Direkt zum Inhalt

Sportpsychologie: Die Angst des Torwarts vor den Rothemden

Gemeinhin gilt der Ausspruch "Ein Mann sieht Rot" als Ausdruck Adrenalin geschwängerter Erregung, die in ihrer Eruptivität meist zu keinem guten Ausgang führt. Dies trifft allerdings erst recht zu, wenn es sich bei dem Anblick um ein gegnerisches Trikot in jener Farbe handelt: Dann herrscht Niederlagenalarmstufe "Rot".
Letztes Wochenende war es wieder soweit: Die einst als Bullen titulierten, "Mir-san-mir"-Apologeten aus dem Süden der Republik nahmen zum nicht zu lindernden Leid von königsblauen Schalker Knappen, schwarz-gelben Borussen oder schwarz-roten Anhängern des Nürnberger "Clubs" ihren 19. deutschen Meistertitel entgegen. Die gegenwärtige Freude der "Roten" Münchens könnte zudem auch nächstes Wochenende noch anhalten, wenn die "Blauen" vom TSV 1860 ins Gras beißen müssen und an ihrer Stelle die Frankfurter Eintracht in die Walhalla des deutschen Fußballs einziehen darf.

Woher kommt aber diese Dominanz des von den Fans meist geliebten wie gehassten FC Bayern München? Warum mehren ausgerechnet die Edel-Kicker von der Säbener Straße (vulgo: FC Bayern München) den Ruhm der bayerischen Landeshauptstadt und nicht jene lokalrivalisierenden Kämpfer von Giesings Höhen (dem TSV 1860 München)? Die einen behaupten, es läge am Geld einer scheinbar wie von Geisterhand immer gut gefüllten Portokasse, die es dem Verein erlaubt, seinen Konkurrenten stets die besten Spieler abspenstig zu machen. Andere führen es auf eine Verschwörung der Fußballgötter zurück, die sich immer wieder im oft zitierten und verfluchten Bayern-Dusel manifestiert, der die Gegner demoralisiert und schließlich als ewige Zweite so devastiert, dass sie sich resigniert der roten Vorherrschaft beugen und in das graue Einerlei des Liga-Mittelmaßes oder gar die Niederungen der Zweitklassigkeit einreihen: Bayer Leverkusen und 1860 lassen schön grüßen.

Moneten, Macht und Magie sind aber vielleicht nur die eine Seite der Erfolgsmedaille, die Farbwahl der Trikots könnte eine ebenfalls entscheidende Rolle spielen, wie jetzt eine Studie von Russell Hill und Robert Barton von der Universität in Durham überraschend erbrachte [1]. Die beiden Wissenschaftler untersuchten, ob und wie die Tönung der Sportbekleidung von Teilnehmern verschiedener Kampfsportarten wie Boxen oder Ringen während der Olympischen Spiele in Athen 2004 einen Einfluss auf Sieg oder Niederlage hatte. Den beteiligten Kombattanten wird in der Regel ein blauer oder roter Dress zugelost – und nach dem Wahrscheinlichkeitsprinzip müssten sich anschließend Sieger und Besiegter mehr oder weniger gleichmäßig auf beide Farben verteilen.

Weit gefehlt: In allen vier untersuchten Wettbewerben gewannen in den meisten Gewichtsklassen und der überwiegend Anzahl der Kampfrunden die rotgekleideten Athleten gegen ihre blauen Gegner. Natürlich ist diese Erfolgsgeschichte erst einmal abhängig vom Können eines Sportlers: Ein technisch oder muskulär minderbemittelter Kämpfer in Rot gewinnt dennoch kaum einmal eine Auseinandersetzung gegen einen stärkeren Kontrahenten in Blau. Die Farbe der Kleidung spielt aber anscheinend bei Kämpfen unter Gleichen das entscheidende Zünglein an der Waage: Gerade in diesen Fällen wiesen die Forscher einen signifikanten Vorteil für die Roten nach.

