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Medikamente: Die Jagd nach neuen Antibiotika

Antibiotikaresistenzen nehmen zu, doch nur wenige Mittel kommen neu auf den Markt. Die Forschung sucht daher mit neuen Methoden nach unbekannten Bakterien und Antibiotika.
Testreihe im Labor

Robert Heinzen scheiterte elendig, als er zum ersten Mal Coxiella burnetii in Kultur nehmen wollte. Der bakterielle Erreger des influenzaähnlichen Q-Fiebers wuchs nur in Wirtszellen und musste auch im Labor in Säugerzellen kultiviert werden. Weil Experimente damit recht schwierig waren, suchte Heinzen schon in den frühen 1990er Jahren als Postdoc nach neuen Wegen – mehr als ein Heft voller Notizen kam dabei allerdings nicht heraus.

Coxiella burnetii ging ihm aber nicht aus dem Sinn. Im Jahr 2003 bezog er sein eigenes Labor in den NIH Rocky Mountain Laboratories in Hamilton in Montana und erfuhr von der Sequenzierung des Genoms. Aus den Sequenzdaten erhoffte er sich wichtige Hinweise zum Stoffwechsel und Wachstum der Bakterien und nahm schließlich das Projekt wieder auf. Sein Mitarbeiter testete vier Jahre lang ganz systematisch Hunderte von Kulturbedingungen, um die perfekte Rezeptur für ein extrazelluläres Wachstum der Mikroorganismen zu finden. "Als er mir eines Tages die Kulturen zeigte, dachte ich zuerst an eine Kontamination", erinnert sich Heinzen. Doch das Ergebnis bestätigte sich ein paar Monate später.

Chlamydien | Bakterien aus der Gattung Chlamydia verursachen häufig Geschlechtskrankheiten beim Menschen und lassen sich nur mit Antibiotika wirksam bekämpfen.

Das Bakterium gehört damit aber immer noch zur Minderheit, denn etwa 85 bis 99 Prozent aller Bakterien und Archaeen lassen sich im Labor gar nicht kultivieren. Das limitiert natürlich ganz enorm unser Wissen über sie und die Möglichkeiten, neue Antibiotika zu entdecken – aber die Zeit drängt angesichts immer häufigerer Resistenzen gegenüber den bisherigen Medikamenten. Erst kürzlich veröffentlichte die WHO (World Health Organization) einen weltweiten Aktionsplan zum Kampf gegen Antibiotikaresistenzen, und ein von der Regierung Großbritanniens bestimmter Ausschuss forderte von der Pharmaindustrie Investitionen in der Höhe von 1,3 Milliarden britische Pfund (etwa 1,8 Milliarden Euro), um damit die Entdeckung neuer Antibiotika anzukurbeln.

Laut Meinung von Wissenschaftlern bedarf es aber erst einmal neuer Technologien und Methoden zur Untersuchung der bisher nicht kultivierbaren Mikroorganismen, die von ihnen gerne auch als "dunkle Materie" bezeichnet werden. Die Forscher sind auch schon auf dem besten Weg dorthin, und dank neuer Kulturmethoden können nun auch manche harte Brocken im Labor gezüchtet werden. Außerdem ermöglichen verbesserte Techniken zur DNA-Sequenzierung und bioinformatischen Analyse, so manche Bakterien ganz ohne deren Vermehrung zu untersuchen. Dabei fand sich eine atemberaubende mikrobielle Diversität in den verschiedensten Proben, angefangen von einfachem Boden bis in den Permafrost, aus marinen Schwämmen, hydrothermalen Schloten und sogar dem menschlichen Körper. Schon jetzt zeigen sich erste Hinweise auf neue Antibiotika – und dabei haben die Wissenschaftler bisher nur an der Oberfläche dieses riesigen Mikrokosmos gekratzt. "Da gibt es bestimmt noch vieles zu entdecken", sagt die Meeresmikrobiologin Ute Hentschel von der Universität Würzburg. "Wer suchet, der findet."

