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Mathematische Knobelei: Schach dem Quantencomputer

Nicht lange ist es her, dass der Mensch glaubte, er sei auf alle Zeiten der alleinige Herrscher über die 64 schwarzweißen Felder der geistigen Ehre. Doch dann lehrten erst Deep Blue und Deep Thought die Großmeister das Fürchten, und bald darauf verstiegen sich die heimischen Arbeitsrechner in weltmeisterliche Elo-Höhen. Was soll bloß werden, wenn dereinst die lange vorgelobten Quantencomputer sich anschicken, alle denkbaren Züge gleichzeitig durchzuprüfen?
Natürlich ist dieses Turnier ein Anachronismus. Sie wissen das, ich weiß das, sogar der Kollege Moser mitsamt seiner störend raschelnden Chips-Tüte weiß das. Aber verspüren Sie das nicht auch? Diesen Hauch von Heroismus? Diesen Kitzel von Aufopferung? Dieses tragische Aufbäumen des Schöpfers gegen die Übermacht seines Geschöpfes? Die Tapferkeit, mit welcher der Human-Schach-Weltmeister seiner grenzenlosen Unterlegenheit zum Trotz an das Brett tritt und mit gelassener Miene Platz nimmt, das hat doch etwas Großes. Eine machtvolle Symbolik. Auf der einen Seite das Rechenmonster Deep Quantum: Geballte Quantenpower, die ein für alle Mal die Krone im Schachsport erobern soll. Der erste Computer, der tatsächlich alle - und sein Erbauer setzt stolz drei !!! hinter dieses Wort - möglichen Zugfolgen einer Partie im Voraus berechnet. Das absolute Ultimo im Schach in seiner ersten Partie. Und gegen wen tritt er an? Gegen einen Menschen. Die Personifizierung des Fehlbaren. Ein weiches organisches Gehirn mit seinen eng beschränkten Fähigkeiten. Es wird ein Massaker werden, ohne Frage. Und wenn Kollege Moser nicht gleich seine Chips wegpackt, wird es ein zweites Gemetzel hier auf der Pressetribüne geben, das kann ich Ihnen auch schon versprechen.

Der Computer hat die schwarzen Figuren. Für ihn kann es nur den Sieg geben, denn die Möglichkeit eines Remis haben seine Entwickler ihm gar nicht mit auf den Weg gegeben. Das verspricht aggressives Spiel von Anfang an. Vorbei sind die Zeiten der ewig unentschiedenen Langeweile des menschlichen Schachs. Dem Human-Weltmeister bleibt da nur die schmähliche Niederlage - und ein erkleckliches finanzielles Trostpflaster zum Dank für den publicityträchtigen Auftritt. Er eröffnet sein Desaster mit einem fantasielosen e2-e4. Wir dürfen gespannt sein, mit welcher Antwort Deep Quantum ihn zermalmen wird. Die Lämpchen blinken, das Computerhirn geht alle möglichen Züge, Folgezüge und Folgefolgezüge bis zum Ende durch, errechnet praktisch alle überhaupt nur vorstellbaren Schachpartien - und wählt dann die beste Variante aus ... Das kann natürlich ein wenig dauern. Selbst Quantencomputer kochen nur mit Superpositionen ... Warten wir eben ein Weilchen ........ Wird ja wohl nicht ewig sein .......... Sind nun mal sehr viele Positionen .............. Meine Güte, die hätten die Kiste vielleicht zunächst im stillen Kämmerlein testen sollen .................. Mach hinne! Ich hab schließlich nicht ewig Zeit ..................... Moser, wären Sie so freundlich, mir mal die Chips rüberzureichen?........

Wie? Was? Wo? Oh, ach Sie sind das, Moser. Entschuldigen Sie bitte, da muss ich wohl eingenickt sein. Vielen Dank, dass Sie mich geweckt haben. Ja, ich sehe, es scheint sich auch am Spieltisch etwas zu tun. Der Roboterarm von Deep Quantum surrt nach vorne. Gleich werden wir ihn erleben: den optimalen Zug gegen e2-e4. Die Filz-besetzten Greiffinger fassen zu. Aber was ist das? Ist denn das die Möglichkeit? Ist denn das zu glauben? Meine geschätzten Knobelfreunde, ich wage kaum, es einzutippen: Deep Quantum hat seinen König umgekippt! Das Computerhirn gibt auf! Die beste Schachmaschine aller Zeiten nimmt den Kampf gar nicht erst auf! Moser, haben Sie eine Ahnung, was dahinter stecken könnte? Auch nicht. Es ist uns allen ein Rätsel. Unglaublich, doch damit steht es 1-0 für den Humanweltmeister. Vielleicht bringt die Pressekonferenz Aufschluss darüber, wie es zu diesem überraschenden Resultat kommen konnte ...

