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Limnologie: Gesunde Tönung

Es schien ein Anlass zur Sorge: Rund um die Nordhalbkugel beobachteten Forscher in den letzten Jahren steigende Gehalte von gelöster organischer Substanz in Gewässern, oft schon mit bloßem Auge sichtbar als deutliche Braunfärbung durch Huminstoffe. Klimawandel, Landwirtschaft, Stickstoffeintrag - die vermuteten Ursachen ließen Böses für die Zukunft ahnen. Jetzt gibt es Entwarnung.
Bach in Moorgebiet
Schreckensszenarien beherrschten Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre die Medien: Nurmehr Baumgerippe auf ausgelaugten Böden, so die Befürchtung, würde der Saure Regen einst übrig lassen. Das Waldsterben aktivierte umweltbewusste Menschen weltweit, verschaffte davon getragenen "grünen" Parteien Wählerschaft und der Wissenschaft ein neues Forschungsgebiet: Sie analysierte penibelst die Folgen des Säureeintrags aus der Luft für Böden und Gewässer.

Viele der damals entstandenen großflächigen Messnetze wurden inzwischen stillgelegt. Doch die verbleibenden registrieren seit 20 Jahren in ihren Wasseranalysen ein beunruhigendes Phänomen: Der Eintrag an gelöster organischer Substanz nimmt zu – jene Überreste von verrottendem Laub und anderem Material, das von den Bodenorganismen zerlegt wurde. Vieles davon wird von Bakterien gleich weiter mineralisiert, doch die komplexeren Huminstoffe sind auch für sie schlecht verdaulich, und so verfärbte sich so mancher Bach oder See zunehmend charakteristisch braun.

Die Ursachen blieben umstritten: Beschleunigten die steigenden Temperaturen durch den Klimawandel den Abbau? Dann wäre so manche erhoffte Kohlenstoffsenke in Gefahr. Sorgte unangepasste Landwirtschaft für ein verstärktes Einschwemmen von Humus in die Gewässer? Schwächten Stickstoffeinträge die Abbauleistung der Bodenorganismen, wodurch mehr Huminstoffe ausgewaschen wurden? Was sich auch letztlich bewahrheiten würde – alle konnten als Anzeichen für eine bedenkliche Entwicklung gelten.

Um den oder die Schuldigen zu entlarven, nahmen Donald Monteith vom University College London und seine Kollegen nun Daten aus den Jahren 1990 bis 2004 von über 500 Messstationen in Europa und Nordamerika unter die Lupe. Und melden überraschend: Freispruch für alle Angeklagten und Entwarnung für die Gewässer.

Die Forscher konnten keinerlei statistisch signifikanten Zusammenhang und nur in Einzelfällen regional beschränkte Trends zwischen Temperaturänderungen, Landnutzung oder den Nitratgehalten als Maß für den Stickstoffeintrag feststellen.

Dafür stießen sie auf eine andere Verknüpfung: In dem Maß, in dem die Konzentrationen des gelösten organischen Kohlenstoffs (DOC) kletterten, gingen die Werte für Sulfat und Chlorid zurück – Ersteres ein Erfolg der zahlreichen Maßnahmen gegen den Schwefelausstoß im Kampf gegen den sauren Regen, Letzteres ein klimatischer Effekt, da an den hiervon betroffenen küstennahen Stationen im untersuchten Zeitraum weniger Stürme auftraten, die sonst salzreiche Luft ins Inland geblasen hatten.

Doch was hat saurer Regen mit der Freisetzung von Huminstoffen zu tun? Monteith und seine Kollegen halten mehrere Mechanismen für wahrscheinlich. Zum einen beeinflussen mit der Luft eingetragene Substanzen den pH-Wert des Bodens. Die Löslichkeit der im Boden gespeicherten organischen Substanz aber nimmt mit steigenden pH-Werten zu – je weniger Säure also der Regen bringt, desto eher werden die Huminstoffe mobil.

Außerdem wird in sehr sauren Böden Aluminium frei, das seinerseits organische Stoffe bindet und sie so unbeweglich macht. Mit den steigenden pH-Werten auf Grund sinkender Säureeinträge aber bleibt das Aluminium gebunden – und der Wanderung gelöster Huminstoffe steht nichts mehr im Weg. Und schließlich hatte sich in Laborversuchen gezeigt, dass bei einem geringeren Angebot an mehrwertigen Ionen – wie SO42- oder Al3+ – die gelöste organische Substanz ebenfalls weniger bewegungsfreudig bleibt.

Die allerorten zu verzeichnende Braunfärbung von Gewässern ist daher kein Zeichen für ein krankes, sondern für ein genesendes System: "Auf gewisse Weise sehen wir die Rückkehr der Gewässer in ihren früheren, vorindustriellen Zustand", so Monteith. Daraus könnte auch folgen, dass Böden in Zeiten des Klimawandels nicht im befürchteten Maß von Kohlenstoffsenken zu -quellen würden, erklären die Forscher.

Eines aber sollte man keinesfalls vergessen: Der saure Regen durch Schwefeleinträge mag erfolgreich bekämpft worden sein. Der Stress für Wälder, Böden und Gewässer durch den Stickstoffeintrag aus der Luft aber macht Wissenschaftlern berechtigte Sorgen.
"Auf gewisse Weise sehen wir die Rückkehr der Gewässer in ihren früheren, vorindustriellen Zustand"
(Donald Monteith)
Nicht umsonst fordern auch Monteith und seine Mitarbeiter, dass weitere detaillierte Studien zu diesen komplexen Zusammenhängen nötig sind.

Doch Waldschadensforschung ist "out", die Gelder dafür immer knapper bemessen. Mögen die Gerippe auf ausgelaugtem Untergrund als Schreckensbild auch nicht mehr taugen – von Genesung lässt sich bei unseren Wäldern noch lange nicht sprechen.

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