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Hochwasser: Land unter in Bangkok

Die heftigsten Monsunregen seit Jahrzehnten bescheren Thailand eines der stärksten Hochwasser der Geschichte. Nun droht Bangkok ein wochenlanger Notstand. Schuld an der Katastrophe sind aber nicht nur Wetterkalamitäten: Weit reichende Umweltzerstörungen und politische Konflikte verschärfen die Lage.
Fluten in Thailand
Am Wochenende soll die erste große Hochwasserwelle Bangkok heimsuchen: Vier Milliarden Kubikmeter Wasser wälzen sich auf die Stadt zu; zwei weitere, kleinere Wellen werden in den kommenden Tagen folgen. Der Bezirk Don Muang im Norden Bangkoks ist bereits überschwemmt, und – Ironie des Schicksals – das Krisenzentrum Flood Relief Operations Command (FROC) im alten Flughafen der Stadt Don Muang steht unter Wasser.

FROC hat es innerhalb der wenigen Wochen seiner Existenz geschafft, zur unbeliebtesten Behörde Thailands zu werden. Das Hochwasserkrisenzentrum der thailändischen Regierung produziert durch eine chaotische, widersprüchliche und verwirrende Informationspolitik Verunsicherung, Panik und Frust. "Bangkok bleibt verschont", "Bangkok geht unter", "Rette sich wer kann", "Kein Grund zu Panik" – verkündeten FROC oder die Bangkok Metropolitan Administration (BMA). Beide sind sich aber nicht grün, denn FROC ist das Krisenzentrum der neuen Regierung Thailands, die der Politbewegung der Rothemden nahe steht. Die Provinz Bangkok wird aber wiederum von einem Politiker der Partei der Demokraten regiert, der mit den Gelbhemden verbandelt ist. Und beide Fraktionen sind sich spinnefeind.

Untergang Bangkoks 1.0

Doch damit nicht genug des politischen Wirrwarrs während der Zeit der größten Hochwasserkatastrophe Thailands seit mehr als einem halben Jahrhundert: Noch 17 weitere Ministerien, Behörden und Organe der BMA haben in irgendeiner Form mit Wasserwirtschaft zu tun und nehmen Einfluss. Abgerundet wird die Gemengelage durch die politisch unerfahrene, erst seit knapp drei Monaten regierende Premierministerin Yinluck Shinawatra. Dieses führungslose Durcheinander sehen Fachleute als das wesentliche Hindernis für ein effektives Hochwassermanagement. "Früher haben die Experten entschieden und gehandelt. Heute dominieren die Politiker", sagt Chaiyuth Sukhsi, Professor für Wasserwirtschaft an Bangkoks Chulalongkorn Universität.

"Rushour" in Bangkok zur Zeit | In einigen Distrikten der thailändischen Metropole steht das Wasser jetzt schon knöchel- bis hüfthoch. Wer kann, versucht aus der Stadt zu fliehen – auch wenn er dabei durch das Wasser fahren muss.
Chaiyuth Sukhsi und seine Kollegen waren in den letzten Jahrzehnten als Wissenschaftler oder Politiker mit verantwortlich für die Entwicklung von Strategien und den Bau von Infrastrukturprojekten zur Sicherung der Metropole vor den normalen jährlichen Überschwemmungen. Kanäle wurden gegraben, Deiche gebaut, neun unterirdische Wassertunnel gebohrt, Pumpstationen errichtet. "Das System ist eigentlich gut", versichert Banasopit Mekvichai, zweimalige Vizegouverneurin von Bangkok. Aber sie betont: "Es muss auch Leute geben, die damit umgehen können."

Das Hochwasser hat große Teile Thailands seit Sommer im Griff – erst war der Norden betroffen, dann Zentralthailand. Die Regierung traf schließlich eine Fehlentscheidung und beschloss, Bangkok zu retten, statt von Anfang an die Wassermassen kontrolliert durch das vorhandene System ebenso durch die Stadt zum Meer zu leiten. Stattdessen wurde das Wasser im Norden von Bangkok gestaut, ganze Städte, Industriezentren und große landwirtschaftlich genutzte Flächen zur Rettung von Bangkok dem Hochwasser überlassen – auch die alte Königsstadt Ayutthaya ging unter. Die Hoffnung aber, die Wassermassen komplett über den Ostrand der 12-Millionen-Einwohner-Metropole in den Golf von Siam zu leiten, haben sich schnell zerschlagen. Insgesamt stauen sich im Norden von Bangkok 12 Milliarden Kubikmeter Wasser – eine unvorstellbare Menge.

