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Wissenschaftliches Publizieren: Sollte neue Langlebigkeitsstudie besser beerdigt werden?

Gene, die ein langes Menschenleben versprechen, können recht einfach identifiziert werden, versprach jüngst eine Studie. Vielleicht war sie aber grob fehlerhaft.
Eine gerade in "Science" publizierte, in Teilen auch von spektrumdirekt zusammengefasste Studie über bestimmte Genvarianten, die Menschen ein längeres Leben versprechen, ist womöglich stark fehlerbehaftet. Diese Ansicht äußerten Kritiker gegenüber dem US-Nachrichtenmagazin "Newsweek" wenige Tage nach der Veröffentlichung.

In der Kritik steht die Arbeit eines Forscherteams von der Boston-University um Paola Sebastiani und Thomas Perls. Die Wissenschaftler hatten Erbgutdaten von über 1000 Hundertjährigen verglichen und schließlich 150 Punktmutationen in Genmarkern (single nucleotide polymorphisms, SNP) herausgefiltert, die es ihnen erlaubten, zu fast 80 Prozent richtig vorherzusagen, ob die untersuchte Probe zu einer Person im hohen Alter passt.

Die Kritiker zweifeln diese Studie nun grundsätzlich an. Im Mittelpunkt steht dabei das verwendete methodische Instrumentarium: Die Autoren der Langlebigkeitsstudie hatten unterschiedliche DNA-Chip-Fabrikate zur Genanalyse ihrer Probanden sowie der dagegengerechneten Kontrolle eingesetzt. Dies sei problematisch, so der Genforscher David Goldstein von der Duke University, weil unterschiedliche Chip-Typen bekanntermaßen verschieden häufig Fehler bei der Identifizierung unterschiedlicher Genabschnitte machten. Wenn aber verschiedene Fabrikate in einer Studie eingesetzt werden, kann dies allein per Zufall falsch positive Resultate nach sich ziehen.

Dies gilt insbesondere dann, wenn zufällig eine Chipsorte mit ihrem typischen Fehlerprofil häufiger bei den Messkontrollen eingesetzt wird, als bei den eigentlichen Genproben der zu analysierenden Probanden – beide Analysen müssten demnach unbedingt mit exakt identischer Methode durchgeführt werden, weil man sonst "alle möglichen [Varianten], die bei der Genotypisierung auf den unterschiedlichen Chips besonders ins Auge stechen, als offenbar mit dem gesuchten Merkmal in Verbindung stehend" interpretieren muss, sagt Goldstein – obwohl das Muster doch nur um einen schon im Experimentenaufbau angelegten Artefakt handelt.

Gegenüber "Newsweek" spricht Kári Stefánsson – der Gründer des Pharmaunternehmens "DeCode Genetics" – ein schon früher bekannt gewordenes Problem mit einem der in der Studie benutzten Chiptypen an, dem "610-Quad": "An ihm tritt bei zwei in der Studie der Boston University untersuchten Genvarianten eine merkwürdige Eigenart ausgeprägt zu Tage. Bei fast allen Menschen finden sich an den jeweiligen Genorten dieser beiden Varianten 'rs1036819' und 'rs1455311' zwei unterschiedliche Allele, also leicht verschiedene Ausprägungen des Gens: eine seltenere und eine häufigere. An beiden Genorten neigt der 610-Quad-Chip dazu die Allelsorte falsch zu erkennen und die seltenere statt der häufigeren Form zu identifizieren", erklärt Stefánsson – auch, wenn in Wahrheit die in der Natur häufigere Variante vorliegt.

Wird der fehlerhafte Chip nun nicht gleichermaßen in der Kontrolle wie in der tatsächlichen Probe eingesetzt – wie in der Studie von Sebastiani und Perls geschehen – werden einem die fehlerhaften Ergebnisse als etwas auffallen, nach dem man gesucht hat: eine ungewöhnliche Musterabweichung. Die Fehler – also die falsch positiven Treffer – können dazu verleiten, einen genetischen Zusammenhang zu sehen, der in Wahrheit nicht vorliegt.

Diese Bedenken könnte leicht zerstreut werden, indem man die Analyse aller Proben mit nur einer (neuen) Chip-Variante wiederholt, so die Kritiker. Nicht wenige finden, dass diesem Prozedere schon hätte gefolgt werden müssen, bevor die Studie überhaupt hätte publiziert werden dürfen. Damit stellt sich auch die Frage, warum "Science" – immerhin eines der profiliertesten Wissenschaftsmagazine – die Veröffentlichung trotz des Mangels zuließ.

Die für die Studie verantwortlichen Forscher der Boston University entgegnen den Kritikern in einer vorbereiteten Erklärung, sie seien sich der technisch bedingten Fehleranfälligkeit des Chips durchaus bewusst gewesen, würden nun aber ihre Ergebnisse erneut im Lichte der angeführten Zusammenhänge überprüfen. Sie erwarteten jedoch nicht, dass dies am Ende Auswirkungen auf die grundsätzlichen Aussagen ihrer Publikation haben werde.

Unabhängig vom Ausgang der Debatte: Die Autoren hatten schon wiederholt darauf hingewiesen, dass ihre Erkenntnisse noch keine Anwendungsreife hätten, vor allem aber nicht als allgemein einsetzbarer Gentest taugten (diese dürften allerdings wahrscheinlich schon in der Entwicklungpipeline verschiedener Pharmafirmen stecken). Wer seine eigene Lebensdauer abschätzen möchte, sollte also auf entsprechende Gentests noch etwas warten – oder einen einfachen Blick auf die Langlebigkeit in seinem Familienstammbaum werfen. (nz/jo)

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