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Mikrobiologie: Mord und Multikulti

Der Kampf um Vorherrschaft und Überleben tobt in allen Größenmaßstäben. Auch Bakterien kennen kein Pardon, wenn sie Konkurrenten effizient ausschalten wollen - falls sie nicht lieber eine gemeinsame Basis suchen. Der Erfolg hängt wie üblich von der Strategie ab.
Biofilm
"Lokal angepasste Bewohner stellen eine beachtliche Barriere für eine Invasion dar. Eine Lösung für Invasoren besteht darin, die Einheimischen zu töten." Die nüchterne Analyse eines Militärstrategen? Klingt ganz danach, schaut man sich die unrühmlichen Kapitel der Weltgeschichte und heutiger Zeiten an. Tatsächlich stammen diese Sätze von eher neutralen Beobachtern, die penibelst Kampfhandlungen analysieren – allerdings von Bakterien.

Auch die Mikroorganismen dieses Planeten beherrschen schließlich biologische und chemische Kriegsführung. Zum Arsenal gehören Gifte genauso wie Krankheitserreger, mit deren Hilfe so manche Bakterien neue Lebensräume zu erobern versuchen oder sich gegen entsprechende Eindringlinge zur Wehr setzen. Im Gegensatz zu zweibeinigen Kontrahenten allerdings müssen sie diese Waffen in ihrem "Körper" mit sich herumschleppen und können diese nur durch Selbstzerstörung freisetzen. Attacken aus der Ferne sind ihnen also versagt, wer hier um sich schlägt, bezahlt – ganz Märtyrer – für alle mit dem Leben.

Dass es die noch intakten Stammesgenossen nicht gleichermaßen dahinrafft, liegt an einem ausgeklügelten Selbstschutz: Die Giftproduzenten besitzen neben dem Bauplan für das Toxin auch gleich die Anleitung für das Gegengift, und die Virenschleudern beherbergen selbst einen solchen, aber schlafenden Untermieter, der sie vor weiteren Enteraktionen bewahrt. Tödlich bewaffnet, gut gewappnet – was passiert, wenn nun die Kontrahenten in einer turbulenten Umwelt aufeinander treffen?

Das hängt – ganz Strategieunterricht an der Militärakademie – vom Zahlenverhältnis der Beteiligten ab. Wer mit Chemie kämpft, sollte nicht gerade als kleines Trüppchen gegen eine Übermacht antreten: Um dann auch nur einen geringen Erfolg zu erzielen, müssten sich fast alle Zellen opfern, sonst reicht die Toxinmenge bei weitem nicht aus. Gift bewährt sich demnach nur als Mittel der Masse gegen Minoritäten, errechneten Sam Brown von der Universität von Texas in Austin und seine Kollegen.

Umgekehrt werden Viren zur Methode der Wahl, wenn einige Wenige versuchen, eine Gesellschaft zu unterwandern: In der ungeschützten Menge finden freigesetzte Krankheitserreger aus Invasorenzellen Opfer en masse, um sich zu vermehren und über neue Wirte herzufallen. Je größer deren Übermacht im Verhältnis zu den Invasoren, desto höher die Trefferquote der biologischen Waffen – beste Voraussetzung für eine sich rasend schnell ausbreitende tödliche Epidemie.

Damit zeichnet sich schon ab, welche Strategie wann am sinnvollsten ist: Gift ist die Waffe der ursprünglichen Bewohner im Kampf gegen Invasoren, Krankheiten das Mittel der Wahl für skrupellose Eroberer [1]. Eine Erkenntnis, die auch im Geschichtsbuch stehen könnte.

Biofilm | Biofilm von Pseudomonas fluorescens
Und wo bleibt die Diplomatie? Schließlich gäbe es da noch den Versuch eines friedvollen Miteinanders – das Bakterien durchaus beherrschen: In Biofilmen beispielsweise, mit denen sich unter anderem Pseudomonas fluorescens einen Platz an der frischen Luft sichert, wo ihm kostbarer Sauerstoff leichter zugänglich ist als in den trüben Tiefen des Reagenzglases. Beim genaueren Blick auf eine solche Gemeinschaft zeigt sich, dass sich hier schnell unterschiedliche Typen herausbilden, die sich zum Wohle aller einschränken: Statt sich wie zuvor um den gemeinsamen Ressourcentopf zu streiten, entwickelt jeder Spezialappetit. So kommen sie sich gegenseitig in ihrer intimen Kommune nicht ins Gehege.

Und das Ganze dient nicht nur dem inneren Frieden, sondern gewährt zudem Schutz vor Schmarotzern. Denn in gut organisierten Mikrobengemeinschaften können sich weniger Eindringlinge breit machen, die nur nehmen, aber nicht geben wollen, erkannten Michael Brockhurst von der Universität Liverpool und seine Kollegen in Experimenten [2].

Verschiedene Ursachen könnten dahinter stecken: Die breitere Ressourcennutzung durch die Kooperationspartner lässt einem Eindringling zu wenig übrig, oder aber er ist von der Spezialisierung der Kommunarden überfordert und findet keinen ihm genehmen unfreiwilligen Gastgeber mehr. Vielleicht lohnt sich auch schlicht Zusammenarbeit auf lange Sicht mehr als Schmarotzertum. Jedenfalls funktioniert kunterbuntes Miteinander stabiler und besser als Einheitsdenken und -anspruch.

Mord und Multikulti – die Mikrobenwelt, so scheint es, ähnelt verblüffend dem menschlichen Lebensentwurf. Und das, obwohl sie Milliarden Jahre länger daran feilen durfte. Kein Grund aber, das eine als unvermeidlich und das andere als unrealistisch abzutun.

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