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Kompaktlexikon der Biologie: Biologie

Biologie, die Wissenschaft von den Lebewesen (von griech. Bios = Leben, logos = Kunde). Sie erforscht die Lebewesen als solche, die Teilsysteme (Subsysteme) aus denen diese bestehen, die Übersysteme (Supersysteme), die von Lebewesen gebildet werden und die biochemischen, biophysikalischen und kybernetischen Grundlagen aller Systeme sowie ihre emergenten Eigenschaften (Emergenz). Auf allen Systemebenen oder Organisationsstufen werden untersucht: Der materielle Aufbau der Systeme, die in ihnen ablaufenden Vorgänge, ihre ontogenetische und ihre phylogenetische Entwicklung, ihre Wechselwirkungen mit der Umwelt, ihre Lebensweisen und Anpassungen sowie die lebensspezifischen Gesetze. Dazu werden einerseits reduktionistische Untersuchungen durchgeführt, bei denen der Forscher so tut, „als ob“ es um die Aufklärung rein chemischer und physikalischer Strukturen und Funktionen ginge. So wird vor allem auf den Organisationsstufen der Moleküle, Organellen, Zellen, Gewebe und Organe gearbeitet. Andererseits werden komplexe, ganzheitliche Zusammenhänge untersucht, die erst auf den Organisationsstufen von Individuen, Populationen, Arten und Ökosystemen bis hin zur Biosphäre auftreten und die nicht nur rein physikalisch-chemisch erklärbar sind. Mit der Physik, der Chemie und den Geowissenschaften gehört die B. zu den Naturwissenschaften. Sie ist eine Erfahrungswissenschaft, d.h. ihre Methoden sind die Beobachtung, die Messung, das Experiment und der Vergleich.

Zwar gelten in der B. uneingeschränkt die Naturgesetze der Physik und Chemie, jedoch sind daraus nicht alle Eigenschaften von Lebewesen und nicht alle Gesetze und Regeln der B. ableitbar. Die B. untersucht also auch, in welcher Form und wieso Lebewesen Eigenschaften haben sowie Regeln unterliegen, die ontologisch völlig neu sind: Beispiele sind die Überwindung thermodynamischer Gesetze; Aufbau, Speicherung, Weitergabe und Umsetzung eines genetischen Programms; Entwicklung komplexerer Organisationsstufen; Individualität und Homöostase; Variabilität, Konkurrenz, natürliche Selektion, Anpassung und Zweckmäßigkeit; Reizbarkeit, Empfindung, Verhalten, Denken, Bewusstsein, Lernen. Dies alles sind spezifisch biologische Qualitäten, die es außerhalb der belebten Welt nicht gibt. Ihre Erforschung erfordert eigene Methoden, eigene Begriffe und eigene Theorien.

Biologie als eigenständige Wissenschaft gab es im Altertum nicht. Die Beschäftigung mit Lebewesen war entweder Teil der Naturgeschichte oder der Naturphilosophie, oder sie fiel der Medizin zu, wobei z.B. umfassende Kenntnisse über Heilpflanzen gewonnen wurden. Der Begriff B. wurde erst sehr spät von mehreren Autoren unabhängig voneinander eingeführt: K.F. Burdach (1800), J.B. de Lamarck (1802), G.R. Treviranus (1802). Die Unterteilung der heutigen B. ist voneinander getrennte Disziplinen mit klar umgrenzten Forschungsgegenständen und deren Benennung ist schwierig. Es gibt keine allgemein anerkannte systematische Einteilung der B. in Unterdisziplinen. Von E. Haeckel wurde die Unterteilung der B. in die Zweige Allgemeine B. und Spezielle B. vorgeschlagen, die sich bis heute gehalten hat.

