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Ölpest: Wohl doch kein Wunderbakterium

Laut Medienberichten bekämpft eine Mikrobe das Öl im Golf von Mexiko quasi im Alleingang und verbraucht nicht einmal Sauerstoff. Doch die dazu angeführten Messungen sagen kaum etwas aus.
Öltropfen mit Mikroben
Es ist ein Auf und Ab seit einigen Wochen: Gute Nachrichten über das Öl im Golf von Mexiko wechseln sich mit schlechten in einiger Regelmäßigkeit ab. Vergangene Woche vermeldete etwa ein Forscherteam der Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI) den Fund eines ausgedehnten Ölschwadens in über 1000 Meter Wassertiefe, der "voraussichtlich über Monate bestehen würde".

Nun scheint das Pendel wieder in die Gegenrichtung zu schwingen: Laut Presseberichten, die sich auf eine gerade veröffentlichte Studie des Lawrence Berkeley National Laboratory stützen, sollen sich Mikroben in großer Anzahl über das ausgetretene Öl hermachen und dabei kaum zusätzlichen Sauerstoff verbrauchen. Die Schadstoffe könnten binnen kürzester Zeit ohne schwer wiegende Konsequenzen für das Ökosystem verschwunden sein. Allerdings bestehen Zweifel, ob eine derart optimistische Prognose durch die Daten gedeckt ist.

Zumal die Schlussfolgerungen der Forscher in der Studie deutlich vorsichtiger klingen als in ihrer eigenen Presseerklärung: Die Ergebnisse "legen nahe, dass es ein Potential für eine Selbstreinigung von den Schadstoffen in der Tiefsee gibt", bei dem die Öl abbauenden Mikroben "eine entscheidende Rolle spielen könnten".

Brennende Deepwater Horizon | Am 20. April 2010 brach auf der Deepwater Horizon ein Feuer aus, das letztlich die Ölbohrplattform zerstörte.
Kritik gibt es in Forscherkreisen vor allem an der Methodik der jetzt im Journal "Science" veröffentlichten Studie: Das Team um Terry Hazen, der auch dem von BP finanziell abhängigen Energy Biosciences Institute in Berkeley angehört, untersuchte Wasserproben, die an 17 verschiedenen Stellen im Golf von Mexiko von Forscherkollegen, Mitarbeitern von BP sowie von ihnen selbst gezogen wurden. Dabei fahndeten sie gezielt nach DNA-Bestandteilen und dem Material von Zellmembranen. Wie sich zeigte, schwebten in Bereichen, die mit Öl verunreinigt waren, rund doppelt so viele Zellen wie in Proben aus sauberen Regionen.

Eine Analyse mit Hilfe eines DNA-Chips, der an charakteristischen Erbgutstücken die Anwesenheit von Mikroben und deren Artzusammensetzung erkennt, bestätigte die Vermutung, dass es sich dabei mit überdurchschnittlicher Häufigkeit um Öl abbauende Bakterien handelt. In seiner Veröffentlichung schließt das Team daraus lediglich, dass das Ökosystem innerhalb kürzester Zeit auf die Belastung durch die Ölpest reagiert habe.

Problematisch an allen darüber hinausgehenden Interpretationen ist zum einen, dass die Proben im Zeitraum von Ende Mai und Anfang Juni entnommen wurden. Aussagen über den gegenwärtigen Zustand des Golfs treffen sie daher nicht – tatsächlich basiert die Studie der WHOI-Forscher um Richard Camilli, bei der die unterseeische Ölwolke zuletzt systematisch untersucht wurde, auf aktuelleren Daten.

Vor allem aber haben die Forscher nicht eine Ölwolke verfolgt, sondern an zufälligen Stellen Wasser entnommen und anschließend dessen mikrobielle Zusammensetzung mit dem Gehalt an Rohöl-Bestandteilen in einen statistischen Zusammenhang gestellt.

Antje Boetius, Forscherin vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven und derzeit auf einer Konferenz, auf der Hazen seine Befunde vorstellte, rät daher dazu, die Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen. Das Team habe lediglich den jeweiligen Gehalt – nicht aber die tatsächliche Abbaurate – gemessen. "Dadurch kann man nicht ausschließen, dass andere Faktoren wie beispielsweise Durchmischung für die Entfernung des Öls verantwortlich sind. Man müsste zu verschiedenen Zeitpunkten messen, wie viel Sauerstoff und wie viel Erdöl noch da ist."

