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News: Acrylamid

Gleich zwei Forschergruppen deckten unabhängig voneinander auf, wie die vermutlich krebserregende Substanz Acrylamid in Nahrungsmitteln entsteht: Schuld daran ist offenbar die Aminosäure Asparagin.
Im Frühjahr dieses Jahres leuteten schwedische Wissenschaftler den nächsten Lebensmittelskandal ein und verunsicherten die Verbraucher: Acrylamid, eine höchstwahrscheinlich krebserregende Chemikalie, soll in überraschend hoher Menge in vielen alltäglichen Lebensmitteln vorkommen.

Allerdings konnten sich die Forscher den Fund zunächst nicht erklären, weil die Zahl der Proben viel zu groß war, als dass eine Kontamination á la Nitrofen dahinter stecken konnte – außerdem meldeten Labors aus der ganzen Welt gleiche Ergebnisse: Acrylamid in Kartoffelchips, in Pommes frites, im Müsli, in Corn Flakes, in Brot...

Ein Zusammenhang war bald klar: Bei den getesteten Produkten handelte es sich scheinbar immer um pflanzliche Produkte, die viele Kohlenhydrate enthielten und darüber hinaus sehr stark erhitzt – also gebacken, getoastet oder frittiert – wurden. In gekochten Speisen trat die Substanz nicht auf. Als Ursache für die Entstehung kam demnach nur ein Prozess in Frage, der mit den "natürlichen" Ausgangsstoffen vereinbar und an große Hitze gebunden war.

Gleich zwei Forschergruppen deckten diesen Mechanismus jetzt unabhängig voneinander auf: Zugrunde liegt die so genannte Maillard-Reaktion – auch nichtenzymatische Bräunung genannt –, bei der Aminosäuren und Kohlenhydrate miteinander reagieren. Sie läuft bei allen Back- und Röstvorgängen ab und führt zur Bildung der typischen braunen Farb- und Aromastoffe. Dank ihr schmeckt gebackenes Brot besser als ein Klumpen roher Teig.

So ließen zum einen die Forscher um Donald Mottram von der University of Reading, zum andern Richard Stadler und seine Kollegen am Nestlé Research Center in Lausanne jeweils verschiedene Aminosäuren mit Zuckern reagieren. Und schon nach wenigen Testläufen hatten beide Arbeitsgruppen ihren Topkandidaten: Von allen Aminosäuren setzte Asparagin mit Abstand am meisten Acrylamid frei – die Art des verwendeten Zuckers spielte dabei offenbar kaum eine Rolle.

Vergleicht man die chemischen Strukturen von Asparagin und Acrylamid, kann man sich den Zusammenhang auch leicht vorstellen, denn beide Moleküle sind sich sehr ähnlich. Das Kohlenstoffgerüst und einige funktionelle Gruppen stimmen bereits überein.

Weil durch reines Erhitzen der Aminosäure kein Acrylamid gebildet wird, widmete sich Stadler dem ersten Schritt der Maillard-Reaktion, der Kopplung von Asparagin an Glucose. Er zeigte durch radioaktive Markierung, dass die Kohlenstoffatome im Acrylamid aus dem Asparaginmolekül stammen, und nicht Teil des Zuckers waren. Die Aminosäure wurde demnach in mehreren Schritten in das Acrylamid umgewandelt und muss dazu vor allem noch etwas zurechtgestutzt werden.

Diesem Teil wendete sich Mottram zu: Die Substanz 2,3-Butandion, welche beim Backen aus dem Zucker entsteht, reagiert seinen Ergebnissen zufolge ebenfalls mit Asparagin. Es kommt dann zu deren geforderten Verkürzung, die man auch Strecker-Abbau nennt. Was danach noch von der Aminosäure übrig bleibt, sieht dem Acrylamid schon fast zum Verwechseln ähnlich.

Da alle diese Reaktionen bei hohen Temperaturen schneller ablaufen, ist auch klar, warum beispielsweise in der Brotkruste mehr Acrylamid enthalten ist als in der Mitte eines Laibes: Dort wird das Brot einfach nicht so heiß. Das bedeutet aber natürlich auch, dass vor allem die leckeren, knusprigen Teile des Brots oder der Kartoffeln besonders belastet sind.

Apropos Kartoffeln: Jetzt verwundert es auch niemanden mehr, dass vor allem Kartoffelchips und Pommes frites aufgrund hoher Acrylamid-Werte in die Kritik geraten sind. Denn in Kartoffeln stellt Asparagin mit 40 Prozent den größten Anteil der gespeicherten Aminosäuren dar. Im Roggenmehl sind es etwa 18 Prozent, im Weizenmehl noch etwas weniger.

Da der Mechanismus nun bekannt ist – was lässt sich jetzt dagegen unternehmen? Eigentlich nicht viel, außer zum Beispiel asparaginarme Kartoffelsorten zu verwenden. Die Maillard-Reaktion lässt sich beim Backen jedenfalls nur schwer verhindern – außerdem würde dadurch auch automatisch der Geschmack stark beeinflusst werden. Wissenschaftlern und Behörden zufolge braucht sich momentan allerdings niemand Sorgen um seine Gesundheit zu machen, solange man sich ausgeglichen ernährt.

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