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Grenzen: Rückgrat der Natur

2009 ist das Jahr der Jubiläen: 60 Jahre Bundesrepublik, 20 Jahre Deutsche Einheit. Und noch etwas feiert ein Jubiläum, denn vor 20 Jahren kamen Naturschützer auf die Idee, die damalige innerdeutsche Grenze als riesiges Naturschutzgebiet zu bewahren. Mittlerweile wurde aus dem "Grünen Band" ein europäisches, völkerverbindendes Projekt. spektrumdirekt sprach mit Gabriel Schwaderer von der Organisation EuroNatur, die sich in Südosteuropa stark für das Grüne Band einsetzt.
Grünes Band Deutschland
spektrumdirekt: Herr Schwaderer, 20 Jahre Grünes Band – wie kam es eigentlich damals zu dieser Idee?

Gabriel Schwaderer: In erster Linie war dies eine Idee des Bund Naturschutz (BN, bayerischer Landesverband des Bundes für Umwelt- und Naturschutz, Anm. d. Red.). Auf der Grundlage von ornithologischen Erhebungen hatten sie erkannt, dass der Grenzstreifen zwischen beiden deutschen Staaten vielen Arten – und darunter vor allem auch bedrohten – einen Lebensraum bot. Sie haben damals schon den Begriff Grünes Band geprägt. Und wenn man sich Luftbilder von der ehemaligen Grenze ansieht, erkennt man das heute noch: Inmitten einer überwiegend intensiv landwirtschaftlich genutzten Fläche sticht dieser Streifen Wildnis hervor.

spektrumdirekt: Welche Hürden gab es zu überwinden, um das Grüne Band zu ermöglichen?

Gabriel Schwaderer | Der EuroNatur-Geschäftsführer Gabriel Schwaderer arbeitet schwerpunktmäßig in Albanien, um dort Naturschutzprojekte anzustoßen und voranzubringen. Neben der Bewahrung von Naturlandschaften wie dem Ohrid-See zwischen Albanien, Griechenland und Mazedonien, den Albanischen Alpen oder den Wäldern im Jablanica-Shebenik-Gebiet gilt sein besonderes Interesse den großen Beutegreifern der Region wie dem Balkan-Luchs, der kurz vor dem Aussterben steht. Mit Hilfe von lokalen Partner versucht die Organisation stets auch die Bevölkerung vor Ort einzubinden.
Schwaderer: Es hat 20 Jahre gedauert, vom Mauerfall bis 2009, bis das Grüne Band für Naturschutzziele gesichert war. Zumindest phasenweise war die Unterstützung von Seiten der Politik nicht optimal. Es stellten sich damals die Fragen: Was passiert mit den Flächen – Privatisierung oder Sicherung für den Naturschutz? Wer bezahlt dafür? Die Bundesregierung wollte den Ländern diese Flächen gegen bestimmte Bedingungen überlassen. Einige Länder wollten dieses Geschenk anfänglich nicht annehmen. Mittlerweile ist der Durchbruch gelungen, und das gesamte Grüne Band ist langfristig für den Naturschutz gesichert.

spektrumdirekt: Ist das Grüne Band ein gutes Beispiel für gelungenen Naturschutz?

Schwaderer: Ja, auf alle Fälle. Das Grüne Band ist ein einzigartiger Biotopverbund und vereint Naturschutz mit der Geschichte. Es ist ein positiv gewendetes Mahnmal der deutschen Teilung.

spektrumdirekt: Die Idee des grenzüberschreitenden Naturschutzes hat sich anschließend entlang dem gesamten Eisernen Vorhang ausgebreitet. Wie kam es dazu?

