es wird hineingebissen usw. (Neugierverhalten). Ergeben sich irgendwelche Reaktionen, kommt es zum eigentlichen Spielen: Die Feder fliegt ein Stück, wenn er sie mit der Pfote stößt, und der Fuchs wiederholt dies, „fängt“ die Feder, stößt sie wieder fort usw. Das Wechselspiel zwischen eigener Aktion und irgendeiner Reaktion der Umwelt bzw. des Partners sowie die Wiederholungstendenz gehören wesentlich zum Spielen. Nur durch die Wiederholung der eigenen Aktionen ist es möglich, zufällige von gesetzmäßigen Umwelteffekten zu unterscheiden und nützliche Information zu gewinnen. Nur die Wiederholung sichert auch die richtige Einübung eigener Bewegungskoordinationen. Die Art der im Spiel ausgeführten Aktionen ist dabei ungemein vielfältig und kann im Prinzip das gesamte Verhaltensrepertoire des Tieres einschließlich erlernten Verhaltens umfassen. Sämtliche Aktionen sind im Spiel jedoch einer speziellen Verhaltenssteuerung unterworfen, die zu erheblichen Unterschieden zum Ernstverhalten führt (Spielsteuerung). So gibt es eine eigene Spielappetenz sowie erlernte oder angeborene Signale als Spielaufforderung an Partner. So ist z.B. das Spielgesicht, ein spezielles Mimiksignal, das die Spielbereitschaft anzeigt. Es vermeidet Missverständnisse, indem es das folgende Verhalten als Spiel kennzeichnet. Ein Spielgesicht findet sich bei manchen Primaten und Raubtieren. Aber auch der Mensch, vor allem der Säugling und das Kleinkind, zeigen als Spielgesicht ein festes mimisches Programm, das während freudiger spielerischer Interaktionen, unterstützt durch heftige Körperbewegungen, eingesetzt wird ( vgl. Abb. ).

Es scheint auch eine eigene Spielbereitschaft zu geben, da die Bereitschaften, denen die im Spiel gezeigten Aktionen normalerweise zugeordnet sind, oft mit Sicherheit nicht aktiv sind. Diese Spielbereitschaft ist anderen, vitalen Bereitschaften nachgeordnet, d.h., das Spielen tritt dann auf, wenn weder Hunger noch Durst noch Flucht- bzw. Verteidigungsbereitschaften aktiv sind. Es füllt so in sehr sinnvoller Weise die nicht unmittelbar benötigten Aktivitätsperioden der Tiere aus, wird aber von chronischen Mangelzuständen, Ängsten usw. auch gehemmt. Die Spielsteuerung verändert die benutzten Aktionen in charakteristischer Weise: Aggressive Aktionen sind „entschärft“, z.B. lassen alle Katzen beim Kampfspiel die Krallen eingezogen. Hunde zeigen im Spiel selbst bei Nackenbiss (der im Ernstfall der Tötung des Gegners dient) eine Beißhemmung. Ohne diese Änderungen könnten Spielpartner nicht die Rolle von Beutetieren und Konkurrenten übernehmen und als Objekt spielerischen Jagens, Rivalenkampfes usw. dienen, die offenkundig ebenfalls eingeübt werden sollen. Auch die inneren Bedingungen des Verhaltens ändern sich im Spiel. So wird ein Verfolger im Ernstfall natürlich möglichst gemieden, im Spielen wird der Verfolger, wenn er aufgibt, eventuell wieder aufgesucht und zur erneuten Verfolgung aufgefordert. Auch können die Rollen von Jäger und Gejagtem sehr schnell gewechselt werden. Beide Beispiele zeigen, daß die angestrebte Endhandlung im Spielen selbst besteht und nicht, wie im Ernstfall, im Entkommen, Beute-Machen oder Ähnlichem.

Nur beim Menschen gibt es eine Spielkultur traditionellen Spielens für Kinder und für Erwachsene. Für den Menschen stellt die durch Spielen gewonnene Erfahrung ein unverzichtbares Stück seines gesamten nichtsozialen und sozialen Erfahrungserwerbs dar.



Spielverhalten: a Zwei Eipo-Kinder, die einander zum Spiel auffordern; indem sie sich mit offenen Armen und Spielgesicht begrüßen. b Auch Schimpansen zeigen das Spielgesicht, und sie verstehen damit auch den entsprechenden Ausdruck des Menschen, was zwischenartliches Spiel ermöglicht

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Redaktion:
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Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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