Und tatsächlich, liebe Knobelfreunde, soeben hat der Sprecher der Deep Quantum Cooperation der versammelten Fachpresse erklärt, was passiert ist. Seinen Worten zufolge hat Deep Quantum einwandfrei funktioniert, alle erdenklichen auf e2-e4 folgenden Partien durchgerechnet und festgestellt, dass Schwarz keine zwingende Möglichkeit zum Sieg hatte. Da für den Computer Remis und Patt unbekannte Ausgänge sind, hat er das Spiel mit der für ihn einzigen Option beendet: Er hat aufgegeben.

Die Entwickler von Deep Quantum haben außerdem verkündet, dass sie für die kommenden Partien den Computer um Remis und Patt erweitern wollen. Dazu müssen sie ein bereits bestehendes Platinenlayout mit Quantencomputer-Modulen bestücken. Die Platine ähnelt einem Gitter von 15 mal 15 Quadraten von Einheitslänge. Die Module messen jeweils 1 Einheit mal 1 Einheit und tragen an ihren Kanten die logischen Bauteile mit Schnittstellen an den Ecken. Diese Module sind so anzuordnen, dass jede Gitterstrecke der Platine vollständig mit logischen Bauteilen besetzt ist. Die Frage ist nur, wie viele der teuren Einheitsmodule benötigt man für diese Aufgabe mindestens? Nach der Katastrophe am Schachtisch wollen die Ingenieure nicht Deep Quantum selbst fragen. Und Kopfrechnen haben die in der Schule nicht gehabt. Es bleibt also wieder an Ihnen und Ihrem Sinn für vertracktes Denken hängen.
Schach dem Quantencomputer
Wie beruhigend, dass uns auf absehbare Zeit auch Quantencomputer noch nicht das Wasser reichen können. Geben wir den Konstrukteuren der Superhirne ein wenig Nachhilfe, um den Wettkampf Mensch-Computer ein wenig spannender zu gestalten.
Eine ökonomisches Problem wieder mal: Der Quantenrechner soll möglichst leistungsfähig sein, aber darf nicht viel kosten. Gespart wird an den Rechenmodulen. Deren Zahl soll minimal sein. Dennoch muss der Rechner, damit er richtig funktioniert folgendermaßen aufgebaut sein: Eine Fläche von 15 mal 15 Quadraten ist so mit 1 mal 1 großen Recheneinheiten zu besetzen, dass jede Kante des Gitters von einem der kleinen Rechen-Quadrate abgedeckt wird.

Offensichtlich müssen die Außenfelder der Platine komplett mit den Rechenklötzen zugepflastert werden, sonst wäre der Rand der Gitterplatine nicht vollständig besetzt. Wir brauchen also in jedem Fall schon einmal 4 mal 14 also 56 Steine. Der Rest des Netzwerks kann jedoch Platz sparend bestückt werden. Das geht am besten - wer hätte es gedacht - mit einem schachbrettartigen Muster der Recheneinheiten.

Prinzipiell gibt es nun zwei Möglichkeiten: Zum einen ließe sich das innere 13 mal 13 Einheiten große Areal mit einem Muster versehen, bei dem in den Ecken jeweils eine Recheneinheit sitzt und sich dann schön abwechselnd auf den benachbarten Felder keine, auf den übernächsten Nachbarn wieder eine und so weiter befindet. Eine solche Anordnung verbraucht weitere 7·7+6·6 also 85 Recheneinheiten. Macht in Summe 141.

Bei dem zweite Arrangement bleiben indes die Ecksteine des 13 mal 13 großen Feldes frei, stattdessen werden die Rechenmodule auf die benachbarten Feldern gesteckt, auf den übernächsten Nachbarn herrscht wieder Leere und so weiter. In diesem Fall braucht es 6·7+6·7 also 84 Bauteile. Summa Summarum werden demnach 140 Rechenquadrate benötigt.

Die zweite Lösung ist folglich etwas sparsamer und zu bevorzugen. Schach dem Quantencomputer

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