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News: Schneller als Licht?

Selbst Naturwissenschaften haben ihre heiligen Grundsätze. So darf sich zum Beispiel nichts schneller fortbewegen als das Licht. Doch Ketzer behaupten, das sei durchaus möglich, solange dabei keine Information transportiert wird. In Versuchen mit hochabsorbierenden Stoffen konnten sie ihre Voraussagen bereits über extrem kurze Strecken nachweisen. Ein neues Experiment demonstriert anscheinend, dass bestimmte Abschnitte von Lichtpulsen auch im freien Raum überlichtschnell sein können. Bis zu Distanzen von etwa einem Meter.
Es ist nicht ganz so einfach, anzugeben, wie schnell eine Welle eigentlich ist. Genaugenommen erstreckt sich eine harmonische Welle nämlich unendlich weit in die Vergangenheit und in die Zukunft – sie war schon immer da und wird niemals aufhören. Bei den Lichtpulsen, mit denen Physiker arbeiten, haben wir es dagegen mit Wellenpaketen zu tun, die sich aus einer Vielzahl von überlagerten Einzelwellen mit unterschiedlichen Frequenzen zusammensetzen. So ein Paket hat einen Anfang und ein Ende und bewegt sich mit der so genannten Gruppengeschwindigkeit fort. Davon zu unterscheiden ist die Phasengeschwindigkeit, bei der es sich um die durchschnittliche Geschwindigkeit der Einzelwellen einer Frequenz handelt. Sie kann unter Umständen auch größer oder kleiner als die Gruppengeschwindigkeit sein. Zur Vorstellung hilft vielleicht ein Vergleich mit Wellen auf einer Wasseroberfläche: Die Geschwindigkeiten der Welle und der Wassermoleküle sind meistens unterschiedlich. Bei starkem Wind kann die Welle sich sogar gegen die Fließrichtung des Wassers bewegen.

Nach den Lehrbüchern der Physik kann in bestimmten Medien die Phasengeschwindigkeit in Lichtpulsen durchaus größer sein als die Lichtgeschwindigkeit c. Die Gruppengeschwindigkeit soll dagegen diese Grenze nicht überschreiten können. Und da sie der Träger von Information ist, gibt es keine Konflikte mit der Relativitätstheorie. Danach könnte nämlich ein Beobachter in einem schnell bewegten System ansonsten ein überlichtschnelles Signal ankommen sehen, bevor es abgeschickt wurde. Dieser Blick in die Zukunft wäre ein krasser Verstoß gegen das Kausalitätsprinzip, wonach immer erst die Ursache auftritt und dann die Wirkung.

"Es ist nicht wahr, was in den Lehrbüchern steht", meint nun Raymond Chaio von der University of California in Berkeley. Denn Wissenschaftler haben durchaus schon experimentell Gruppengeschwindigkeiten gemessen, die größer als c waren. In den meisten Versuchen schickten sie den Lichtpuls dazu durch hochabsorbierende Substanzen. Hatte er zu Beginn die Form einer Gauß-Glocke, so wurde er in dem Material "umgeformt": Der mittlere Teil wurde stärker abgeschwächt als der vordere Abschnitt, so dass er mit stark verringerter Intensität austrat und etwa wie ein der Länge nach halbierter Tropfen geformt war, dessen Maximum nun im vorderen Bereich lag. Dabei hat sich jedoch kein Teil des Pulses überlichtschnell bewegt, sagt Chiao.

Der Aufbau für einen neuen Versuch, den ein Team unter der Leitung von Anedio Ranfagni vom Italien National Research Council in Finenze durchgeführt hat, sieht recht harmlos aus: Die Forscher schickten Mikrowellen von 3,5 cm Wellenlänge durch eine enge, ringförmige Öffnung auf einen großen, fokussierenden Spiegel. Dieser reflektierte den Strahl hinter die Quelle zurück. Die Wissenschaftler modulierten die Mikrowellen mit Rechteckpulsen und bestimmten deren Ankunftszeiten auf der Strahlachse in Abständen zwischen 30 und 140 cm hinter der Quelle. Ihren Diagrammen zufolge, auf denen sie die Laufzeit gegen die Entfernung aufgetragen hatten, wanderten die Mikrowellen scheinbar mit 105 bis 107 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Ab einer Distanz von einem Meter näherte sich ihre Geschwindigkeit jedoch wieder c (Physical Review Letters vom 22. Mai 2000).

Aephraim Steinberg von der University of Toronto hält dieses Verhalten für sonderbar. Er meint, dass Teile des Lichtes einfach einen Umweg abseits der Strahlachse genommen hätten. "Die Welle, die bei 60 cm gemessen wurde, war schon auf dem Weg, eine 'Abkürzung' zu nehmen, als die Strahlung gerade bei 30 cm detektiert wurde", sagt er. Die Umformung der Pulse erfolgte diesmal nicht auf Grund spezieller Eigenschaften des Mediums, sondern durch den Schlitz und den Spiegel.

Ranfagni akzeptiert diese Interpretation Steinbergs jedoch nicht. Allerdings räumt er ein, dass auch weiterhin "ein Schatten des Zweifels" über der Existenz überlichtschneller Signale liege. Es fehlen mal wieder weitere Versuche, damit die Wissenschaftler schließlich ein hieb- und stichfestes Modell aufstellen können, das die Ausbreitung von Licht unter allen denkbaren Umständen erklärt. Mal sehen, wie schnell das geht.

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