Die Natur als Vorbild für die Petrischale

Bisher wurden Mikroorganismen immer in Reinkulturen einzelner Spezies und mit gut definierten Nährstoffen kultiviert – ganz anders, als sie eigentlich in ihrer natürlichen Umgebung leben. Sie bewohnen nämlich sehr vielfältige Habitate und in der Regel nicht allein, sondern in Gemeinschaft mit anderen Organismen. Viele Forscher versuchen, diese Bedingungen im Labor nachzustellen, andere wie Heinzen und Omsland konnten nun an C. burnetii zeigen, wie auch die genetische Sequenz Türen öffnen kann.

Omsland vergleicht in Sequenzierungsanalysen, welche Gene beim Wachstum von Bakterien in Wirtszellen aktiv sind und welche bei ihrem Überlebenskampf außerhalb von Zellen. Er entdeckte dabei eine Reihe von proteinsyntheserelevanten Genen, die unter guten Wachstumsbedingungen in Zellen aktiver waren – ein Hinweis darauf, dass Aminosäuren und Peptide im Kulturmedium von Vorteil sein könnten. Doch auch wenn Omsland es schaffte, die Proteinsynthese der Bakterien bis zu 13-fach zu steigern, zur Vermehrung der Bakterien kam es im Labor nicht.

Trotzdem arbeitete er weiter daran und leitete schließlich aus den Genanalysen ab, dass C. burnetii vielleicht bei niedrigerer Sauerstoffkonzentration überleben könnte. Als seine Mitarbeiter Kulturen unter maximal fünf Prozent Sauerstoff kultivierten, fingen sie auf einmal an zu wachsen. "Das war der entscheidende Trick", freut sich Heinzen immer noch. "Es war kein Nährstoff, sondern einfach ein Umweltfaktor."

Seit Einführung des neuen, so genannten axenischen Systems, sprich eine Reinkultur ohne Wirtszellen, wird verstärkt an der Mikrobe geforscht. Durch selektives Ein- und Ausschalten von Genen zeigte sich auch, wie das Bakterium mit seinen Wirtszellen interagiert, wie es sie infiziert und wie es sich darin vermehrt. "Die axenische Coxiella-Kultur hat das Forschungsfeld – ohne übertreiben zu wollen – völlig revolutioniert", sagt der Mikrobiologe Hayley Newton von der University of Melbourne in Australien. Das Bakterium wird leicht über die Luft übertragen und gilt als mögliche biologische Waffe. Deshalb arbeitet Heinzens Labor inzwischen an Stämmen mit inaktivierten Virulenzgenen, um diese letztlich zur Entwicklung von Impfstoffen einsetzen zu können.

Bakteriophage | Eine Bakteriophage dockt an seinem Opfer an: Diese Viren befallen gezielt Bakterien und könnten im Kampf gegen die Mikroben helfen.

Die Wissenschaftler suchen nun auch Kultursysteme für andere, bisher nur intrazellulär wachsende Mikroorganismen. Omsland forscht seit einiger Zeit an der Washington State University in Pullman und entwickelte dort ein zellfreies Kultursystem für das Pathogen Chlamydia trachomatis. Dieses ist zwar für die häufigste Geschlechtskrankheit beim Menschen verantwortlich, doch im Labor hat es noch niemand zum Wachsen gebracht. "Ich bin von Haus aus Optimist", sagt Omsland – und sein Erfolg mit C. burnetii macht ihm Hoffnung.

Kulturen im Miniaturformat

Eine ganz neue und schnellere Methode auf der Suche nach Rezepturen zur Bakterienkultur bieten so genannte mikrofluidische Chips – das sind Systeme mit tausenden kleiner Vertiefungen (Wells) in einer Platte, die durch Kanäle verbunden sind und viele Versuche parallel erlauben. Als Rustem Ismagilov und seine Kollegen vom California Institute of Technology in Pasadena ein bisher unbekanntes Bakterium im Mikrofluidchip kultivieren konnten, nannten sie es kurzerhand "isolate microfluidicus 1".

