Direkt zum Inhalt

News: Heilsames Gift

Ein Protein aus dem Gift der Mokassinschlange verlangsamt dramatisch das Wachstum von Tumoren in der Brust, indem es die Adhäsion und Invasion von Tumorzellen verhindert. Außerdem hemmt es die Neubildung von Blutgefäßen im Tumor. Allerdings tötet das Protein die Krebszellen nicht ab.
Tumore brauchen Blutgefäße zur Versorgung mit Nährstoffen, erklärt Francis Markland, Professor für Biochemie an der zur University of Southern California gehörenden School of Medicine. Auf dem Treffen der American Chemical Society in Boston, das am 27. August 1998 zu Ende ging, stellte er die Ergebnisse seiner Untersuchungen mit dem Protein Contortrostatin (CN) vor, das er aus Schlangengift gewonnen hatte.

Marklands Arbeitsgruppe implantierte Mäusen menschliche Brustkrebszellen. Bei Tieren, die mit CN behandelt wurden, stellten die Forscher ein um 60 bis 70 Prozent langsameres Tumorwachstum fest und eine um 90 Prozent reduzierte Metastasenbildung in der Lunge, verglichen mit der Kontrollgruppe, die kein Schlangenprotein bekam. "Die Metastasenbildung ist beim Brustkrebs ein großes Problem", sagt Markland. Wenn bei Frauen Krebs diagnostiziert wird, haben sich bei den meisten bereits Metastasen gebildet – der Krebs hat also bereits andere Stellen im Körper befallen, wie zum Beispiel die Lymphknoten, das Gehirn oder die Knochen.

CN gehört zu einer Proteinklasse, die als Disintegrine bezeichnet wird. Ihr Name deutet schon an, daß sie die Funktion der sogenannten Integrine stören. Diese Proteine sind auf der Oberfläche von Zellen zu finden und vermitteln deren Zusammenhalt untereinander und mit der extrazellulären Matrix. CN blockiert die Ausbreitung der Tumorzellen so effektiv, weil es deren Adhäsion an die gesunden Zellen im umliegenden Gewebe behindert. Noch nicht vollständig ausgewertete Versuche mit anderen Krebsarten lassen vermuten, daß CN auch deren Tumorwachstum unterdrücken kann.

Den experimentellen Resultaten zufolge wirkt CN aber nicht zelltötend, sondern lediglich cytostatisch, d.h. es überführt die Zellen in einen Zustand vermindeter Lebensfunktionen, der über lange Zeit aufrechterhalten werden kann. Dies hat den Vorteil, daß potentielle Nebenwirkungen cytotoxischer (zellabtötender) Medikamente vermieden werden. Es bedeutet aber auch, daß eine Behandlung immer wieder Zufuhr von CN erfordern würde, in der Hoffnung, das der Tumor irgendwann so klein ist, daß die Therapie zurückgefahren oder ganz eingestellt werden könnte. Klinische Versuche zur Behandlung von Brustkrebs bei Frauen mit CN könnten "in nicht allzu ferner Zukunft beginnen", sagt Markland.

Siehe auch

  • Spektrum der Wissenschaft 1/98, Seite 86
    "Integrine"
    (nur für Heft-Abonnenten online zugänglich)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.