Was löst allerdings diesen ganz besonderen Effekt aus? Schon lange ist aus dem Tierreich bekannt, dass Rotfärbung oft ein von Testosteron abhängiges, wichtiges Signal im sexuellen Auswahlverfahren ist: Intensives Rot macht attraktiv und schüchtert Gegner ein. Stichlingen, deren Bauch im Experiment nachgerötet wurde, sind dominanter und haben größeren Erfolg bei Frauen. Auch bei Menschen symbolisiert diese Farbe nicht nur Liebe, sondern ebenso Aggressivität, wie man unschön dem zornesgeröteten Gesicht eines Wüterichs – etwa Uli Hoeneß bei einer angeblichen Entscheidung gegen Bayern München – entnehmen kann. Für eingeschüchterte Opponenten dagegen bedeutet diese Tönung die Aufforderung zum Rückzug. Die Forscher vermuten daher Rot als eine psychologische Überrumpelungsstrategie, die den andersfarbigen Gegenspielern eine gewisse Unterlegenheit suggeriert.

Diese Farbsymbolik trifft wohl zudem nicht nur auf Einzelwettkämpfe zu: Mannschaftssportarten können davon ebenfalls betroffen sein, wie eine erste Auswertung der Fußball-Europameisterschaft 2004 durch Hill und Barton ergab. Auch hier gewannen die Nationalelfen häufiger, wenn sie in Rot statt in Weiß antraten. Und dieser Koloritzauber scheint dabei stärkere Auswirkungen zu haben als die Art des Stadions, in dem gekickt wird. Denn wenn es nach Statistik und Atmosphäre gegangen wäre, hätte eigentlich aus Schalke 04, dem Meister der Herzen 2001, der tatsächliche Klassenprimus 2004 werden müssen.

Das zumindest ist der Tenor einer Arbeit von Frank Luerweg vom Institut zur Zukunft der Arbeit, die sich den Auswirkungen der Stadionstimmung auf die Entscheidungspsychologie der beteiligten Schiedsrichter widmete [2]. Dazu wertete er Daten von mehr als 3500 Erstligapartien der Jahre 1992 bis 2003 aus und brachte sie in Bezug zu den jeweiligen Heim- und Auswärtsmannschaften sowie der Art des Stadions. Und tatsächlich hat die Bauweise des Runds einen gewissen Einfluss auf den Ausgang des Spiels.

Tobt – wie etwa in der Arena auf Schalke – der Bär auf den engen, steilen Rängen, so pfeifen die vermeintlich Unparteiischen eher einen unberechtigten Elfmeter zugunsten der Gastgeber als in der Grabesstille des Münchner Olympiastadions mit seinem durch die Tartanbahn abgegrenzten Spielfeld. Ähnliches gilt für fragwürdige Tore und die Länge der Nachspielzeit, die in engen Stadien häufiger zum Nachteil der Gäste ausgelegt werden. Ist dagegen Derby und die Stimmung ausgewogen verteilt oder gleicht die Spielstätte einer Opernbühne mit zurückhaltendem Publikum, so kommt diese Übervorteilung seltener zum Tragen, was dann jedoch für die Beteiligten nicht minder tragisch sein kann – etwa bei der Mutter aller Fehlentscheidungen, dem Phantomtor des Münchner Spielers Thomas Helmer, dessen Anerkennung den 1. Fußballclub Nürnberg einst in die bittere Zweitklassigkeit stieß.

Mit dem anstehenden Umzug in die neue, fuballintensivere Allianz-Arena könnte sich zukünftig jedenfalls die Übermacht der Bayern noch verstärken. Schalker, Herthaner, Borussen oder schwarzrote Franken müssen jetzt dennoch nicht gleich verzagen, denn aller Farbigkeit zum Trotz: Mannschaften wie Real Madrid, FC Chelsea oder Juventus Turin beweisen, dass man auch in Weiß, Blau oder Schwarzweiß einen roten Gegner ins Tal der Tränen schicken kann. Aber vielleicht schießt ja doch Geld die Tore?

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.