Grünes Band Deutschland | Lebens- statt Todesstreifen: Wo einst mörderische Selbstschussanlagen und Minenfelder Deutschland teilten, kann sich heute die Natur weit gehend ungestört entwickeln und finden seltene Arten eine Zuflucht. Das Grüne Band Deutschland, einst vom Bund Naturschutz initiiert, ist ein gelungenes Beispiel für einen funktionierenden Biotopverbund, der sich durch Deutschlands Kulturlandschaft schlängelt wie hier bei Mackenrode zwischen Niedersachsen und Thüringen.
Schwaderer: Wir von EuroNatur haben zum Beispiel unmittelbar nach der politischen Wende in Europa mitgeholfen, den Donau-Drau-Nationalpark an der Grenze von Ungarn und Kroatien zu etablieren. Er schützt einen sehr wichtigen Bereich dieses Grünen Bandes. Damals hat allerdings noch niemand vom Grünen Band Europas gesprochen. Diese Idee entwickelte sich erst deutlich später im Jahr 2003. Auch daran waren der BUND und das Bundesamt für Naturschutz intensiv beteiligt: Sie haben den Begriff geprägt und der Öffentlichkeit als staatenübergreifende Idee vorgestellt.

spektrumdirekt: Was darf man sich unter dem Grünen Band Europa vorstellen?

Schwaderer: Insgesamt ist das Grüne Band Europa rund 12 500 Kilometer lang. Und es existieren länderspezifische, aber auch topografische Unterschiede. Im norddeutschen Tiefland beispielsweise herrscht eine völlig andere Landnutzung als auf weiten Teilen der Balkanhalbinsel, wo die Grenzen vielfach auf Gebirgsrücken verlaufen. Diese Regionen werden natürlich deutlich weniger intensiv genutzt. Das macht das Grüne Band ungeheuer vielfältig.

spektrumdirekt: Wie sieht es außerhalb Deutschlands mit der politischen Unterstützung aus?

Prespasee | Im Dreiländereck zwischen Griechenland, Mazedonien und Albanien liegt der Prespasee, an dessen Ufern eine der größten Pelikankolonien Europas nistet. Im Gewässer selbst leben zahlreiche endemische Arten, die nur hier vorkommen.
Schwaderer: Das Konzept fasziniert und ist sehr attraktiv. Auf der Balkanhalbinsel, etwa in Albanien oder Mazedonien, erfahren wir deshalb sehr viel Unterstützung von Seiten der Politik. Entlang dem früheren Grenzstreifen existieren dort großflächige, intakte und damit wertvolle Naturlandschaften, die wir erhalten wollen. Das Grüne Band kann man sich wie ein Rückgrat vorstellen, von dem die Schutzgebiete wie Rippen auf alle Seiten abzweigen. Nach unserer Erfahrung benötigen die meisten der Balkanländer allerdings noch fachliche Unterstützung, die wir mit lokalen Partnern leisten. Zugleich treten wir mit den Menschen vor Ort in einen Dialog, denn nur wenn diese den Naturschutz mittragen, können wir erfolgreich sein.

spektrumdirekt: Menschen sind ein gutes Stichwort. Befürwortet denn die lokale Bevölkerung die Ausweisung von Schutzgebieten oder müssen erst Widerstände überwunden werden?

Schwaderer: In Albanien war die Situation schwierig. Das Land isolierte sich 40 Jahre lang von der Außenwelt, in den 1970er Jahren sogar von seinen letzten Unterstützern China und der Sowjetunion. Es war völlig auf sich allein gestellt. Dies führte mangels Rohstoffen und fossiler Energieträger schnell dazu, die Wälder zu übernutzen: als Brennstoff oder Baumaterial. Das passierte in den 1980er Jahren in weiten Teilen des Landes.

In den 1990er Jahren gab es dann eine zweite Phase der dramatischen Ausbeutung der Natur, die auf den so genannten Pyramidenskandal zurückging. Große Teile der Bevölkerung haben sich an Investmenstfonds beteiligt, die wie ein Schneeballsystem aufgebaut waren und Gewinne von 30, 40 oder 50 Prozent versprachen. Viele haben dafür Kredite aufgenommen oder ihre Häuser verkauft, um Geld einzubringen. 1996 kollabierte das System dann völlig, und bis auf wenige haben die meisten Menschen alles verloren. Das führte zu einer Phase der Anarchie, in der jeder erst einmal nach sich selbst schaute. In dieser Zeit wurden nochmals große Waldflächen, aber auch Obstbaumplantagen abgeholzt. Jeder nahm sich das, von dem er glaubte, es würde ihm zustehen. An die Natur dachte erst einmal keiner.

spektrumdirekt: Und wie sieht es heute aus?

