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News: Die Macht der Einzelgänger

Wenn jeder nur auf seinen persönlichen Gewinn aus ist, dann haben strategische Kooperationen keine Zukunft. Es sei denn, ein paar risikoscheue Einzelgänger verabschieden sich vom kapitalistischen Treiben.
Spiel um das öffentliche Gut
Stellen Sie sich vor, Ihr Chef macht Ihnen und Ihren Kollegen ein großzügiges Angebot: Anstelle einer Gehaltserhöhung von mickrigen 2,5 Prozent lockt er mit einem monatlichen Bonus von bis zu hundert Prozent. Dabei funktioniert sein innovatives Vergütungssystem etwa wie folgt: Sie bekommen wie gewohnt monatlich Ihren Lohn ausgezahlt – der Einfachheit halber nehmen wir an, es wären 1000 Euro wie bei allen anderen Belegschaftsmitgliedern. Nun haben Sie die Möglichkeit, entweder das Geld einzustreichen oder aber einen beliebigen Teil davon in einen gemeinsamen Topf mit Ihren Kollegen zu stecken. Haben alle Ihre Entscheidung getroffen, was – wie bei Gehaltsvereinbarungen üblich – vertraulich geschieht, dann zählt Ihr Chef das Geld im Topf und legt noch einmal den gleichen Betrag aus eigener Tasche hinzu. Anschließend wird die Summe auf alle Mitarbeiter aufgeteilt.

Wenn wir annehmen, dass die gesamte Belegschaft risikofreudig ihr ganzes Salär in den gemeinsamen Topf geworfen hat, dann entfielen auf jeden Mitarbeiter nach Verdoppelung und Auszahlung 2000 Euro – der Maximalgewinn, den die Gemeinschaft erwirtschaften kann. Wer würde angesichts solcher Aussichten nicht gleich einen Fünf-Jahres-Vertrag unterschreiben?

Doch Vorsicht, unterschätzen Sie nicht Ihre Kollegen! Denn irgendein gewiefter Mitarbeiter wird sich bald reiflich überlegen, warum er seine 1000 Euro oder auch nur einen Teil davon für das Gemeinwohl spenden soll, schließlich bekommt er ja auch ohne eigenen Beitrag den gleichen Anteil wie alle anderen. Ein Rechenbeispiel: Neun Kollegen geben den Maximalbeitrag von 1000 Euro in den Topf, einer behält sein Geld jedoch lieber für sich. Nachdem der Chef seinerseits 9000 Euro spendiert hat, erhält also jeder der zehn Mitarbeiter 1800 Euro. Und damit kann sich der Abtrünnige insgesamt sogar 2800 Euro in die Tasche stecken.

Ein solches Geschäft spricht sich natürlich herum, sodass schnell Trittbrettfahrer auf den Plan kommen und sich ebenfalls dem Gemeinschaftsprinzip entsagen. Das Resultat: zehn Kollegen, die nichts mehr in den gemeinsamen Topf einzahlen und somit auch keinen Bonus mehr vom Chef erhalten – für fünf Jahre, wenn sie nicht aufgepasst haben.

Eigentlich sollen solche einfachen Modelle wie dieses Spiel um das öffentliche Gut (public goods game, PGG) erklären, warum in unserer Gesellschaft oder im Tierreich spontan Kooperationen entstehen. Offensichtlich fehlt dieser Version des Spieles jedoch noch etwas Entscheidendes, was für Ausgeglichenheit sorgt. Denn wie sich beweisen lässt, ist der Abtrünnige stets dem Kooperateur gegenüber im Vorteil. Neben einigen Modellen, die versuchen, durch Bestrafung oder Belohnung der Ausbeutung entgegenzuwirken, stellten Christoph Hauert – damals tätig an der Universität Wien – und seine Kollegen eine bestechend einfache Lösung vor, die zudem vollkommen anonym funktioniert [1].