Ismagilov arbeitete schon an Mikrofluidsystemen, als im Jahr 2012 von Mikrobiologen eine Liste der "Most-Wanted-Taxa" veröffentlicht wurde. Das war praktisch ein Aufruf an die Forschergemeinde, sich mit der Anzucht und Sequenzierung solcher Bakterien zu beschäftigen, die in unserem Körper zwar relativ häufig vorkommen und mit bereits sequenzierten Spezies entfernt verwandt sind, die aber bisher im Labor nicht angezüchtet werden konnten.

Ismagilov und sein Team entwickelten ein etwa handgroßes Kultursystem mit 3200 Wells, jeweils mit einem Volumen im Bereich von Nanolitern. Die Forscher entnahmen Schleimhautproben aus dem Darm eines freiwilligen Spenders und verdünnten sie so stark, dass letztendlich nicht mehr als ein Bakterium pro Well zu liegen kam. Durch die große Anzahl an Wells erhöhten sie die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Wunschorganismus – ein im Darm des Menschen lebendes Bakterium der Gattung Oscillibacter – zumindest in einigen der Wells wuchs. Das Team testete auf etwa zehn Chips verschiedene Kulturbedingungen und bestimmte das Wachstum der Bakterien anhand eines Markergens.

Und tatsächlich wurden sie fündig, kultivierten das Bakterium in Petrischalen und hatte damit einen der ersten Kandidaten von der Liste erfolgreich zum Wachsen gebracht. Nachfolgende genetische Untersuchungen zeigten, dass isolate microfluidicus 1 gar nicht zur Gattung Oscillibacter zählt und damals nur falsch klassifiziert worden war: Es gehört nämlich zu einer neuen, aber verwandten Bakteriengruppe, an deren Charakterisierung die Wissenschaftler nun weiterarbeiten.

Ein essenzieller Faktor für das Wachstum des Bakteriums war eine kleine Menge einer Flüssigkeit, welche die Wissenschaftler aus dem Darm des freiwilligen Spenders isoliert hatten. Wesentlich von Vorteil zeigten sich dabei die minimalen Mengen an Kulturmedium im Mikrofluidystem, bei dem die wertvolle Probe auf Tausende von Ansätzen verteilt werden konnte, erklärt Ismagilov. Außerdem musste das einzelne Bakterium im Well nicht mit anderen in Konkurrenz treten. "Dank der Technik der Mikrofluidik können wir nun verschiedenste Kulturbedingungen sehr effektiv austesten und haben bessere Chancen, unsere Wunschbakterien tatsächlich zum Wachstum anzuregen", sagt er.

Xiaoxia Nina Lin arbeitet als Chemieingenieurin an der University of Michigan in Ann Arbor und nutzt Mikrofluidsysteme, um bisher nicht charakterisierte Organismen aus Fäkalien des Menschen aufzuspüren. Bakterien leben normalerweise in komplexen Gemeinschaften und benötigen andere Spezies zum Wachstum. Genau diese Abhängigkeiten möchte Lin herausfinden und gibt dazu jeweils zwei, drei oder vier Organismen in verschiedensten Kombinationen auf einen Chip. "Das ist eine gute Technik", findet Vincent Young, der an der University of Michigan an Infektionskrankheiten forscht und Lin bei der Beschaffung der klinischen Proben behilflich ist. "So lässt sich die Komplexität der Kulturen schnell reduzieren."

Schwämme im Korallenriff | Ökosysteme wie Korallenriffe sind nicht nur voller Tier- und Pflanzenarten, sondern auch Fundgruben für Mikroben – und potenzielle Gegenmittel.

Die Natur als Inkubator

Als Slava Epstein und Kim Lewis vor 15 Jahren erstmals zusammenarbeiteten, waren sie sich schon bald einig, dass man widerspenstige Bakterien nicht unbedingt im Labor kultivieren musste. Wenn sie doch schon glücklich in der Natur wachsen, warum sollte man sie dann nicht auch in ihrer natürlichen Umgebung für Experimente ziehen? Deshalb entwickelten die zwei Mikrobiologen von der Northeastern University in Boston in Massachusetts ein Kultursystem, das sie einfach in die Erde stecken konnten und nannten es "isolation chip", kurz iChip.

