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Kernforschung: Antimaterie in der Falle

Am europäischen Kernforschungszentrum CERN sperren Physiker Antiwasserstoffatome in einen Magnetkäfig. Ein erster großer Schritt hin zur Lösung eines der wichtigsten kosmischen Rätsel?
Elektrode der Alpha-Falle
Es geht um nicht weniger als die fehlende Hälfte des Universums. Physiker fragen sich, wohin die Antimaterie verschwunden ist, die laut Theorie beim Urknall in der gleichen Menge entstanden sein muss wie die uns umgebende Materie. Doch bislang fand man keine Hinweise auf Sterne oder Galaxien, die aus Antimaterie bestehen. Wir leben, so scheint es, in einem Universum aus Materie.

Um die Ursache für dieses Missverhältnis herauszufinden, wollen Physiker die physikalischen Eigenschaften von Materie und Antimaterie vergleichen. Nach der gängigen Theorie hat jedes Materieteilchen einen Kompagnon aus Antimaterie – der des Elektrons heißt Positron, derjenige des Protons Antiproton. Bislang denken die Forscher, dass sich Teilchen und dazugehöriges Antiteilchen nur in ihrer entgegengesetzten elektrischen Ladung unterscheiden, etwa wie ein Fotopositiv und sein Negativ, die bis auf ihre Umkehrung von hell und dunkel ansonsten identisch sind. Fänden sich weitere Unterschiede, müssten die Physiker ihr Standardmodell der Elementarteilchen verändern, würden aber auch, so die Hoffnung, einer Antwort auf die Frage nach der fehlenden Hälfte des Universums näherkommen.

Elektrode der Alpha-Falle | Mit Hilfe einer Art Falle fingen die Forscher Antiwasserstoffatome ein. Zu ihr gehören auch Goldelektroden, die in die Vakuumkammer eingelassen werden.
Am besten eignen sich nach Expertenmeinung zum Vergleich das Wasserstoffatom – eines der präzisesten untersuchten Systeme in der Physik – und sein Antiteilchen, das Antiwasserstoffatom. Letzteres besteht aus einem elektrisch negativ geladenen Atomkern, einem Antiproton, der von einem Positron umkreist wird. Sie erlauben, dass auch feinste Unterschiede zwischen Materie und Antimaterie festgestellt werden können. In ihren Studien wollen die Wissenschaftler daher das Spektrum von Antiwasserstoffatomen aufnehmen, um nachzuweisen, welche Lichtwellenlängen das Teilchen absorbiert.

Fataler Kontakt

Das ist alles andere als einfach: Zwar gelingt es den Mitarbeitern am europäischen Kernforschungszentrum CERN seit 2002, Antiwasserstoffatome in so großen Mengen zu erzeugen, wie sie für Messungen des Spektrums ausreichen würden. Doch es gab bislang ein Problem: Weil Antiwasserstoffatome eine neutrale Ladung besitzen, ließen sie sich nicht mit Hilfe von elektrischen Feldern an einem Ort festhalten, sondern bewegten sich durch die Versuchsanordnung – und kamen daher mit herkömmlicher Materie in Kontakt. Wenn das geschieht, vernichten sich Materie und Antimaterie gegenseitig, wobei ein Energieblitz entsteht: Die Lebensdauer der Partikel war viel zu kurz, um ein Spektrum aufzunehmen.

Doch nun hat eine internationale Kooperation von Physikern des CERN Antiwasserstoffatome für mehr als eine Zehntelsekunde an einem Ort festgehalten, wie Gorm Andresen von der Universität im dänischen Aarhus und seine Kollegen erfreut mitteilen. Mit Hilfe eines Apparats namens Alpha und dessen supraleitenden Spulen hielten die Antiwasserstoffatome lange genug fest, um sie studieren zu können.

Weil die Antiwasserstoffatome ein so genanntes magnetisches Moment aufweisen, also gewissermaßen winzige Kompassnadeln sind, übt das Magnetfeld des Supraleiters eine Kraft auf sie aus. Die komplexe Form des Magnetfelds führt dazu, dass die Antiatome festgehalten werden wie Murmeln in einer Salatschüssel, also zurück in die Mitte getrieben werden, sobald sie sich von ihr wegbewegen.

Neben der Falle selbst sei die größte Hürde der Nachweis gewesen, dass tatsächlich Antiwasserstoffatome dem Magnetgefängnis gefangen wurden, sagt Jeffrey Hangst von der Universität Aarhus und Sprecher der Alpha-Forschergruppe. Dazu schalteten die Forscher den supraleitenden Magneten schlagartig ab, entfernten also gewissermaßen die Salatschüssel von einem Moment auf den anderen. Alle gefangenen Teilchen verließen daraufhin die Falle.

Anspruchsvolle Tüftelei

Mit Hilfe eines darüber gestülpten zylinderförmigen Detektors konnten die Forscher dann den Ort feststellen, an dem ein frei gewordenes Antiteilchen mit einem Teilchen normaler Materie zusammenstößt – und beide sich gegenseitig vernichten. Dieser Test lief in verschiedenen Variationen mehrfach hintereinander ab, um festzustellen, welche der Ereignisse von neutralen Antiatomen ausgelöst wurden – etwa indem ein zusätzliches elektrisches Feld links neben der Falle, rechts davon oder gar nicht eingeschaltet wurde: Elektrisch geladene Teilchen, also Antiprotonen oder Positronen, reagieren auf diese Unterschiede, Antiwasserstoffatome aber nicht. Auf diese Weise ließen sich die gewünschten Antiteilchen identifizieren.

Um dahinzukommen, musste Andresens Team aber auch ein wenig tüfteln – damit sie den supraleitenden Magneten binnen nur neun Millisekunden abschalten konnten. Nur dadurch ließen sich die Einzel-Experimente so schnell ausführen, dass sie nicht von kosmischer Strahlung verfälscht wurden: Allein diese störenden Einflüsse lösen den Detektor bereits etwa zehnmal pro Sekunde aus.

Insgesamt gelang es den Physikern, 38 Antiwasserstoffatome nachzuweisen, die zuvor aus der Vermischung von zehn Millionen Antiprotonen und 700 Millionen Positronen entstanden waren. "Wir haben gezeigt, dass die Antiwasserstofffalle prinzipiell funktioniert", freut sich Hangst. Dies sei ein sehr wesentlicher Schritt zu dem Ziel ein Spektrum des Antiwasserstoffatoms aufzunehmen, meint der Experte. "Es ist der Schritt, um den sich die Experten am meisten Sorgen gemacht haben."

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  • Quellen
Andresen, G. et al.: Trapped antihydrogen. In: Nature 10.1038/nature09610, 2010.

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