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Informationstheorie: Ri(e)chtungsweiser

Bienen spüren vergrabenen Sprengstoff auf, Hunde das Versteck entflohener Sträflinge - es scheint ein Kinderspiel, einem Duft zu folgen. Doch schnüffelnde Roboter auf die Suche zu schicken, ist keinesfalls trivial. Die Mathematik zeigt, wo es lang geht.
Simulation des Suchalgorithmus
Vielleicht noch auf der Suche nach der Bahnhofsbäckerei oder nach dem, "was da so angebrannt riecht" – sonst gebraucht der Mensch nur selten die Nase als Orientierungshilfe. In der Tierwelt dagegen ist der Geruchssinn ein kaum wegzudenkendes Werkzeug, um Nahrung zu finden, Feinden zu entfliehen oder paarungswilligen Artgenossen auf die Spur zu kommen: Salamander verfolgen Duftspuren auf der Suche nach Essbarem, Bienen hinterlassen Geruchsmarkierungen auf Blüten, Blattläuse springen von Pflanzen, wenn ein verdächtig riechender Marienkäfer naht, weibliche Schmetterlinge locken ihre Verehrer mit sparsamsten Duftwölkchen.

Wer sich nur auf das Sehen und Hören verlässt, dem kann so manches entgehen. Objekte können verdeckt oder gut getarnt sein. Geräusche können verwechselt, übertönt oder durch Echos verfälscht werden. Bei der Suche nach einem bestimmten Gegenstand hat das Riechen, also die Detektierung von bestimmten chemischen Substanzen einen Vorteile – vorausgesetzt, das gesuchte Objekt verströmt einen Geruch: Düfte sind sehr spezifisch, weil die Palette der chemischen Komponenten nahezu unbegrenzt ist.

Ein eindeutiger Nachteil des Riechsinns ist jedoch das Fehlen einer Richtungsinformation: Wir können nur schwer feststellen, woher ein Geruch kommt. Wer einer Geruchsspur folgen will, scheitert meist an der Tatsache, dass sie sich in separate Duftwolken aufgeteilt in unberechenbaren Strömungen zufällig ausbreitet. Einzig anhand der Duftkonzentration und räumlichen Verteilung der Wolken sowie der Windrichtung gelingt es vielen Tieren dennoch Geruchsquellen zuverlässig zu folgen.

Bei Forschern besonders beliebte Versuchsobjekte gehören zu den beiden Schmetterlingsarten Seidenspinner (Bombyx mori) und Tabakschwärmer (Manduca sexta). Bemerken Männchen die lockenden Pheromonwolken der Weibchen, so beginnen sie einen Zick-Zack-Flug gegen den Wind. Finden sie über längere Zeit keine neue Duftwolke, dann ziehen sie weite Kreise oder fliegen seitlich zum Wind, ohne sich vorwärts zu bewegen. Entdecken sie den Duft wieder, dann wechseln sie von dieser "Casting"-Strategie zurück in den "Zick-Zack"-Modus. Entscheidend für den Erfolg ist die Balance zwischen den beiden Strategien "Exploration" und "Exploitation": Erforschung der Umwelt einerseits, um Informationen über den Standpunkt der Quelle zu gewinnen, und der Bewegung andererseits, um in die vermutete Richtung der Quelle zu gelangen.

Ein französisch-amerikanisches Forscherteam um Massimo Vergassola vom Pasteur-Institut in Paris betrachtet die Suche als informationstheoretisches Problem und hat jetzt einen Algorithmus vorgestellt, der die – mathematisch gesehen – optimale Vorgehensweise beschreibt. Aus der Verteilung der bisher gefundenen Duftwolken wird eine Karte berechnet, die angibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich die Geruchsquelle an einem Ort im Raum befindet. Diese räumliche Wahrscheinlichkeitskarte besitzt eine "Entropie" – ein Maß für die Unsicherheit des Suchenden. Anfangs hat man wenig Informationen über den Ort der Geruchsquelle – die Wahrscheinlichkeitskarte bleibt also noch unscharf und die Entropie groß.

Simulation des Suchalgorithmus | Simulation des Suchalgorithmus: Die Duftquelle befindet sich oben links, der Suchende bewegt sich von unten rechts (schwarzes Dreieck) in Richtung der Quelle. Der Wind bläst den Duft von oben nach unten. Die Grauwerte geben die Wahrscheinlichkeit an, auf eine Duftwolke zu treffen. An den schwarzen Punkten hat der Suchende eine Woke detektiert. Die Farben spiegeln die Suchrichtung – von blau nach rot – wieder.
Um die Quelle möglichst schnell zu finden, muss mit jedem Suchschritt die Entropie so weit wie möglich reduziert werden. Gleichzeitig gewinnt die Wahrscheinlichkeitskarte an Schärfe; die Information bezüglich des Standorts der Durftquelle wächst stetig. Angelehnt an den Begriff "Chemotaxis" – der durch Stoffkonzentrationen gesteuerten Bewegung von Organismen – nennen die Wissenschaftler diese Methode deshalb "Infotaxis". Der Algorithmus sorgt automatisch für die optimale Mischung von "Exploration" und "Exploitation". In theoretischen Simulationen war die "Infotaxis" wesentlich schneller, als wenn sich die beiden Suchstrategien abwechselten.

Damit haben die Theoretiker ihre Arbeit zwar getan, doch bis zur perfekten Roboterspürnase ist es noch ein weiter Weg. Sowohl in der Empfindlichkeit, der Vielseitigkeit, als auch der Schnelligkeit liegen chemische Sensoren den Tieren weit zurück. Außerdem müssen auch zusätzliche Angaben, wie Windrichtung und -stärke und visuelle Informationen, verarbeitet und zuverlässig zusammengefügt werden. Hinzu kommt die eingeschränkte Navigationsfähigkeit heutiger Roboter.

AMOTH-Luftschiff | Das Luftschiff AMOTH der SPECS-Gruppe in Barcelona: Die kleine unten angebrachte Plattform trägt die Technik zur Detektierung von Chemikalien und Steuerung des Luftschiffs.
Viele dieser Probleme hat eine Forschergruppe am SPECS-Labor der Universität Pompeu Fabra in Barcelona bereits im Griff. Sie arbeiten zurzeit an einem kleinen unbemannten Luftschiff names "AMOTH" (Artificial Moth), dass zur Suche von Minen oder giftigen Chemikalien eingesetzt werden soll. Ihre Konstruktion orientiert sich am Verhalten und der Neurophysiologie von Schmetterlingen. Während die Suche nach einer Geruchsquelle im Labor sehr zuverlässig funktioniert, steht der erfolgreiche Außeneinsatz aber noch aus.

Bis riechende Suchroboter die nötige Reife für kommerzielle Anwendungen erreichen, ist also noch einige Forschungsarbeit zu erledigen. Solange müssen wir uns noch auf tierische Nasen verlassen.

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