Ihre Arbeit zahlte sich Anfang dieses Jahres aus: Sie konnten über die Isolierung einer neuen Bakterienspezies mit Hilfe des iChip berichten. Der etwa daumengroße Miniinkubator war weniger aufwändig als ein mikrofluidischer Chip und bestand aus 384 winzigen Kammern, die mit Bodenproben gefüllt wurden. Weil diese vorab mit Agar gemischt und verdünnt worden waren, wurde im Idealfall in einer Kammer nur ein einziges Bakterium kultiviert. Der Chip wurde mit einer semipermeablen Membran abgedeckt, die zwar die Bakterien zurückhielt, Nährstoffe und Wachstumsfaktoren aber hin und her diffundieren ließ. Das ganze System wurde dann auf einer Wiese im US-Bundesstaat Maine in den Boden eingegraben und die Bakterien somit in genau demselben Habitat kultiviert, aus dem die Proben ursprünglich entnommen wurden.

Einen Monat später übertrugen die Forscher die Bakterienkolonien aus den iChip-Kammern auf Petrischalen im Labor und screenten Extrakte daraus auf Antibiotika. Auf diese Weise konnten sie inzwischen 10 000 Bakterientypen kultivieren – viel mehr, als sie mit Bodenproben auf gängigen Agarplatten hätten erreichen können. Eine ganz neue Art nannten sie Eleftheria terrae, das von ihnen produzierte Antibiotikum Teixobactin. Wie die Forscher fanden, tötet der Wirkstoff verschiedene Pathogene des Menschen zumindest im Labor ab, einschließlich multiresistentem Staphylococcus aureus (MRSA). "Ich finde es phänomenal, dass die Wissenschaftler kleinste neue Moleküle aus Organismen isolieren, die von der Pharmaindustrie bisher unbeachtet blieben", kommentiert der Biochemiker Sean Brady von der Rockefeller University in New York.

Wirklich zu Schlagzeilen führte aber erst die Entdeckung, dass andere Bakterien anscheinend keine Resistenzen gegen Teixobactin entwickeln – ein ansonsten großes Problem der Antibiotika. Der Grund liegt in der Bindung der Substanz an mehrere Stellen in der Zellwand, wodurch deren Synthese behindert wird. Der Wirkmechanismus macht es den betroffenen Bakterien auch schwer, durch einzelne Mutationen dem Effekt des Antibiotikums zu entgehen. Entscheidend ist, dass E. terrae selbst resistent gegen Teixobactin ist, aber anscheinend keine Resistenzgene besitzt, die es so einfach an andere Bakterien übertragen könnte. Das bedeutet zwar nicht, dass Resistenzen niemals auftreten werden, aber es könnte 20 oder 30 Jahre dauern.

Die Firma NovoBiotic hat inzwischen größere Mengen des Bakteriums kultiviert und produziert Teixobactin mittlerweise in Fermentern in größerem Maßstab, um ausführliche, präklinische Untersuchungen auch im Vergleich zu anderen Kandidaten neuer Antibiotika durchführen zu können. Nicht zuletzt will das Unternehmen natürlich auch weitere, potenzielle Wirkstoffproduzenten unter den bisher nicht kultivierbaren Bakterien aus Boden- und Meeresproben entdecken. Epstein selbst will mit dem iChip in Proben aus Griechenland Neues finden und hat in diesem Jahr auch schon mehr als 200 Anfragen und Anregungen zu seinem System erhalten.

Sequenzieren statt kultivieren

Trotz dieser Erfolge ist die Kultur vieler Bakterien immer noch ein schwieriges Auf und Ab, weshalb so manche Forscher lieber gleich auf DNA-Ebene schauen. Mit Hilfe moderner Sequenziermethoden lässt sich inzwischen auch das Genom einzelner Bakterienzellen ohne deren Kultur analysieren, anstatt wie bisher viele verschiedene Bakterientypen einer Lebensgemeinschaft zusammen zu untersuchen und anschließend mühevoll die Sequenzen einzeln zuzuordnen.