Landschildkröte | Im albanischen Bujana-Buna-Delta an der Grenze zwischen Montenegro und Albanien ist sie noch ein gängiger Anblick: Hier finden Land-, aber auch Sumpfschildkröten ihr Auskommen.
Schwaderer: Es leben heute weniger Menschen auf dem Land – auch in den Schutzgebieten –, weshalb der Nutzungsdruck abgenommen hat. Sie verbinden mit den neuen Parks in erster Linie die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Viele dieser Gebiete waren über Jahrzehnte vergessene Regionen an den Grenzen. Im neuen albanischen Shebenik-Jablanica-Nationalpark beispielsweise hat sich ein Bürgermeister sehr über das Engagement von EuroNatur gefreut. Er wäre überzeugt, dass wir es wirklich ernst meinen, da wir so oft kämen. Aus der Hauptstadt Tirana hätte sich dagegen die letzten zehn Jahre keiner bei ihm blicken lassen. Die Menschen fühlen sich also wirklich als gleichberechtigte Partner, wenn wir uns für ihre Probleme interessieren und gemeinsam mit ihnen diese Schwierigkeiten überwinden.

Und genau das ist auch unser Ansatz: Wir wollen keinen Naturschutz von oben durchsetzen, sondern wollen gemeinsam mit den Menschen entscheiden, welche Zonen nicht mehr genutzt werden sollen. Und wir versuchen, gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung alternative Einkommensquellen zu erschließen. Das ist ein mühsamer, langsamer Weg und funktioniert nur, wenn die Menschen vor Ort Geduld mitbringen. Bisher sind wir mit diesem Ansatz aber sehr gut gefahren. Wir unterstützen die Menschen beispielsweise beim Anbau und der Vermarktung von Heilpflanzen und statten sie mit energieeffizienten Öfen aus.

Das zeigt auch ein weiteres Beispiel aus Shebenik-Jablanica: EuroNatur hatte eine etwa 300 Quadratkilometer große Fläche für den Park vorgeschlagen. Eine Gemeinde, die wir gar nicht eingeplant hatten, kam dann direkt auf uns zu und wollte ebenfalls in den Park eingebunden werden. Das zeigt deutlich, wie viel Hoffnung damit verbunden ist.

spektrumdirekt: Wo ist denn das Konzept des Grünen Bandes in Europa bislang am besten verwirklicht?

Shebenik-Jablanica-Nationalpark | Woch sich Bär und Luchs – noch – gute Nacht sagen: In den Grenzgebirgen zwischen Albanien und Mazedonien leben Braunbären und der vom Aussterben bedrohte Balkanluchs. Nationalparks im Grünen Band Europa sollen ihn erhalten helfen.
Schwaderer: Für Mitteleuropa ist die Drau-Mur-Region ein gelungenes Beispiel. Es sind einzigartige Fließgewässer, die über große Strecken noch nicht verbaut sind. Seit wir dort arbeiten, wollten wir das Gebiet grenzüberschreitend schützen. Nun gibt es auch eine starke lokale Bewegung, ein internationales Biosphärenreservat zu schaffen. Und wir haben die Hoffnung, dass diese Vision bald Wirklichkeit wird.

spektrumdirekt: Wie sehen Sie die Zukunft des Grünen Bandes?

Schwaderer: Das Grüne Band ist derzeit die faszinierendste und ambitionierteste Naturschutzinitiative Europas. Einen Biotopverbund über 12 000 Kilometer zu schaffen, hat über den ökologischen Wert hinaus eine ungeheure identitätsstiftende Wirkung. Es symbolisiert, dass Ost und West zusammenwachsen und sich beide Teile Europas brauchen. Und es könnte vorbildhaft für andere Regionen der Erde sein, die noch durch unmenschliche Grenzen geteilt werden, sich aber eines Tages hoffentlich wieder gemeinsam entwickeln können. Möglichst viele Grüne Bänder wären eine schöne Zukunft.

spektrumdirekt: Herr Schwaderer, vielen Dank für das Gespräch.

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