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Angemerkt!: Sorry, Dominique!

Mit seiner Schilfboot-Expedition über den Atlantik will der Chemnitzer Dominique Görlitz "die Geschichte umschreiben". Doch ist das Unternehmen wirklich das "größte maritim-wissenschaftliche Abenteuer seit Thor Heyerdahl"?
Josephina Maier
Seit Wochen überbieten sich die Medien mit Meldungen über die Schilfboot-Expedition des Deutschen Dominique Görlitz. Mit einer zwölfköpfigen Crew ist der Chemnitzer seit dem 11. Juli in seinem nach steinzeitlichem Vorbild gebauten Segelboot "Abora III" von New York nach Europa unterwegs – er will damit beweisen, dass schon vor 14 000 Jahren Handel zwischen den Kontinenten stattgefunden hat. Und er scheint sich seiner Sache ziemlich sicher zu sein. "So wie die Zeit alle Mauern sprengt, wird die Abora III alle Vorstellungen über die Zeit vor der Zeit sprengen", kündigt er auf seiner Homepage an. "Sorry, Kolumbus – du warst nicht der Erste!"

Die Medien bezeichnen Görlitz abwechselnd als "Experimentalarchäologen", "Vegetationsgeografen", "Abenteurer" und "Steinzeit-Segler". Einen Segelschein hat er nicht. Mit seiner Atlantiküberquerung will der ehemalige Lehrer für Sport und Biologie trotzdem "die Geschichte umschreiben". Wer sich so weit aus dem Fenster lehnt, dessen Argumentation sollte zumindest gut durchdacht sein. Ist sie das?

Görlitz’ Beweisführungskette lässt sich im Wesentlichen auf drei Elemente herunterbrechen.

Paffte Ramses wirklich Zigaretten?

Der wissenschaftliche Hintergrund: In der Mumie von Ramses II. hätten Forscher, so Görlitz, Spuren von Kokain und Nikotin nachgewiesen – Stoffe, die es zu Lebzeiten des Pharaos in Ägypten noch nicht gab und die folglich aus Amerika stammen mussten.

Das entscheidende Indiz: Görlitz will beim Studium prähistorischer Felsbilder aus Oberägypten bestimmte Striche an Schiffszeichnungen als Kielschwerter identifiziert haben, mithin als Steuerungselemente, die eine Atlantiküberquerung von West nach Ost erst möglich machen. In dieser Richtung ist die Überfahrt besonders schwierig, weil die Crew gegen den Wind kreuzen muss – die Kielschwerter machen’s möglich.

Der finale Beweis: Der Chemnitzer segelt von New York nach Portugal – und dies so authentisch wie möglich. Sein Schiff ließ er "auf traditionelle Weise von den bolivianischen Aymara-Indianern" bauen.

Moment mal – ein Schiff prähistorisch-oberägyptischer Bauweise, von heutigen bolivianischen Indianern authentisch konstruiert?

Oberägyptischer Bootsbau am Titicacasee

Nach Rückfrage bei Dietrich Wildung, dem Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin, wirkt schon der erste Teil der Argumentation des Chemitzers schnell nicht mehr so überzeugend. Der Mythos vom paffenden Pharao sei schon vor Jahren als Überinterpretation chemischer Analysen enttarnt worden, sagt Wildung, der von Görlitz’ Expedition im Rundfunk gehört hat. Die vermeintlichen Spuren von Tabak und Kokain seien Produkte von Zersetzungsprozessen in der Mumie, mitnichten also ein Beweis für transatlantischen Handel in der Steinzeit. Auch Kielschwerter hat bislang nur Görlitz auf den prähistorischen Zeichnungen ausmachen können. Der Ägyptologe Wildung kann nur dazu raten, bei der Interpretation vorsichtig zu sein. Ein noch größeres Fragezeichen setzt er hinter das angenommene Alter der Steinzeichnungen: "Die genaue Datierung von Felsbildern ist derzeit noch kaum möglich. Außer in Einzelfällen, in denen eindeutig datierbares Beweismaterial neben den Bildern gefunden wurde, können solche Zeichnungen 500, genauso gut aber auch 5000 Jahre alt sein."

Görlitz selbst hat die ägyptischen Felszeichnungen, nach deren Vorlage sein Schiff entstand, auf älter als die 5. Dynastie geschätzt. Seiner Meinung nach entstanden sie also mehr als 2500 Jahre vor Christus. Er begründet das damit, dass den Schiffszeichnungen ein Ruderrast fehlt, der in der 5. Dynastie eingeführt wurde.

Geisteswissenschaftliche Beweisführung

Doch was könnte er überhaupt beweisen? Selbst wenn die Ägypter bereits in der Frühzeit über Steuerelemente an ihren Schiffen verfügten, mit denen sie die Atlantiküberquerung hätten schaffen können, belegt eine gelungene Überfahrt noch lange keinen steinzeitlichen Handel. Sie könnte höchstens zeigen, dass dies theoretisch möglich gewesen wäre. Der Direktor des Ägyptologischen Institut der Universität Heidelberg, Joachim Friedrich Quack, beurteilt die Argumentation des Chemnitzers jedenfalls extrem skeptisch. "Geisteswissenschaftliche Beweisführung sieht anders aus", sagt er. Dominique Görlitz und seiner Crew wird das wahrscheinlich egal sein – sie sehen ihre Unternehmung als "größtes maritim-wissenschaftliches Abenteuer seit Thor Heyerdahl".

Vielleicht meint Görlitz mit "wissenschaftlich" ja auch die psychologisch betrachtet hochinteressante Situation auf dem Schilfboot, wo zwölf Crewmitglieder über Wochen auf engstem Raum zusammenleben. Görlitz hat zumindest schon einen Ansprechpartner parat für den Fall, dass seine Besatzung nach der Expedition psychotherapeutische Beratung braucht: Für schlappe 2700 Euro bietet sein Hauptsponsor – gleichzeitig für die wissenschaftliche Koordination zuständig – die Teilnahme an einem einwöchigen "Quadrinity-Prozess" an, einer "Psychotherapie für Menschen, die tagtäglich merken, dass mit ihrem Leben etwas nicht stimmt". Leider ist der Koordinator nicht immer erreichbar. Von der Mailbox jedoch erfährt der Anrufer, dass für den nächsten Quadrinity-Prozess noch Plätze frei sind. Na dann mal los!

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