Tanja Woyke vom US Department of Energy's Joint Genome Institute in Walnut Creek in Kalifornien interessiert sich schon seit fast zehn Jahren für die Einzelzellsequenzierung, eigentlich seit der bahnbrechenden Entdeckung, wie mit Hilfe eines Bakteriophagen, sprich eines Bakterien infizierenden Virus, viele Kopien eines Bakteriengenoms hergestellt werden können. Woyke wollte mit diesen molekularen Werkzeug anfangs den Stammbaum der Bakterien weiter aufklären.

Deshalb sammelte sie mit ihrer Gruppe Proben aus neun verschiedenen Lebensräumen, darunter auch Sedimente einer heißen Quelle in Nevada und Meerwasser aus der Nähe einer hydrothermalen Tiefseespalte im Pazifik. Die Forscher isolierten etwa 200 Bakterienzellen, sequenzierten das Genom jeder einzelnen und klassifizierten sie in mehr als 20 neue Abstammungslinien, für die bisher keine Vertreter kultiviert werden konnten. "Sie haben die Einzelzellgenomik als Erste wirklich vorangebracht, besonders was die Menge an untersuchten Sequenzen und Einzelzellen betrifft", erklärt Hentschel.

Letztes Jahr veröffentlichte Jörn Piel von der ETH Zürich Daten zu bisher nicht kultivierbaren Bakterien aus Meeresschwämmen, die er mit Hilfe von Einzelzellsequenzierung und anderen Techniken erhalten hatte. Schwämme sind so genannte Filtrierer und produzieren alle möglichen Antibiotika wie auch Substanzen gegen Krebs und andere für die Medizin nützliche Stoffe – deshalb interessieren sich Wissenschaftler eigentlich schon lange dafür. Die Tiere bestehen bis zu 40 Prozent aus Bakterien, die wahrscheinlich auch die Produzenten der interessanten Substanzen sind; doch diese Gemeinschaft außerhalb der Meere zu kultivieren, war bisher unmöglich.

Piel und seine Mitarbeiter konzentrierten sich auf den Schwamm Theonella swinhoei, der etwa 1000 Bakterienarten beherbergt und Dutzende bekannter bioaktiver Stoffe produziert. Im Jahr 2011 sequenzierten sie die DNA einzelner, aus einem Schwamm isolierter Bakterien und untersuchten zwei an der Synthese der Substanzen beteiligte Gencluster. Die gesuchten Gene fanden sie schließlich in einem Bakterium aus der Gattung Entotheonella.

Am meisten überraschte Piel aber, dass anscheinend eine einzige Bakterienart für die Produktion fast aller bioaktiven Stoffe des Schwamms verantwortlich ist und alle hierfür benötigten Gene in sich trägt. Als Piel die Daten von seinen Kooperationspartnern bekam, konnte er sie fast nicht glauben: "Ich fiel beinahe vom Stuhl", erinnert er sich. Damit wurde auch zum ersten Mal gezeigt, dass ein bisher nicht kultivierbares Bakterium ein genialer Produzent vieler bioaktiver Stoffe sein kann. "Verschiedene Substanzen aus einem einzigen Bakterienstamm – das kommt wirklich selten vor", sagt er. Piels Labor versucht nun, Gencluster aus Entotheonella in bereits kultivierbare Bakterien wie Escherichia coli zu transferieren, um die Substanzen in größeren Mengen zu produzieren – ein nicht gerade einfaches Unterfangen, weil Biosynthesegene ziemlich riesig sein können. In weiteren Projekten screent Piel die Genome verschiedener Bakterien von Schwämmen aus Japan, Papua-Neuguinea und Israel und hofft, so weitere Superproduzenten zu finden.