Monsun und menschliche Fehler

Hauptursache des Riesenhochwassers war der Monsun, der in diesem Jahr früher einsetzte als erwartet und mehr Regen brachte als sonst. Statt der durchschnittlichen 1500 Millimeter im Jahr fielen bis jetzt schon 2000. Eine Fehlentscheidung der Dammmanager im Westen und Norden des Landes verschärfte die Situation jedoch. Unter dem Eindruck der Dürre, die im letzten Jahr Thailand heimsuchte, hielten sie nun das in den Dämmen rasant steigende Wasser zurück. Erst als die Stauwerke bis zum Bersten gefüllt waren, wurde Wasser abgelassen und in ohnehin bereits überschwemmten Gebiete geleitet.

Dabei kam der Dauerregen durch mehrere tropische Taifune, die von den Philippinen bis Birma für Überschwemmungen sorgten, nicht wirklich überraschend. Die Geoinformatic and Space Technology Development Agency unter Leitung des angesehenen Klimaforschers Anond Snidvongs hat herausgefunden, dass etwa alle 30 Jahre in Thailand das Wettermuster von normalem zu hohem Regen wechselt: Jetzt sei wieder eine solche Wechselphase. Aber, so die Forscher, das Hochwasserbekämpfungssystem sei darauf nicht eingerichtet: Dämme und Deiche seien in den 1980er Jahren geplant worden auf der Basis von 1000 Millimeter Regen pro Jahr.

Alles im grünen Bereich | So sah es in Zentralthailand vor Beginn der heftigen Monsunregen aus: Der Chao Phraya – der wichtigste Fluss des Landes – strömt normal in seinem Bett.
Das ungeheure Ausmaß der jetzigen Überschwemmungen führen die Wissenschaftler zudem auf die Abholzung der Wälder und die zügellose Urbanisierung in Thailand zurück. "Wir haben noch keine genauen Daten", schränkt Chaiyuth Sukhsi ein, "aber ich bin sicher, dass das eine Rolle spielt." Und auch Sukhsi kalkuliert diese Faktoren bei der Geschwindigkeit des Hochwassers mit ein: "Früher benötigte es 12 bis 14 Tage, bis es aus Zentralthailand nach Bangkok gelangte. Heute dauert es nur noch halb so lang."

Sinking Bangkok 2.0

Die Anfälligkeit der Stadt ist aber auch ihrer Lage in einem Feuchtgebiet am Golf von Siam geschuldet. Früher einmal galt Bangkok als "Venedig des Fernen Ostens": Hunderte Kanäle durchzogen die in sumpfigem Gelände erbaute thailändische Hauptstadt, und das Boot war das beste Fortbewegungsmittel. Heute sind die Kanäle dagegen fast alle zugeschüttet oder überbaut. Der Klimaexperte Anond Snidvongs befürchtet allerdings, dass Bangkok in naher Zukunft wieder eine Wasserstadt sein wird. Seine Prognose: "Bangkok geht unter." Durch den Klimawandel steigt der Meeresspiegel, das Wasser kommt langsam näher an die nur zwischen null und einem Meter über dem Meeresspiegel liegende Metropole.

Der aber steigt laut dem Intergovernmental Panel on Climate Change durch die globale Erwärmung durchschnittlich um 25 Millimeter pro Jahr. Immer öfter sieht man in Bangkok vor Häusern ein oder zwei nachträglich gebaute Treppenstufen, weil der Grund eingesunken ist. Vor den Toren Bangkoks ragen Telefonmasten aus dem Wasser, die erst vor wenigen Jahren auf trockenem Land errichtet worden waren.

Gleichzeitig versinkt die 13-Millionen-Einwohnerstadt unter der Last ihrer eigenen Bebauung. Der morastige Grund wird durch die mächtigen Hochhäuser aus Beton und Stahl eingedrückt, was wiederum das Eindringen des Wassers aus dem Golf von Siam beschleunigt. "Die östliche Seite versinkt mit 20 Millimetern pro Jahr schneller als die westliche", erläutert Anond Snidvongs. Die Urbanisierung der natürlichen Überflutungsgebiete des Flusses Chao Phraya sei ein weiterer Faktor bei Bangkoks massiven Umweltproblemen. Die würden noch verschärft durch ein tektonisches Problem, das außerhalb menschlicher Einflussmöglichkeiten liegt. "Seit dem Erdbeben von 2004, das in Asien den Tsunami ausgelöst hatte, hat sich die Sinkrate beschleunigt", so Anond.