Hazen und Kollegen erschlossen die Geschwindigkeit, mit der die von ihnen entdeckten Bakterien das Öl abbauen, nur durch Laborversuche. Dabei sei der angeblich unerwartet schnelle Abbau festgestellt worden, der jetzt die entsprechende Aufmerksamkeit erregte: Innerhalb von rund einer Woche verschwinde die Hälfte der Schadstoffe. Allerdings, kritisiert Boetius, gelte das nur für die besonders leicht abbaubaren Bestandteile. "Wie sich das Gesamtöl verhält, haben sie nicht gemessen." Denn auch beim Abbau können Schadstoffe anfallen, die das Leben im Meer schädigen.

Auch für die immer wieder vorgebrachte "unerwartet schnelle Geschwindigkeit", mit der der Abbau vonstatten gehen soll, gebe es in den Daten keine Anhaltspunkte, sagt Odd Gunnar Brakstad. Der Forscher der SINTEF in Trondheim, einer Stiftung für naturwissenschaftliche und technische Forschung, hat in den vergangenen Jahren eigene Experimente mit ölabbauenden Mikroben angestellt. Dabei verschwanden die kurzkettigen, schnell abbaubaren Ölanteile – die so genannten n-Alkane – im selben Zeitrahmen, wie es auch Hazens Gruppe beobachtete. Deren Behauptungen seien daher widersprüchlich, schreibt Brakstad in einer E-Mail: "Ich schließe aus den Daten, dass der n-Alkan-Abbau eher 'genau wie erwartet' voranschreitet."

Auch was den gefürchteten Verlust von Sauerstoff infolge übermäßigen Wachstums angehe, gibt es Ungereimtheiten. Die Autoren der kürzlich veröffentlichten WHOI-Studie beobachteten lediglich einen leichten Rückgang der Sauerstoffkonzentration in den betroffenen Tiefen und schlossen daraus auf einen Mangel an mikrobieller Aktivität. Das Öl werde womöglich nicht abgebaut wie erhofft, hieß es vergangene Woche.

Das wollen die Berkeley-Forscher natürlich so nicht gelten lassen, gleichzeitig lag auch in ihren Proben der Sauerstoffgehalt bei annäherndem Normalwert. Durch die Medien geisterte daraufhin die Behauptung, die zahlenmäßig am stärksten vertretene Bakteriengruppe – Oceanospirillales, die zu den Gamma-Proteobakterien zählen – verbrauche nur eingeschränkt Sauerstoff. Doch hier haben sich offenbar einige zentrale Missverständnisse in die Kommunikationskette eingeschlichen.

Zwar konnte man beim Lesen ihrer Pressemitteilung durchaus den Eindruck gewinnen, es mit einem solchen Wunderbakterium zu tun zu haben, doch die Forscher selbst haben eine entsprechende Behauptung niemals aufgestellt. Oceanospirillales könnten in der Tat auf einen sauerstofffreien, anaeroben Stoffwechsel umschalten, erläutert Brakstad, das geschehe aus Gründen der Energieeffizienz jedoch nur, wenn tatsächlich aller Sauerstoff verbraucht sei. Laut Boetius sei der Sauerstoffverbrauch der ortstypischen Bakterien überdies gar nicht aus den Daten ablesbar, da entsprechende Zeitreihenversuche fehlen. Er könnte auch durch Strömungen und Durchmischungen in die beprobten Bereiche geraten sein.

Ob die von Hazen gemessene Verdoppelung der Bakteriendichte ausreichend ist und ob die Mikroben tatsächlich in großem Maßstab das schädliche Öl vernichten – all das ist also noch offen. Hier werden erst weitere Beobachtungen über einen längeren Zeitraum Aufschluss über das Geschehen in der Tiefe geben können. Und auch die Gefahr der so genannten Todeszonen ist nicht gebannt. Sollten sich die Bakterien rasant vermehren, würden sie direkt oder indirekt anderen Arten den Sauerstoff wegnehmen, sagt Antje Boetius: "Es ist einfach mikrobiologisch nicht möglich, ohne Sauerstoffverbrauch Erdöl verschwinden zu lassen."


Anm. d. Red.: Der Beitrag wurde am 27. August um die Anmerkungen O.G. Brakstads ergänzt.

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