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News: Vom Rad zur Hölle

Die Geschichte der Menschheit ist voller kurioser Ideen und Erkenntnisse, Erfindungen und Misserfolge. In den Lehrbüchern landet nur, was die Wissenschaft weiterbrachte. Wo bleibt die Forschung, die die Welt nicht braucht? Im Mülleimer. Oder in den Annals of Improbable Research.
Aufs äußerste gespannt blickt die Welt derzeit nach Stockholm. Welche herausragenden wissenschaftlichen Erkenntnisse konnten dieses Jahr die Gunst des Nobelpreiskomitees gewinnen? Welche geistigen Höhenflüge waren bahnbrechend für den Fortschritt der Forschung?

Wer lobt da noch die vielen Denker, die sich mit den kleinen Dingen des Lebens, womöglich gar den alltäglichen Widrigkeiten beschäftigen. Oder all die Erkenntnisse zu Phänomenen, über die wir immer wieder stolpern – wer würdigt die Menschen, die uns endlich eine Antwort auf diese wiederkehrenden Fragen geben, obwohl wir sie womöglich gar nicht haben wollen. Niemand? Doch! Die Annals of Improbable Research verleihen Jahr für Jahr die Ig-Nobelpreise für Forschung, "die nicht wiederholt werden kann oder sollte".

Dabei beschäftigen sich die jeweiligen Forscher und Wissenshungrigen durchaus mit hartnäckigen Fragestellungen. Denken Sie nur an das klassische Problem bei jeder morgendlichen Dusche – finden Sie es nicht auch ausgesprochen störend, wenn sich der vor Überschwemmung schützende Vorhang als überaus anhänglich erweist? Dank David Schmidt von der University of Massachusetts wissen wir nun wenigstens theoretisch, was dahinter steckt. Der Ig-Nobelpreis für Physik geht dafür an ihn.

Nur – bei diesem Aspekt der Körperpflege bleibt es nicht. Zahlreiche Menschen unter uns drohen zu vereinsamen, da sie an einem gravierenden, sehr kontakterschwerenden Problem leiden: Blähungen. Was tun gegen die üblen Gase, die jegliche Situation verpesten können? Under-Ease heißt die Lösung, Windelhöschen mit Aktivkohlefilter, sogar waschmaschinengeeignet. Für die duftige Idee erhält Buck Weimer in Pueblo, Colorado, den Ig-Nobelpreis für Biologie – na, schließlich geht es ja um Stoffwechselvorgänge.

Wer sich auf dem anschließenden Weg zur Arbeit schon immer gefragt hat, woher eigentlich all die reizenden Kinderchen um einen herum ihre ansteckende Fröhlichkeit hernehmen, der sollte einmal in der mit dem Ig-Nobelpreis für Psychologie gewürdigten Studie von Lawrence Sherman der Miami University in Ohio blättern. Er beschäftigte sich mit den ökologischen Faktoren für Fröhlichkeit in kleinen Gruppen von Vorschulkindern [1]. Pardon, Sie sind Morgenmuffel? Nun, vielleicht finden Sie dann Hinweise, wie Sie dem Lärm auf versteckten Pfaden im Stadtdschungel entkommen können.

Eine Abenteuerreise sollte das allerdings nicht werden. Die verheißt Ihnen eher Stalin World, ein Vergnügungspark im kleinen Städtchen Grutas in Litauen. Das Geschäft mit frischen und eingesalzenen Pilzen war Vilniumas Malinauskas wohl zu langweilig geworden, da versuchte er es mit einer Mischung aus Disneyland und dem Schrecken stalinistischer Gefängnisse. Umgeben von Stacheldraht und Wachtürmen flanieren die Besucher zwischen abgetakelten Statuen von Stalin, Lenin und anderen kommunistischen Berühmtheiten. Weitere Pläne sehen Züge mit Viehwaggons vor, in denen die Angereisten herumgefahren werden sollen – um das wahre Gefühl einer Deportation zu vermitteln, meint Malinauskas. Vielen bleibt dabei das Lachen im Halse stecken, wen wundert's. Für andere ist es nur eine etwas ausgefallene Methode, die Vergangenheit zu bewältigen. Ein klarer Fall für den Ig-Nobelpreis für Frieden.

