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Sprachpsychologie: Rationale Bestecher

Unsere wahren Absichten verbergen wir nur allzu gerne hinter doppeldeutigen Aussagen. Das soll nicht einfach nur weniger plump wirken, glaubt der Harvard-Psychologe Steven Pinker. Er sieht ein ganz anderes Motiv: eine simple Kosten-Nutzen-Rechnung.
Im Gespräch
"Willste noch mit raufkommen, meine Briefmarkensammlung anschauen?" Auch wenn der Klassiker unter den sexuellen Anspielungen längst in der Mottenkiste lagert: Zu Beginn einer Romanze gehört das Tricksen mit doppelbödigen Anspielungen allemal dazu. Aber warum nur? Entweder läuft man Gefahr, missverstanden zu werden, oder die Offerte ist so offenkundig, dass sie beim besten Willen niemand falsch interpretieren kann.

Das sei allerdings hochgradig ineffektiv und daher schon aus evolutionstheoretischer Sicht ein Problem, meinen Steven Pinker, Psychologe und Linguist von der Harvard-Universität in Cambridge, und seine Kollegen. Es müsse folglich eine Logik dahinterstecken, wenn wir beinahe immer und überall unsere wahren Absichten mehr oder weniger verklausuliert ausdrücken – und zwar wohlgemerkt in der Hoffnung, durchaus verstanden zu werden.

"Ach, so viel Papierkram, Herr Wachtmeister ..."

Die Verwendung solcher "indirekter Sprechakte" reicht vom simplen "Hier zieht es aber" ("Mach endlich das Fenster zu!") bis zum hochriskanten Pokern um eine Bestechung von Amtspersonen ("Muss denn der ganze Papierkram wirklich sein, Herr Wachtmeister!?"). In der Regel stellen Linguisten sie in einen Zusammenhang mit Höflichkeit und Konvention: Indem wir eine Aufforderung indirekt formulieren, lassen wir dem anderen die Freiheit, unter Wahrung seines Gesichts abzulehnen – ein Spiel, das beide Gesprächspartner gemeinsam betreiben, weil Kooperation sich in den meisten Fällen auszahlt.

Aber eben nicht in allen, wendet Pinker ein. Als Merkmal gesellschaftlichen Miteinanders sei der Konflikt mindestens genauso wichtig wie die Kooperation. Vor allem die Frage, wie er seine ganz persönlichen Interessen durchsetzen kann, mache der Sprecher deshalb zum Gegenstand einer einfachen Kosten-Nutzen-Rechnung.

Schätzen wir unser Gegenüber falsch ein, käme uns das womöglich teuer zu stehen: schlimmstenfalls in Form einer Anzeige, zumindest aber verursache es Peinlichkeit und einen Bruch in der Beziehung. Dennoch müssen wir für unsere Ziele das Risiko eingehen. Spieltheoretisch lässt sich das als so genanntes Identifikationsproblem bezeichnen: Was tun, wenn wir nicht wissen, an wen wir geraten sind?

"... ich hätte da eine bessere Idee!"

Wie sich der "rationale Bestecher" zu verhalten hat, lässt sich nun mathematisch bestimmen, wobei sich das Ergebnis exakt mit dem deckt, was uns bereits der gesunde Menschenverstand eingeflüstert hat: Die günstigste Option ist die, die noch einen einigermaßen plausiblen Rückzugsweg bietet. Dann ist zwar der Bestechungsversuch gescheitert, eine Bestrafung bleibt jedoch aus. Und weil die einzige Möglichkeit, einen Rückzieher zu machen, im Abstreiten besteht, ist jeder gut beraten, der sich vorher nicht allzu weit aus dem Fenster lehnt.

Warum sich Anspielungen auszahlen | Das Schema zeigt, die verschiedenen Fälle, mit denen ein Mensch beim Identifikationsspiel konfrontiert ist. Der eingerahmte Fall hat insgesamt die höchste Auszahlung: Ein verstecker Bestechungsversuch stellt die beste Strategie dar.(nach: Pinker et al. Proceedings of the National Academy of Sciences,doi 10.1073/pnas.0707192105 (2008))
Bleibt die Frage nach den – auch nicht eben seltenen – wirklich unmissverständlichen Anspielungen. Hier kann sich keiner auf die Behauptung verlegen, etwas ganz anderes gemeint zu haben. Sie müssten folglich wie eine ganz und gar unverblümte Bemerkung funktionieren.

Im Zweifel (meistens) für den Angeklagten

Dieser Einwand sei in der Tat berechtigt, meint Pinker, kontert ihn aber mit dem Hinweis, in der Welt der Sprache gebe es keine Abstufungen, sondern nur diskrete Merkmale – ein reines Entweder-Oder. Untersuchungen in anderen Lebensbereichen hätten gezeigt, dass Menschen eine Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent grundlegend anders behandeln als (100-prozentige) Sicherheit. Gleiches gelte auch für diesen Fall: Selbst wenn nur noch theoretisch die Möglichkeit des Abstreitens besteht, behandle der Hörer die Äußerung als indirekt.

Das hat laut Pinker zur Folge, dass beispielsweise noch der plumpste Annäherungsversuch im Nachhinein ignoriert werden kann, und das Prinzip "im Zweifel für den Angeklagten" gilt. Eine gerade herausgeschossene sexuelle Offerte erzwingt jedoch eine Änderung der Beziehung. Ist einmal der entscheidende Satz heraus, weiß jeder, dass der andere weiß, dass der andere weiß ... Da hilft auch Leugnen nicht mehr weiter.

Ein passendes Beispiel hat Pinker dazu in der Literatur gefunden. In "Des Kaisers neue Kleider" endet der Spuk erst, als ein kleiner Junge auf den vorbeischreitenden Monarchen zeigt und ausspricht, was längst alle wissen: "Der Kaiser ist ja nackt!", ruft er. Und wer von uns würde dann nicht gern umgehend alle Beziehungen abbrechen wollen!

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