In Genen schürfen

Der Biochemiker Michael Fischbach von der University of California in San Francisco untersucht Bakteriensequenzen auf ganz andere Weise: Er isoliert nicht die Einzelzellen, sondern durchsucht die immer umfangreicheren Gendatenbanken. Mit seiner Gruppe entwickelte er einen Computeralgorithmus, der Schlüsselmuster genau solcher bakteriellen Gene erkennen lernt, die mit der Synthese interessanter Substanzen wie Antibiotika in Zusammenhang stehen. Dann durchforstete er die Bakteriengenome auf der Suche nach neuen Genclustern mit ähnlichen Mustern.

Sein Ziel waren eigentlich die unzähligen Boden- und Ozeanbakterien, aber die Algorithmen fanden überraschend viele Muster in Bakterien aus dem Menschen, der auch Mikrobiom genannten Normalflora unseres Körpers. Fischbach betrachtete die Ergebnisse mit einer Mischung aus Freude und Ehrfurcht. Erfreut, weil die bioaktiven Stoffe größtenteils noch unerforscht waren und eine wichtige Rolle bei Gesundheit und Erkrankungen des Menschen haben könnten. Ehrfürchtig, weil er bisher immer mit Bodenbakterien gearbeitet hatte und hier neues Terrain betrat.

Doch Fischbach wollte es wagen und stellte all seine Projekte auf das Mikrobiom des Menschen um. Mit einer verbesserten Version des Algorithmus untersuchte sein Team etwa 2500 Mikroorganismen aus dem menschlichen Körper und fand dabei mehr als 14 000 an der Biosynthese beteiligte Gencluster. "Es war erstaunlich einfach, sehr interessante Moleküle im Mikrobiom des Menschen zu finden", sagt Fischbach. "Das hat nichts mit unserem Können zu tun – es gibt einfach noch so vieles zu entdecken."

Die Gruppe grenzte ihre Kandidatenliste dann auf etwas mehr als 3000 häufige Gencluster ein und landete schließlich einen Treffer: Das Antibiotikum Lactocillin wird von Bakterien in der Vagina produziert und ist eine der wenigen bioaktiven Substanzen, die aus dem Mikrobiom des Menschen bisher isoliert worden sind. Es blockiert das Wachstum häufiger Vaginalpathogene wie S. aureus, nicht aber das Wachstum von Bakterien der Normalflora. Fischbach will nun das zugehörige Molekül anhand der entdeckten Gencluster nachbilden, seine Struktur aufklären und zusammen mit Kooperationspartnern die Funktion untersuchen.

Das Gebiet der Naturprodukte habe sich bisher auf Mikroorganismen aus dem Boden und den Ozeanen fokussiert, weniger auf die aus dem Menschen, weiß der Biochemiker Gerry Wright von der McMaster University in Hamilton in Kanada. "Gene und Gencluster zu untersuchen, ist eine tolle Idee", lobt er. Die gefundenen Substanzen dann in echte Medikamente umzusetzen, wird seiner Meinung nach aber noch viel Laborarbeit kosten. "Einfach nur das Molekül zu analysieren reicht nicht aus, um seinen Wert als Medikament vorhersagen zu können." Und auch wenn es viel versprechend scheint, so sind die Hürden zur Vermarktung neuer Antibiotika doch ausgesprochen hoch.

Aber Lewis hat Hoffnung. Angesichts all der neuen Möglichkeiten zur Kultur und Analyse bisher unbekannter Bakterien überlegt er schon, was noch alles zu finden sein könnte. Er hofft auf eine Welle von Neuentwicklungen im Medikamentenbereich, vergleichbar der Waksman-Ära in den 1940er und 1950er Jahren, als der Mikrobiologe und Nobelpreisträger Selman Waksman mehr als 20 Antibiotika entdeckte, indem er systematisch Tausende von Bodenbakterien auf ihre wachstumshemmenden Eigenschaften screente. "Das Interessanteste daran ist doch, dass wir Substanzen mit ungewöhnlichen, uns bisher nicht bekannten Wirkmechanismen finden", meint Lewis. "Dabei haben wir bis jetzt nur an der Oberfläche der Erde gekratzt."

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