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Geophysik: Katastrophe in Japan erschüttert Erdbebentheorien

Epizentrum Sendai-Beben
"Dieses Erdbeben lehrt Demut", sagt Emile Okal, Geophysiker an der Northwestern University in Evanston, der an Starkbeben und Tsunamis forscht. Nur wenige Experten hatten es für möglich gehalten, dass die Plattengrenze nahe des japanischen Sendai ein auch nur annähernd so starkes Erdbeben hervorrufen könnte wie das vom 11. März. Mit Magnitude 9,0 war es das stärkste Beben in Japan seit Beginn der Aufzeichnungen. Jetzt gehen Okal und seine Kollegen der Frage nach, wieso dieses Beben so viel stärker ausfiel als erwartet – und was das für das Erdbebenrisiko in Japan und weltweit bedeutet.

Das Beben ereignete sich in der Subduktionszone östlich von Japan, an der die Pazifische Platte unter die Ochotsk-Platte abtaucht, auf der die nördlichen japanischen Inseln liegen.
Epizentrum des Sendai-Bebens | Lage des Epizentrums beim Beben vor der japanischen Stadt Sendai am 11. März 2011. Der Erdstoß lag mit Magnitude 9 weit oberhalb dessen, was Seismologen für die Region vorausgesagt haben.
Solche Subduktionsprozesse lösen die stärksten Erdstöße der Welt aus, so auch 1960 das Beben der Magnitude 9,5 vor Chile und 2004 das Seebeben vor Sumatra, das eine Magnitude von 9,1 aufwies.Bislang dachten Geophysiker allerdings, solche Starkbeben seien auf Plattengrenzen beschränkt, an denen jüngere Erdkruste ihren Weg in die Tiefe nimmt. Die Erdkruste vor Japan ist jedoch bereits vor etwa 140 Millionen Jahren entstanden. Solche älteren Krustenteile, die kälter und dichter sind, sollten eigentlich leichter absinken und daher nur schwächere Erdstöße verursachen.

Die Geschichte der Region um Sendai schien die bisherige Vorstellung zu unterstützen. "Es gab seismische Aktivität, aber keine wie bei richtig starken Beben", berichtet Hiroo Kanamori, Seismologe am California Institute of Technology in Pasadena. In den vergangenen Jahrhunderten hatte die Subduktionszone vor Sendai Erdstöße bis etwa Magnitude 8 erzeugt, doch keinen von Magnitude 9, der 30 Mal so viel Energie freisetzt.

Angesichts dieser Vergangenheit sahen japanische Seismologen keine Gefahr für die Region durch extrem starke Beben.
Mehr zum Thema finden Sie auf unserer Sonderseite "Erdbeben und Reaktorunglück in Japan".
Gegen die 13 bis 15 Meter hohen Wasserberge, die schließlich auf die Küste prallten, waren die Tsunami-Schutzwälle infolgedessen völlig machtlos. Auch wenn sie zu den besten und umfangreichsten in ganz Japan zählten – ausgelegt waren sie für die erwarteten, weit geringeren Wellenhöhen.

Es gab jedoch Hinweise, dass es um Sendai auch zu gewaltigeren Erdstößen kommen könnte. Schon das Beben vor Sumatra hatte die Hypothese über den Einfluss des Erdkrustenalters in Frage gestellt, da auch dort eine alte Platte abtaucht und deshalb kein Stoß dieses Ausmaßes zu erwarten war. Zudem hatten aktuelle geodätische Untersuchungen gezeigt, dass die Gegend um Sendai durch die Plattenbewegungen wie in einem Schraubstock gepresst wird. Die Verzerrungen ließen vermuten, dass die Pazifische Platte "feststeckte", statt einigermaßen reibungslos abzutauchen, und so die Erdkruste unter Spannung setzte.

Diese Spannung konnte sich nur in Beben lösen. Allerdings hatte sie sich so schnell aufgebaut, dass das Ausmaß und die Häufigkeit von Erdstößen der jüngeren Vergangenheit für die nötige Entspannung nicht ausreichten, erklärt der Geophysiker Thomas Heaton vom California Institute of Technology. Erst das Beben der letzten Woche übernahm diese Aufgabe – und trotz dessen Stärke könnte noch Spannung zurückgeblieben sein, meint Heaton: "Trotz der 9 bleibt dort noch vieles mysteriös."

Wenn nun die Subduktionszone vor Sendai ein solch starkes Beben hervorbringen konnte, dann wäre das in anderen Subduktionszonen mit ähnlich alten Platten eventuell auch möglich, sagt Okal. Daher lohne sich ein genauerer Blick auf Tonga und die nordöstliche Karibik: Dort könnten sich weitere Hinweise auf solch seltene, extreme Erdstöße verstecken – wie es wohl auch in Sendai der Fall war.

Der letzte Riesentsunami, der für Sendai verzeichnet wurde, traf die Küste im Jahr 869. Anhand geologischer Spuren von zwei noch älteren Tsunamiereignissen schlossen Koji Minoura von der Tohuko-Universität in Sendai und seine Kollegen 2001, dass etwa alle 800 bis 1100 Jahre eine Monsterwelle die Region heimsuchen würde. Damals schrieben die Forscher, da die letzte Welle im neunten Jahrhundert auftrat, "ist die Wahrscheinlichkeit für einen großen Tsunami vor der Küste Sendais hoch".

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