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Kompaktlexikon der Biologie: Eugenik

Eugenik, Erbgesundheitslehre, Erbhygiene, von Sir F. Galton eingeführter Begriff, der ein („pseudo“-)wissenschaftliches Konzept bezeichnet, das sich mit den Einflüssen beschäftigt, die die angeborenen Eigenschaften des Menschen verbessern bzw. sie zu ihrer besten Entfaltung bringen (sinngemäße Übersetzung der ursprünglichen Definition). Der eugenische Gedanke bezog sich zunächst auf die Verhinderung oder Verminderung genetisch bedingter Krankheiten (Erbkrankheiten) und verband sich bald mit dem Gedanken, die Fortpflanzung genetisch „Hochwertiger“ zu fördern (positive E.) und die der „Minderwertigen“ auszuschließen (negative E.). In Deutschland verband sich dieser Gedanke mit der Vorstellung von „minderwertigen und hochwertigen Rassen“ zur nationalsozialistischen Rassenhygiene. Nach 1945 wurde die E. wesentlich mit dem Konzept der „genetischen Bürde“ begründet, nach der ungünstig wirkende Mutationen sich im Genpool der Bevölkerung aufgrund von medizinischer Versorgung, Therapien genetisch bedingter Krankheiten und mutationsauslösender Faktoren angesammelt haben und weiter anreichern (H.J. Muller). Die aus diesem Konzept abgeleiteten eugenischen Maßnahmen (z.B. Verhinderung der Fortpflanzung von genetisch „belasteten“ Personen) sind unbrauchbar, weil viele genetisch mitbedingte Krankheiten, wie z.B. Schizophrenie, multifaktoriell verursacht sind. Selbst wenn das Wirkgefüge der beteiligten Gene erforscht wäre, erscheint es sicher, dass diese neben schädlichen auch zahlreiche vorteilhafte Wirkungen haben. Darüber hinaus trägt vermutlich jeder Mensch mindestens zwei bis drei Gene, die im homozygoten Zustand eine schwere rezessiv vererbliche Krankheit verursachen. Die Ursache dafür, dass einige rezessive Krankheiten relativ häufig sind, beteht in dem Schutz gegenüber Infektionskrankheiten, den diese im homozygoten Fall krankmachenden Gene den heterozygoten Trägern verleihen. Ein solcher Heterozygotenvorteil besteht z.B. beim Gen der Sichelzellenanämie in der Resistenz gegen schwere Malariainfektionen (Malaria), beim Gen für Mukoviszidose gegenüber Durchfallerkrankungen (Diarrhoe), beim Gen für das Tay-Sachs-Syndrom gegenüber Tuberkulose. Die so genannte genetische Bürde ist in diesen Fällen also das Ergebnis der Selektion, mit der die Bevölkerung genetisch an ihre Umwelt angepasst wurde. Bei Wegfall des Heterozygotenvorteils nähmen die entsprechenden Gene langsam ab. Selbst bei vollständiger Therapie der genetisch bedingten Krankheiten bliebe dann die von Eugenikern befürchtete Zunahme der krank machenden Gene aus, da keine Selektionsprozesse mehr stattfinden würden (Hardy-Weinberg-Gesetz). Merkmalsebene (Phänotyp) und Genebene (Genotyp) sind daher grundsätzlich zu unterscheiden. In der E. werden genetisch bedingte Krankheiten von der Merkmalsebene, zu der sie eigentlich gehören, auf die Genebene verlagert, und zwar ohne Rücksicht auf Genkombinationen und Umweltbedingungen.

Literatur: Kaupen-Haas, H., Rothmaler, Ch. (Hg): Naturwissenschaften und Eugenik, Frankfurt 1994. – Kröner, H.P.: Von der Rassenhygiene zur Humangenetik. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik nach dem Kriege, Stuttgart 1998. – Propping, P., Schott, H.: Wissenschaft auf Irrwegen. Biologismus – Rassenhygiene – Eugenik, Bonn 1992. – Walter, W.: Der Geist der Eugenik. Francis Galtons Wissenschaftsreligion in kultursoziologischer Perspektive, Bielefeld 1983. – Weingart, P., Bayertz, K., Kroll, J.: Rasse, Blut und Gene. Geschichte der Eugenik und Rassenhygiene in Deutschland, Frankfurt 1992.

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