Über die Ufer | Wenige Wochen später hat sich das Bild völlig gewandelt: Ungewöhnlich starke und lang andauernde Regenfälle haben den Fluss stärker als üblich über seine Ufer treten lassen. Weite Teile Zentralthailands stehen deshalb unter Wasser – darunter auch die alte Königsstadt Ayutthaya, die sich in Rot aus dem Blau der Seenlandschaft in der Mitte oben rechts hervorhebt.
Das Versinken und die Überflutung stellen massive Gefahren für Thailands Wirtschaft dar. Die Region im Norden und Osten Bangkoks ist das wichtigste industrielle Zentrum der Nation, und das Flussdelta des Chao Phraya bildet Bangkoks Speisekammer. Zunehmend versalzen Böden und machen Landwirtschaft schon lange vor der Überflutung des Landes unmöglich. Bis 2050, schätzt Anond, werde das Wasser um etwa einen halben Meter steigen: "Dann müssen Teile der Stadt aufgegeben werden."

An Lösungsvorschlägen zu Rettung mangelt es nicht. Cor Dijkgraaf, der als Stadtplaner, Klimaexperte und Architekt seit vielen Jahrzehnten in Asien aktiv ist, kann sich einen mehrere hundert Kilometer langen Damm durch den Golf von Siam vorstellen. "Das wird teuer", mahnt Dijkgraaf. "Aber der Verlust von Industrie und Landwirtschaft kommt noch teurer."

Blaumilchkanal und Megadamm

Niemand kann in diesen Tagen beurteilen, wie der steigende Meeresspiegel, der Klimawandel oder das Absinken der Stadt versinkendes Bangkok schon jetzt das Ausmaß der erwarteten Überschwemmungen beeinflussen. Sicher ist jedoch, dass Ungemach von der See droht: In diesen Tagen erreichen die normalen Gezeiten im Golf ihren monatlichen Höchststand. Das Meer drückt deshalb in die Kanäle und Flüsse – und verlangsamt so den Abfluss des Hochwassers.

Fieberhaft werden deshalb Dämme erhöht und Kanäle geöffnet. Nach neuestem Plan sollen einige von Nord nach Süd Richtung Meer verlaufende Straßenzüge im Osten Bangkoks in Windeseile zu Kanälen ausgebaggert werden, was an die groteske Geschichte "Der Blaumilchkanal" von Ephraim Kishon erinnert, wo ein aus der Psychiatrie entflohener Verrückter Tel Avivs Hauptverkehrsader aufreißt und sie zum Meer öffnet, so dass letztlich das Wasser einströmt.

Angesichts der Wassermassen werden Forderungen laut: Die Regierung solle Milliarden in den Bau von noch mehr Dämmen und Deichen investieren, wird in der thailändischen Öffentlichkeit gefordert. Premierministerin Yinluck ist ohnehin Megaprojekten zugetan. Der Bau des Damms im Golf von Siam zum Schutz vor dem steigenden Meeresspiegels war eines ihrer vielen Wahlversprechen. Mahnungen von Experten wie Professor Chaiyuth Sukhsi, künftige Hochwasserstrategien sollten darauf gründen, wie man mit dem Hochwasser leben kann, statt es zu bekämpfen, stoßen dagegen auf wenig Gehör.

Autobahn zu Kanal | Selbst Hauptverkehrsachsen der Stadt sind nicht mehr passierbar. Ingenieure planen deshalb, sie flugs zu Kanälen umzufunktionieren, um das das Wasser schneller durch die Stadt zu leiten.
Wie geht es aber akut weiter in Bangkok? Niemand wagt mehr Prognosen, wie schlimm es werden wird: Wird das Wasser in der Innenstadt nur zehn oder zwanzig Zentimeter hoch stehen? Oder einen Meter? Werden alle 50 Distrikte versinken? Jüngsten FROC-Warnungen zufolge sind 13 Distrikte entlang des Chao Phraya in höchster Gefahr.

Großbritannien, die Schweiz, das Auswärtige Amt in Berlin und die USA warnen vor Reisen nach Bangkok und rufen ihre Landsleute in Bangkok auf, die Stadt für einige Tage zu verlassen. Wer es sich leisten kann, ist schon in die "trockenen" Regionen im Osten und Süden geflüchtet. Die Hotels in Pattaya sind ausverkauft, Hua Hin platzt aus allen Nähten.

Wann sich Thailand an den Wiederaufbau der Flutgebiete machen kann, steht in den Sternen. Das Hochwasser wird noch Wochen das Leben des Königreichs dominieren. Chaiyuth Sukhsi prophezeit: "Es dauert wohl mindestens bis Neujahr, bis alles Wasser abgelaufen sein wird." Sukhis hat aber auch eine gute Nachrichten. Die Wetterkonstellation hat sich aufgelöst, die in den letzten Monaten den Dauerregen ermöglichte. Es baut sich bereits ein Hochdruckgebiet auf. "Vielleicht", seufzt der Professor hoffnungsvoll, "geht die Regenzeit ja etwas früher als sonst zu Ende."

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