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Zufall oder mangelndes Wissen?

Was ist Zufall? Und gibt es Prinzipien, die den Zufall tatsächlich "regieren"? Diesen Fragen geht Leonard Mlodinow in seinem Buch "Wenn Gott würfelt oder wie der Zufall unser Leben bestimmt" nach. Darin versucht der Autor zu erklären, wie wir Entscheidungen treffen, und welche Prozesse dazu führen, dass Menschen Fehlurteile und schlechte Entscheidungen fällen, wenn sie sich mit Zufälligkeiten und Ungewissheiten konfrontiert sehen. Die Entwicklung dieser "Zufälle" in Politik, Medizin, Geschäftsleben, Sport und Freizeit übt auf unser tägliches Leben großen Einfluss aus, so Mlodinow.

Fehlende Informationen sind für ihn oft die Ursache von Fehlurteilen, und keiner ist vor diesem Fehlverhalten geschützt. Das Buch schildert – mit erschreckenden Beispielen – wie Ärzte und Patienten Statistiken über Medikamentenwirksamkeit und wichtige andere medizinische Tests häufig völlig falsch interpretieren. Eltern und Studenten missverstehen die Aussagekraft von Examen und Eintrittstests, Investoren ziehen falsche Rückschlüsse aus dem historischen Abschneiden von Investmentfonds. Im Sport ist Erfolg oder Misserfolg – aufgrund eines intuitiven Gefühls für Korrelation – meinst mit der Fähigkeit des Trainers verbunden. Wenn Fußballteams verlieren, wird der Trainer entlassen – so lesen wir es fast wöchentlich in den Tageszeitungen. Und auch in den Konzernetagen tritt dieses Phänomen häufig auf: Der Wechsel eines CEOs oder Managers zur Steigerung des Firmenerfolgs hat sich oft als illusorisch erwiesen – und die Unternehmen nur selten gerettet.

Der Autor versucht deshalb – sehr erfolgreich – in sieben Kapiteln "gegen den Strom zu schwimmen". Denn überragende Leistungen sind wie Inkompetenz manchmal auch nur das Resultat von "Zufallsprozessen", die wiederum eine fundamentale Größe in der Natur einnehmen – und daher auch in unserem Alltag. Viele Menschen verstehen sie aber nicht beziehungsweise denken nicht viel darüber nach. Und das gilt offensichtlich ebenso für in der Tat intelligente Menschen: Sie versagen ebenfalls oft, wie die Harry-Potter-Bücher zeigen: Bis das erste Manuskript einen Verlag fand, musste Joanne K. Rowling. neun Anläufe wagen, weil den Lektoren das Buch nicht gefiel oder sie den eingesandten Text nicht einmal betrachteten.

Die Mathematik hinter den Zufällen kommt in dem Buch ebenso wenig zu kurz – etwa die "Regression zum Mittelwert" oder die Kombination von Wahrscheinlichkeiten vertraut gemacht – wie ein Ausflug in die Geschichte: Bereits im 16. Jahrhundert schrieb der italienische Arzt und Mathematiker Gerolamo Cardano mit "Das Buch der Glücksspiele" eine erste Abhandlung über die Theorie des Zufalls. Er erfand den Begriff des Stichproben-Raumes und dessen Verhalten und behandelte Kartenspiele, Würfel und Backgammon – nicht perfekt, aber er versuchte erstmals die Natur des Ungewissen zu verstehen. Seiner Analyse fehlte damals noch die Systematik, wie Mlodinow erklärt.

Der Autor gibt uns auch Tipps für den Alltag: Wir nehmen häufig fälschlicherweise an, dass eine Stichprobe oder eine Reihe von Versuchsdurchgängen für die zugrunde liegende Situation repräsentativ ist – auch wenn sie tatsächlich viel zu klein ausfällt, um zuverlässig zu sein. Dieses "Gesetz der kleinen Zahlen" beschreibt Mlodinow mit entsprechendem Unterton. Mich hat das Buch jedenfalls ermutigt, wieder deutlich kritischer allen Statistiken gegenüberzutreten.

Überhaupt ist das Werk ein Gewinn: Die Anmerkungen zu jedem Kapitel sind zahlreich und aktuell. Hervorzuheben ist dabei das völlige Fehlen von mathematischen Formeln, die textlichen Erklärungen der Phänomene sind einfach und verständlich. Geradezu bestechend ist die Vielfalt der Beispiele: Dadurch erhält das Buch seine Dynamik, und man legt es nicht aus den Händen. Statistik wurde schon 1796 als jener Teil der Mathematik bezeichnet, "[...] die hilft, die Häufigkeit von Eheschließungen, Zeugenaussagen und Versicherungsprämien zu berechnen". Spätestens nach der Lektüre von "Wenn Gott würfelt" ist aber klar: Sie ist entschieden mehr!

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