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News: Lockruf des Maiglöckchens

Wie finden Spermien den Weg ihrer Erfüllung? Ganz einfach: Sie riechen ihn.
Immer der Nase nach
Es ist dunkel und warm. Die Verluste waren verheerend; nur wenige Auserwählte sind übrig geblieben. Von einst 300 Millionen, die sich vor zwei Stunden gemeinsam auf den Weg gemacht haben, leben vielleicht noch 300. Unbeirrbar halten sie weiter ihren Kurs, schließlich haben sie eine Mission zu erfüllen. Doch letztendlich wird nur einer von ihnen sein Ziel erreichen – die anderen sind dem Untergang geweiht.

Die meisten dieser Botschafter des Lebens, die Spermien, scheitern bereits an den chemischen Hürden von Muttermund und Gebärmutter, den bis dahin Überlebenden steht dann noch die strapaziöse Reise durch den unendlich lang erscheinenden Eileiter bevor. Währenddessen kommt ihnen ihr Ziel, die Eizelle, entgegen. Im ersten Abschnitt des Eileiters, in der Ampulle, soll das Rendez-vous stattfinden.

Auch hier ist das Ziel längst nicht erreicht. Denn schließlich müssen sich Eizelle und Spermium auch finden, und die Hoffnung auf ein zufälliges Zusammentreffen wäre in den Weiten des Eileiters ziemlich vergebens. Doch wonach soll das umherirrende Spermium seinen Kompass ausrichten, um zum sicheren Hafen zu gelangen?

Die Antwort fällt verblüffend einfach aus: Sie schwimmen immer der Nase nach. Wie bei anderen Arten, orientieren sich auch die Spermien des Menschen an chemischen Lockstoffen, ausgesendet von der Eizelle. Doch wie die Samenzelle dieses chemische Signal empfängt, verarbeitet und dann letztendlich in einen gezielten Ruderschlag umsetzt, war bisher ein Rätsel.

Die Nase des Spermiums ließ sich jetzt aufspüren: Sie sitzt in der Zellmembran. Hier entdeckten Marc Spehr und seine Kollegen von der Ruhr-Universität Bochum einen Riechrezeptor, wie ihn Forscher sonst nur aus der Nase kennen. Und dieser Rezeptor mit dem schönen Namen hOR17-4 lässt sich von einem Duft betören, den man in einem Eileiter zunächst nicht erwartet: den Duft von Maiglöckchen.

Tatsächlich erwiesen sich die beiden Düfte Bourgeonal und Zyklamal, zwei synthetische Substanzen, mit denen der Geruch von Maiglöckchen industriell imitiert wird, als besonders wirksam. Bindet ein Duftmolekül an den Rezeptor, dann steigt der Calciumgehalt in der Samenzelle an, wodurch letztendlich die Bewegung der Geißel gesteuert wird.

Und dieser Geißelschlag erfolgt hochgradig gezielt, wie Verhaltensstudien der Forscher an menschlichen Spermien demonstrierten: Die Samenzellen orientierten sich in ihrer Schwimmrichtung exakt an dem Maiglöckchenduft und verdoppelten dabei auch ihre Schwimmgeschwindigkeit.

Die Wissenschaftler wissen allerdings noch nicht, ob es im Innern des Eileiters wirklich nach Maiglöckchen duftet. Arbeitsgruppenleiter Hanns Hatt zeigt sich jedoch optimistisch: "Jetzt müssen wir nur noch diese Substanz in der Follikelflüssigkeit oder in der Umgebung menschlicher Eizellen nachweisen, dann ist der erste biologisch aktive Lockstoff für menschliche Spermien gefunden."

Die Forscher fanden jedoch nicht nur Spermalockmittel, sondern zusätzlich noch einen Stoff, den die Samenzellen quasi nicht riechen können: Die Substanz Undecanal wirkt als Antagonist. Sie bindet ebenfalls an den Riechrezeptor und blockiert ihn damit – das Spermium paddelt daraufhin völlig orientierungslos umher.

Damit wäre der Weg frei für eine neue, hormonfreie Methode der Empfängnisverhütung, spekuliert Hatt: "Man kann den Spermien sozusagen die Nase zu halten und sie dadurch am Auffinden der Eizelle hindern."

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