Nach ihrer Idee läuft das gesamte Spiel freiwillig ab (voluntary public goods game, VPGG): Das heißt, jeder Spieler, kann zu jedem Zeitpunkt aussteigen und bezieht anstelle des spekulativen Gewinns eine kleine aber immerhin feste Zuwendung – etwa die 2,5 Prozent Gehaltserhöhung. Wie sich in Simulationen zeigte, sorgen diese risikoscheuen Einzelgänger tatsächlich für so viel Dynamik, dass das Spiel nicht in einer Sackgasse endet. So mag zwar für die Kooperateure zunächst ein deutlich größerer Gewinn herausspringen – die Einzelgänger müssten sich in diesem Beispiel ja mit 1025 Euro begnügen – aber spätestens, wenn die Gruppe nur noch aus diesen Schmarotzern besteht, fährt der Einzelgänger deutlich besser.

Von Kooperation, zur Zahlungsverweigerung bis hin zum Ausstieg ist also der Weg vorgezeichnet. Doch damit ist das Spiel nicht festgefahren, denn ein Umfeld aus lauter Einzelgängern bietet wiederum die Chance, Kooperation aufkeimen zu lassen. Der Kreislauf ist also geschlossen und die Figuren pendeln in ihrer Strategie zwischen den drei Möglichkeiten hin und her. Wie Hauert und sein Team herausfanden, sicherten die Einzelgänger den Kooperateuren für ein breites Spektrum von Spielparametern das Überleben.

Nun wandte sich Hauert zusammen mit György Szabó vom Research Institute for Technical Physics and Materials Science in Budapest erneut dem Kooperationsszenario zu [2]. Dieses Mal untersuchten die Forscher jedoch ein räumlich ausgedehntes Modell des Spiels. Dabei saß jeweils ein Akteur auf einem festen Punkt eines quadratischen Gitters wie eine Figur auf einem Schachbrett, wobei er nur mit den vier nächsten Nachbarn eine Spielergruppe bildete. Per Zufall wurden dann und wann Spieler ausgewählt, die ihre Strategie anhand des Gewinns ihres Nachbarn neu "überdenken" konnten. Stellte sich so für einen Teilnehmer heraus, dass der Kollege zur Linken mit seiner Verweigerungstaktik ständig mehr Geld einstrich, als er selbst, dann konnte er dessen Strategie übernehmen. Die Wahrscheinlichkeit, mit der diese Anpassung erfolgte, bestimmten dabei weitere Parameter, die etwa irrationales Verhalten oder die Überwindung zum Strategiewechsel beschrieben.

Wie sich herausstellte, blieb die Simulation für einen weiten Bereich realistischer Parameter stabil – keine großen Änderungen traten auf: Bei einem ersten Test im Rahmen eines normalen PGG, standen also tatsächlich bald nur noch Schmarotzer auf dem Feld. War jedoch die Aussicht auf Gewinn genügend hoch – wenn der Topf beispielsweise vervierfacht oder verfünffacht wurde –, dann kamen auch die Kooperateure zum Zug.

Aber das eigentliche Interesse galt dem freiwilligen Spiel (VPGG), und hier ließen sich tatsächlich über einen weiten Bereich des Topf-Multiplikators alle Strategien beobachten. Dabei war das Szenario einem ständigen Wechsel unterworfen: Gab es beispielsweise einen großen zusammenhängenden Bereich von Kooperateuren, dann tauchte in deren Mitte auf einmal ein Abtrünniger auf und scharte schnell Gleichgesinnte um sich. Andererseits fraß sich eine Front von Einzelgängern in Gebiete von Schmarotzern vor, wobei die Einzelgänger schließlich zu Kooperateuren konvertierten. Die unterschiedlichen Strategien breiteten sich also wellenartig im Raum aus.

Diese Dynamik des Spiels erinnert stark an ein Modell aus der Physik – das so genannte Ising-Modell, das Magnetismus in Festkörpern nachempfindet. Wie bei diesem Modell treten auch beim Kooperationsspiel charakteristische Phasenübergänge auf, das heißt, je nach vorgegebenen Parametern – beispielsweise der Spendierlaune des Chefs – verändert sich das strategische Verhalten der Gemeinschaft schlagartig.

So könnte vielleicht die Festkörperphysik neue Impulse für die Spieltheorie liefern und letztlich zu einem besseren Verständnis sozialen Verhaltens führen. Doch Hauert ergänzt: "Menschen sind komplizierte Geschöpfe." Und das könnte die konkrete Anwendung der Ergebnisse begrenzen – also vorerst keine Spielchen mit Ihrem Chef, zumindest nicht um Ihr Gehalt.

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