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Das Leben Bertrand Russells in gezeichneten Bildern

Hier haben sich zwei Autoren mit unterschiedlichen Vorstellungen zusammengefunden. Apostolos Doxiadis, Mathematiker in Athen, wollte eine Tragödie des Geistes schreiben, erzählt anhand der sehr persönlichen Lebensgeschichte des großen Mathematikers und Logikers Bertrand Russell (1872 – 1970) und anderer, die gleich ihm auf der Suche nach den Grundlagen der Mathematik waren. Dagegen strebte Christos Papadimitriou, Informatiker in Berkeley, danach, die Ideen dieser Denker und deren Konsequenzen für die heutige Welt in witzigen Bildern dem Leser näherzubringen. Herausgekommen ist ein überaus gelungener Wissenschaftsroman, der beide Ziele zugleich erreicht – in Comicform.

Auf einer der drei Erzählebenen treten die Autoren selbst auf, indem sie den Leser an der Entstehung des Werks teilhaben lassen (Bild). Doxiadis, der schon als Autor von "Onkel Petros und die Goldbachsche Vermutung" hervorgetreten ist (Spektrum der Wissenschaft 4/2001, S. 108), stellt Papadimitriou seine Ideen zum Roman vor – und fängt damit bereits an, ihn zu erzählen! Durch diesen Kunstgriff gelingt es den Autoren, komplexe Gedankengänge transparent darzustellen und an einigen Stellen den Fortgang der Handlung einleuchtend zu motivieren.

Auf der zentralen zweiten Erzählebene steht Bertrand Russells Lebensgeschichte, die im Wesentlichen der Realität entsprechend dargestellt wird. Genauer gesagt, Russell erzählt sie selbst: In einem Vortrag an einer amerikanischen Universität unmittelbar nach Beginn des Zweiten Weltkriegs spricht er über die Rolle der Vernunft im menschlichen Verhalten. Es geht um sein Leben, das seiner Fachkollegen und um die Logik selbst – genug Stoff für viele weitere Geschichten in der Geschichte.

Die aufgebrachten Studenten wollen ihn aber zunächst gar nicht anhören, stattdessen fordern sie den bekennenden Pazifisten Russell auf, mit ihnen gegen den Krieg zu demonstrieren. Er entgegnet ihnen: "Um Vernunft geht es ja in meinem Vortrag. Um deren höchste Form: Logik! Danach kann man bestens über den Krieg reden!" Wie ist das zu verstehen? Das wird dem Leser erst am Ende des Buchs klar.

Wir begleiten Russell durch eine spannende Zeit: Getrieben von Erlebnissen der Jugend, darunter dem Geheul seines dem Wahnsinn verfallenen Onkels, hofft er zunächst durch die Mathematik, dann durch die Logik zu absolut sicherer Erkenntnis zu gelangen. Aber schon bald muss er feststellen, dass die damalige Grundlage der Mathematik auf sehr wackligen Beinen steht. Er unternimmt es, ein besseres Fundament einzuziehen – und entdeckt einen Widerspruch in der bestehenden Theorie, der die Krise noch verschärft. Es handelt sich um das Paradoxon, das heute seinen Namen trägt.

Die Mathematiker formulieren es zwar abstrakter, aber den Kern trifft bereits die Frage, ob sich der Barbier selbst rasiert, wenn der Barbier als der Mann definiert ist, der alle rasiert, die sich nicht selbst rasieren. Wenn Ihnen dies nicht unmittelbar einleuchtet, spätestens dann ist dieser Comic das Richtige für Sie. Mit den Mitteln dieses Genres lassen sich auch schwierige Themen verständlich und häufig sogar humorvoll beleuchten.

Auf der Suche nach Wahrheit und fester Erkenntnis entwickelt Russell zusammen mit seinem Freund und Kollegen Alfred North Whitehead (1861 – 1947) die so genannte Typentheorie, die in den dreibändigen "Principia Mathematica " (1911 – 1913) veröffentlicht wird. Doch auch dieser Lösungsversuch scheitert. Russells genialer Schüler Ludwig Wittgenstein (1889 – 1951) wird mit der Revision der bisher nicht so erfolgreichen "Principia" betraut – und schreibt deren Widerlegung, den "Tractatus Logico-Philosophicus". Nach Wittgenstein ist die Sprache nur ein Abbild der Wirklichkeit und Logik die Struktur der Sprache. Logik an sich ist hiernach inhaltsleer und sagt für sich genommen nichts über die Wirklichkeit aus.

Russell hält weiter leidenschaftlich an seiner Vision fest. Er ringt um Antworten auf die "letzten" Fragen. Ein weiterer herber Schlag kommt dann aber 1931 von Kurt Gödel (1906 – 1978), der beweist, dass es immer unbeantwortbare Fragen in der Mathematik geben wird.

Die Arbeit von Russell und Whitehead hat der Suche nach den Grundlagen der Mathematik neue, bedeutende Impulse gegeben und die Entwicklung der Informatik stark beeinflusst. Russell selbst dagegen zieht aus seiner "gescheiterten" Suche vor allem die Schlussfolgerung, dass es keinen Königsweg zur Wahrheit gibt. Und die Studenten des Vortrags fragen nun: Was hat diese Einsicht mit Krieg zu tun?

Da die Wissenschaft allgemein und die Logik im Besonderen eine "wahre" Antwort nicht liefern können, empfiehlt Russell seinen Zuhörern den Rückgriff auf Prinzipien, die seine Freunde vom "Wiener Kreis" der Logiker "für ´unter der Würde von ernsthaften Gemütern´ erachten würden": Verantwortung, Gerechtigkeit und einen Sinn für das Gute gegen das Böse. So wird für den Pazifisten Russell sogar ein militärischer Schlag gegen Hitlerdeutschland denkbar.

Der Roman "Logicomix" ist abstrakt und sinnlich zugleich. Der mutige Versuch, den Fortschritt der Logik einerseits und das oft harte persönliche Schicksal der beteiligten Charaktere andererseits zu vereinen, ist geglückt. Damit haben die Autoren wegweisend gezeigt, wie man ernsthafte Themen leichtfüßig erzählt und wie man insbesondere die philosophischen Ideen mit den dahinterstehenden Menschen für den Leser fruchtbar zusammenbringt.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 4/2011

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