Der Allgemeinen B. werden heute alle Disziplinen zugerechnet, die sich mit Phänomenen beschäftigen, die für viele oder alle Organismengruppen zutreffen. Allen Lebewesen gemeinsame, grundlegende Charakteristika sind u.a. ein aus Zellen aufgebauter Körper und darin ablaufende biochemische Reaktionen. Dem entspricht die Untergliederung der Allgemeinen B. in die Fächer Biophysik, Biochemie und Zellbiologie (Cytologie). Letztere geht in manchen Bereichen, etwa in der Ultrastrukturforschung, in die Molekularbiologie über, die generell alle in Lebewesen vorkommenden Moleküle untersucht und somit eine Teildisziplin der Biochemie ist. Die Histologie (Gewebelehre) erforscht die Eigenschaften von Verbänden gleichartig differenzierter Zellen, hat also engen Bezug zur Zellbiologie, aber auch zur Entwicklungsbiologie, in der die Gewebedifferenzierung in der Keimesentwicklung eine wichtige Rolle spielt, sowie zur Medizin. Die Genetik (Erbbiologie) erforscht die an Vererbungsvorgängen beteiligten Strukturen und Gesetzmäßigkeiten. Von der Physiologie werden Stoffwechselabläufe und deren biologische Funktionen untersucht; man kann sie in Bereiche unterteilen, die auf Organismengruppen spezialisiert sind (Pflanzenphysiologie, Tierphysiologie, Humanphysiologie), und in solche, die spezifische Prozesse an und in einzelnen Organen, in Organgruppen oder in Organismen bearbeiten (u.a. Neurophysiologie, Sinnesphysiologie). Die Biodynamik (ursprünglich von E. Haeckel geprägte Bez. für die Physiologie) ist eine Fachrichtung, die sich mit den Wirkungen physikalischer Einflüsse auf Organismen befasst. Sie untersucht z.B. die Auswirkungen von Beschleunigung, Schwerelosigkeit, Stoß und Erschütterung. Die Biophysik erforscht die strukturellen und funktionellen Eigenschaften der Organismen selbst in physikalischer Hinsicht. Das Fachgebiet Biomechanik analysiert organismische Konstruktionen unter mechanischen Gesichtspunkten, während die Bionik ein anwendungsorientiertes Fachgebiet ist, dessen Vertreter daran arbeiten, bei Lebewesen vorhandene physikalische Konstruktionen in der Technik anzuwenden. Die Biomechanik ist verknüpft mit der Morphologie, die die Körperstrukturen der Organismen vergleichend erforscht – untergliedert in die Anatomie für den inneren und die Eidonomie für den äußeren Bau (Gestalt). Das an morphologischen Strukturen begründete Gebiet der Homologieforschung liefert gemeinsam mit der Paläontologie, die Flora (Paläobotanik) und Fauna (Paläozoologie und Paläanthropologie) vergangener erdgeschichtlicher Epochen untersucht, sowie der Biogeografie (unterteilt in Pflanzengeografie und Tiergeografie), die die gegenwärtige und die historische Verbreitunge von Arten und die Ursachen für deren Artenwechsel erforscht, Daten für die Evolutionsbiologie, die alle Teilgebiete der B. einbezieht und durchdringt.

Zur Speziellen B. gehören alle Disziplinen, die sich auf die Erforschung einer systematischen Gruppe beschränken. Diese Disziplinen sind nach dem Taxon benannt, und untersuchen die morphologischen, biochemischen, physiologischen, genetischen und ökologischen Eingenschaften des jeweiligen Taxons und versuchen, dessen phylogenetische Herkunft und seine Verwandtschaftsverhältnisse zu klären und daraus einen Stammbaum und eine Systematik aufzustellen. Die älteste Unterteilung in taxonspezifische Fächer war diejenige in Botanik und Zoologie, später kamen die Mykologie und Mikrobiologie hinzu. Eine eigenes, übergreifendes Fachgebiet innerhalb der Zoologie ist die Ethologie (Verhaltensforschung), die tierisches und menschliches Verhalten und dessen Grundlagen untersucht. Ein anderes, als einziges auf einen Lebensraum bezogenes Fach ist die Meeresbiologie. Sie erforscht marine Organismen nach allen Kriterien der Allgemeinen und Speziellen B. Aufgrund der engen sachlichen Verflechtungen vieler Teilgebiete wurden in den letzten Jahren mehrere neue Disziplinen begründet, die innerhalb der Zoologie übergreifende Fragen bearbeiten, so die Ethoökologie, die Soziobiologie, die Populationsgenetik und die Funktionsmorphologie. Die Ergebnisse aller Teildisziplinen der Speziellen B. gehen in die Ordnungsgefüge von Systematik und Taxonomie ein und werden in der Evolutionsbiologie zu einem Gesamtbild des Ablaufs und der Ursachen der Entwicklung der Lebewesen im Laufe der Erdgeschichte verknüpft.

Einige heute eigenständige wissenschaftliche Disziplinen sind Spezialgebiete der B. oder Synthesen der B. mit anderen Wissenschaften und meist auf eine Nutzanwendung hin vertieft: An erster Stelle ist hier die Ökologie zu nennen – als umfassendster Versuch, fachübergreifend verschiedenste Teilgebiete der Biologie mit anderen, nichtbiologischen Disziplinen zu verschmelzen. Weitere Wissenschaften, die im Wesentlichen auf der B. aufbauen sind Medizin, Anthropologie, Agrarwissenschaft, Forstwissenschaft, Fischereiwissenschaft, Veterinärmedizin, Limnologie, Hydrologie.

Literatur: Campbell, N.A.: Biologie, Heidelberg 1997. – Jahn, I. (Hg.): Geschichte der Biologie, Heidelberg 32000. – Mayr, E.: Das ist Biologie. Die Wissenschaft des Lebens, Heidelberg 1999. – Sitte, P. (Hg).: Jahrhundertwissenschaft Biologie. Die großen Themen, München 1999. – Trost, M. u.a.: Studienführer Biologie. Diplom und Lehramt, Biologie, Biochemie, Biotechnologie, Heidelberg 21999.

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  • Die Autoren

Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
Dr. Barbara Dinkelaker
Dr. Daniel Dreesmann

Wissenschaftliche Fachberater:
Professor Dr. Helmut König, Institut für Mikrobiologie und Weinforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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