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Kompaktlexikon der Biologie: Kiemen

Kiemen, Branchien, spezialisierte Atmungsorgane bei wasserlebenden Tieren. K. sind gut durchblutete respiratorische Ausstülpungen und Anhänge der verschiedensten Körperpartien bei Ringelwürmern (Annelida), Krebsen (Crustacea), Weichtieren (Mollusca), Amphibienlarven, Manteltieren (Tunicata) und Fischen. Zur Vergrößerung der Oberfläche sind die K. in unterschiedlichster Art und Weise entweder in zahlreiche nebeneinander stehende Fäden oder Einzelblättchen aufgeteilt (Fadenkiemen oder Filibranchien zahlreicher Muscheln und Krebse, Kiemenblätter der Knochenfische), reich gefiedert, wie z.B. die Kammkiemen (Ctenidien) vieler Meeresschnecken oder die äußeren Kiemen der Frosch- und Molchlarven, oder sie sind gitterartig durchbrochen, wie z.B. die Blattkiemen (Eulamellibranchien) vieler Muscheln oder der Kiemenkorb der Manteltiere.

Im einfachsten Fall sind die K. wirbelloser Tiere frei auf der Körperoberfläche angeordnet, so z.B. die äußeren K. der Borstenwürmer (Polychaeta), Seesterne (Asteroida) und Seeigel (Echinoida). ( vgl. Abb. ) Die K. der Weichtiere sind bei Muscheln (Bivalvia) und Schnecken (Gastropoda) mit Cilien besetzt und liegen in einer ebenfalls bewimperten Mantelgrube. Sie werden von einem gerichteten Wasserstrom durchspült. Insbesondere die stark vergrößerten K. (häufig besonders gestaltete Faden- oder durchbrochene Blattkiemen) der Muscheln dienen zusätzlich wie eine Fangreuse dem Transport von Nahrungsteilchen. Bei Kopffüßern (Cephalopoda) wird ein Atemstrom durch Muskelkontraktion der hinteren Mantelhöhlenwand hervorgerufen, der an den dort gelegenen K. vorbeiführt. Die Muskelkontraktion beim Auspressen des Wassers aus der Mantelhöhle wird gleichzeitig zur Fortbewegung genutzt (Rückstoßprinzip). Die Krebse haben K. in enger Verbindung mit den Spaltfüßen entwickelt, indem sich, besonders an den Laufbeinen, basale Anhänge (Epipodite) zu blattförmigen, fächerförmigen oder baumförmig verästelten Kiemenanhängen umgebildet haben. Die K. sind vor allem bei den höheren Krebsen in einer Kiemenhöhle untergebracht, die von einer seitlichen Hautduplikatur, dem Carapax, gebildet wird. Besonders gestaltete Anhänge (Scaphognathite) der Kieferfüße erzeugen in der Kiemenhöhle einen von hinten nach vorn verlaufenden Atemwasserstrom. Innerhalb der Gruppe der Krebse sind die verschiedensten Übergänge zur Luftatmung zu beobachten. Die K. bleiben dabei zunächst noch erhalten. Die Strandkrabbe (Carcinus maenas) hält ihre Kiemenkammer auch an Land mit Wasser gefüllt und erreicht durch kräftige Schläge mit dem Scaphognathiten eine Anreicherung des Wassers mit Sauerstoff. Berieselungsatmung ist eine andere Art, die K. an Land mit Sauerstoff zu versorgen. Dabei wird wiederum mit Hilfe des Scaphognathiten das Wasser aus der Kiemenhöhle ausgetrieben, fließt über Rinnen auf der Ventralseite entlang, wo es mit Sauerstoff angereichert wird, und wieder in die Kiemenhöhle zurück (z.B. Wollhandkrabbe, Eriocheir). Derartige Einrichtungen erlauben es den Krebsen, stundenlang an Land zu atmen. Ähnliche Wasserleitungssysteme, die bei manchen Arten völlig geschlossen sind und diese dann unabhängig von äußerer Wasserversorgung machen, gibt es bei den Landasseln. Sie vereinen die Funktionen Atmung, Osmoregulation und Exkretion.

Bei den sekundär zum Wasserleben übergegangenen Insektenlarven sind neben Tracheenkiemen mit Blut versorgte Körperausstülpungen als echte K. entwickelt, so z.B. bei den Eintagsfliegen- und Köcherfliegenlarven.

Die K. der Fische werden durch blattförmige Ausstülpungen des die Kiemenbögen umgebenden Entoderms gebildet (Kiemenblätter); senkrecht zu den Kiemenblättern ist das Entoderm zu zahlreichen Duplikaturen gefaltet (Kiemenlamellen), innerhalb derer feinste Blutgefäße (Arteriolen) in Form eines Wundernetzes (Rete mirabile) angeordnet sind. Wasserströmung und Blutströmung verlaufen im Gegenstrom und ermöglichen so eine effektivere Ausnutzung des im Wasser vorhandenen Sauerstoffs (Gegenstromaustausch). ( vgl. Abb. ) Auch bei den Fischen dienen die K. nicht nur der Atmung, sondern auch der Exkretion. Bei den Knochenfischen (Osteichthyes) ist der Kiemenraum von einem Deckel (Operculum) umschlossen, der schwanzwärts in einer dünne, elastische Membran ausläuft (Branchiostegalmembran). Knorpelfische (Chondrichthyes) besitzen nach außen offene Kiemenspalten. Während der Ventilation der K. wirken Druck- und Pumpmechanismen in harmonischer Weise zusammen. Schnelle Schwimmer, wie z.B. Makrelen, haben die Fähigkeit zur aktiven Ventilation mehr oder weniger stark verloren; sie schwimmen mit offenem Mund und erzeugen auf diese Weise den notwendigen Wasserstrom an den Kiemenblättern.



Kiemen: a Die Kiemen eines Seesterns sind einfache fingerförmige Hautausstülpungen, wobei der Hohlraum jeder Kieme eine Ausstülpung der sekundären Leibeshöhle (Coelom) ist. b Bei den Polychaeta ist jede der paarigen Kiemen Teil eines Parapodiums. c Die Kiemenblätter der Muscheln hängen in der Schale wie Vorhänge herab. Das Atemwasser wird durch Wimpernfelder über die Kiemenoberfläche getrieben. d Bei decapoden Krebsen sind die Kiemen in einer Kiemenhöhle untergebracht, die vom Carapax gebildet wird. Ein spezieller Anhang der zweiten Maxille, der Scaphognathit, treibt das Wasser durch die Kiemenhöhle



Kiemen: Schematische Darstellung der Anatomie von Fisch-Kiemen zur Verdeutlichung des Gegenstromaustausches an Kiemenblättchen (b) und sekundären Lamellen (c), der eine effektive Ausnutzung des im Wasser vorhandenen Sauerstoffs ermöglicht

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