Diese Vorstufe zur Hölle kann eigentlich nur noch von der wahren Teufelsheimat übertroffen werden. Glücklicherweise wissen wir nun endlich, wo diese liegt – in einem Schwarzen Loch! Denn wie Dr. Jack und Rexella Van Impe von den Jack Van Impe Ministeries in Rochester Hills zweifelsfrei zeigen können, erfüllen diese gierigen Müllschlucker im All sämtliche Kriterien, die sie zur Hölle qualifizieren. Gut, wer die beiden namhaften Forscher gegen geringes Entgelt im Fernsehen dagegen hat predigen hören! Nun kann ihm ja nichts mehr passieren. Und der höllischen Erkenntnis gebührt ein Ig-Nobelpreis für Astrophysik.

Doch manche Menschen tröstet offenbar selbst die Aussicht auf Auferstehung nicht, betrachten sie alle Jahre wieder ihren Steuerbescheid. Um Steuern zu sparen, verschieben sie gar ihren Tod nach hinten, haben Wojciech Kopczuk von der University of British Columbia und Joel Slemrod von der University of Michigan herausgefunden [2]. Wie diejenigen das anstellen, darüber berichten die Wirtschaftswissenschaftler und Träger des Ig-Nobelpreises für Ökonomie allerdings nicht.

Solange ihnen dabei nur nicht der Himmel auf den Kopf fällt, möchte man meinen. Oder eine Kokosnuss. Schließlich erzeugen diese braunen, haarigen Gebilde eindrucksvolle Schäden, wie Peter Barss von der McGill University umfassend untersucht hat [3]. Diese bahnbrechende Erkenntnis wird mit dem Ig-Nobelpreis für Medizin geehrt.

Wer einen klaren Kopf behält, sollte eigentlich gut durchs Leben kommen, wäre da nicht die Grammatik. Schon lange kämpfen im Englischen die Menschen mit Mehrzahl und Genitiv – heißt es nun the dog's bones oder the dogs bones? Oder gar the dogs' bones? Und selbst im Deutschen darf aus Andreas Blumenladen nun Andrea's Blumenladen werden. Man muss ja schließlich wissen, wovon man redet. Auch John Richards aus Boston in Großbritannien kann davon ein Lied singen. Als erfahrener Journalist musste er ständig in den Texten von Kollegen Apostrophen nachfüttern. Entnervt gründete er daraufhin die Apostrophe Protection Society, um das vernachlässigte Zeichen zu schützen und wieder bekannter zu machen. Wer also wieder einmal nicht weiß, Strichlein oder nicht, dort findet er eine Antwort, womöglich schneller als im Lexikon. Daher keine Frage – der Ig-Nobelpreis für Literatur gebührt ihm.

Wer beim Grübeln erst einmal geistesabwesend in der Nase bohrt, muss sich eigentlich gar nicht schämen. Er ist in guter Gesellschaft. Denn der Studie von Chittaranjan Andrade und B. S. Srihari vom National Institute of Mental Health and Neurosciences in Bangalore zufolge ist diese (Un)Sitte viel weiter verbreitet, als man so annimmt [4]. Immerhin 17 Prozent von 200 Befragten berichten hier von einem ernsthaften Problem, und 7,6 Prozent bohrten mehr als 20 Mal am Tag in ihren Nasengängen herum. Nicht ohne Folgen, immerhin ein Viertel der Betroffenen litt gelegentlich unter Nasenbluten. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, dass Forscher sich diesem Phänomen der Rhinotillexomanie einmal genauer widmen sollten, prämierte das Komitee diese Arbeit mit dem Ig-Nobelpreis für öffentliches Gesundheitswesen.

Wann die Menschheit begann, in der Nase zu bohren, ist nicht überliefert. Wann allerdings sie das Rad erfand, wissen wir ganz genau: 2001. Doch, wirklich. Denn erst damals bekamen diese rollenden Konstruktionen auf unseren Straßen ihren offiziellen Status in Form eines Innovation Patent der australischen Behörden. Der freiberufliche Patentanwalt John Keogh reichte eine Schrift über ein "rundes Transporthilfsmittel" ein und bekam innerhalb weniger Monate seine Bestätigung. Die wissenschaftliche Anerkennung folgt nun in Form des Ig-Nobelpreises für Technik. Es braucht eben einen klugen Kopf, das Rad neu zu erfinden.

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