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Kosmologie: Zu nah an der roten Laterne

Gute Sternenkarten zu zeichnen, ist eine Kunst. Vor allem in drei Dimensionen, denn um die korrekten Entfernungen zwischen den Objekten zu vermessen, müssen Astronomen sich einige Tricks einfallen lassen. Nun könnte eine der grundlegendsten kosmischen Messlatten sich als untaugliche Gummi-Elle erweisen.
Stephan's Quintet mit NGC 7319
Wir Menschen stehen nicht im Zentrum des Weltalls, und dennoch bewegt sich alles von uns fort. Die andauernde Ausdehnung des Universums schafft von jedem beliebigen Ort aus betrachtet ständig wachsende Distanzen zu den Sternen und Galaxien am Himmel. Je weiter entfernt ein Objekt ist, umso mehr expandierender Raum liegt zwischen ihm und uns, und umso schneller strebt es von dannen. So schnell, dass sogar die Wellen seines Lichts gestreckt und in den Spektrografen der Teleskope in den roten Teil des Spektrums verschoben erscheinen. Weil diese so genannte Rotverschiebung so wunderbar auf die Entfernung des Objektes schließen lässt, wurde sie zu einem grundlegenden Maßstab bei der Vermessung des Universums. Sag mir, wie rotverschoben das Licht ist, und ich verrate dir, wie weit es unterwegs war – lautete die Zauberformel der Astrometrie.

Doch wenn es stimmt, was ein Team von Astronomen auf dem Jahrestreffen der American Astronomical Society in San Diego laut vermutet hat, dann sind die Meilensteine im Weltall bald schwer am Wackeln. Im Herzen der Galaxie NGC 7319 wollen Geoffrey Burbidge von der Universität von Kalifornien in San Diego und seine Kollegen einen Quasar entdeckt haben, ein helles sternenähnliches Objekt. Das Problem dabei ist, dass NGC 7319 mit rund 300 Millionen Lichtjahren Entfernung praktisch gleich um die Ecke liegt, der Quasar bei einer Rotverschiebung von 2,11 aber eigentlich am Rande des Weltalls zu Hause sein müsste. Offenbar kann da irgendetwas nicht ganz stimmen.

Der erste und angenehmste Gedanke ist natürlich, dass die Galaxie und der Quasar nur rein zufällig von der Erde aus gesehen an der gleichen Stelle liegen, in Wirklichkeit aber mit großem Abstand hintereinander angeordnet sind. Dagegen spricht jedoch, dass das Quasarenlicht kaum durch interstellare Gase verschmiert erscheint, wie es bei weiten Distanzen passieren würde. Stattdessen sieht es in den Teleskopen des Lick-Observatoriums und dem Keck I-Teleskop auf Hawaii sogar so aus, als würden der Quasar und die Galaxie miteinander interagieren.

Genau das wäre zu erwarten, wenn der Quasar inmitten der Galaxie liegt, denn bei Quasaren handelt es sich nach dem aktuellen Wissensstand um massereiche Schwarze Löcher, die umgebende Materie aufsaugen. "Gäbe es nicht dieses Dilemma mit der Rotverschiebung, würde man diesen und andere Quasare für ein Produkt der Galaxien halten", sagt Burbidge. "Zu viele davon hat man in enger Verbindung mit naheliegenden aktiven Galaxien gefunden, als dass es sich um einen Zufall handeln könnte." Der Quasar in NGC 7319 hat mit seiner extremen Rotverschiebung und seiner mutmaßlichen Wechselwirkung mit der Galaxie den Widerspruch nun nachdrücklich auf die Tagesordnung gesetzt.

"Wenn dieser Quasar so dicht zu uns liegt, kann seine Rotverschiebung nicht durch die Ausdehnung des Weltalls erklärt werden", bringt Burbidge es auf den Punkt. "Und in diesem Fall entstünde Zweifel an der ganzen Idee, dass Quasare weit entfernte Objekte und überhaupt für die Kosmologie verwendbar sind." Mehr noch: Es fragt sich, ob das Konzept der Rotverschiebung überhaupt verlässlich wäre. Schließlich ist dieser Effekt eine der wichtigsten Stützen für das Modell des expandierenden Universums. Wenn aber Rotverschiebung nicht gleichbedeutend ist mit hoher Geschwindigkeit und großer Entfernung, schwankt unser Bild vom Kosmos an beängstigend vielen Stellen. Das neue Jahr begrüßt die astronomische Fachwelt also gleich mit einer delikaten Aufgabe.

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