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Umweltchemie: Vergiftete Blüten

Nett anzusehen sind sie ja schon, die Eisblumen, die sich mitunter in kaltem Wetter auf dem arktischen Ozean bilden. Doch tragen sie eine giftige Fracht: Quecksilber. Noch ist ungeklärt, woher es überall stammt.
Frostblumen auf arktischem Eis
Die Arktis ist schon lange keine unberührte Wildnis mehr: Russen und US-Amerikaner bohren nach Öl und Gas, Norweger und Kanadier schürfen Kohle und Erz. Und Wind und Meer tragen Schwermetalle, Pestizide oder Lösungsmittel ins Eis, wo sie sich in Sümpfen oder im Gewebe von Fisch, Vogel und Säugetier anreichern.

Verteilung von Brom | Die Verteilung von Brom über dem Nordpol im April 2004. Erhöhte Brom-Konzentrationen (rot) sind über den Regionen, in denen neues Meereis gebildet wird, zu finden. Neueisbildung findet vor allem entlang der Küste statt, wo durch so genannte ablandige Winde das Eis aufreißt und danach der Ozean wieder gefriert.
Besonders perfide tritt dabei eine Sonderform der Schwermetall-Belastung auf: Quecksilber, das sich in filigranen Eisblumen verbirgt. Die fragilen Skulpturen blühen auf, wenn sich im Frühling erste Spalten und Risse im Eis öffnen und der aus dem Wasser aufsteigende Dampf in der kalten Luft zu bizarren Formen gefriert. Aber es sind vergiftete Blüten, wie Wissenschaftler um Thomas Douglas vom Cold Regions Research and Engineering Laboratory der US-Armee in Fort Wainwright in Alaska messen mussten.

Wie im Industriegebiet

Bisweilen übertrafen die von ihnen um Point Barrow in Alaska gesammelten Proben sogar die Quecksilber-Werte, wie sie normalerweise um Kohlekraftwerke – eine wichtige Quelle für das Flüssigmetall – auftreten. Ein Nachweis, der die Forscher schockierte wie verwunderte, denn bislang waren Chemiker der Ansicht, dass Sonnenlicht im Eis gefangene Quecksilber-Verbindungen knackt und damit unschädlich macht. Doch das Gegenteil scheint der Fall, denn in der Gefrornis reichern sich die giftigen Substanzen sogar noch verstärkt an, während sie gleichzeitig aus der Atmosphäre verschwinden.

Warum das so ist, konnte bislang noch nicht schlüssig geklärt werden. Deshalb wagten sich Douglas und seine Kollegen hinaus auf das Meereis, was im Frühling durchaus gefährlich werden kann: "Es ist bitterkalt, und man steht auf Eis, das sich bewegt und bricht." Zusätzlich zur eigenen Probennahme steuerten die Forscher deshalb auch einen ferngelenkten Flugdrachen über das Gelände, das frischen Frost vom Eisfeld sammeln sollte, wo sich kein Mensch mehr ungefährdet hinwagen konnte.

Ihr Wagemut lohnte sich: Bricht das Eis auf, steigt Dampf aus dem Meer, der Bromide mit sich führt. Diese Halogensalze sind in größeren Mengen im Salzwasser gelöst und wirken in der Atmosphäre als Katalysatoren, die unter Sonnenlicht die Umwandlung von reinen Quecksilber-Dämpfen in eine reaktionsfreudigere Variante erleichtern. Diese Substanz haftet wiederum leicht an Eiskristallen an, die auf diese Weise die Atmosphäre säubern, das Toxin aber in ihrem Kristallgitter anreichern: Je größer die Oberfläche der frostigen Blumen ausfällt, desto effektiver sammeln sie das Metall an. Und da die Bromide mit dem Wasserdampf über große Distanzen wandern können, wirken sie in nahezu allen Küstengebieten der Arktis und konzentrieren das Schwermetall dort beispielsweise im ausfallenden Schnee – selbst fernab der Zivilisation.

Meereisblumen | Meereisblumen auf einer "überfrorenen" Rinne, fotografiert in der Nähe von Spitzbergen. Die Eiskristalle saugen das konzentrierte Salzwasser von der Oberfläche des darunterliegenden jungen Meereises.
Unklar bleibt jedoch noch, woher das Quecksilber ursprünglich stammt, denn es existieren nur wenige natürliche Quellen wie Vulkane, die etwa sechs Prozent beitragen. Dagegen stammen nach Angaben des US Geological Survey zur Zeit rund siebzig Prozent der Emissionen aus Menschenhand. Einen Verdächtigen hat Douglas daher schon im Blick: die US-amerikanische Industrie, die jährlich etwa 150 Tonnen des giftigen Metalls aus Kohlekraftwerken, der Chlorchemie und Müllverbrennungsanlagen freisetzt. Über atmosphärische Strömungen gelangen die Emissionen nach Norden, wo sie vom Regen ausgewaschen oder vom Eis ausgefiltert werden. Eine weitere Quelle vermutet er in Fernost: "China nimmt jede Woche eine neues Kohlekraftwerk in Betrieb, deren Abgase mit dem Wind nach Alaska treiben. Es überrascht uns also nicht, dass wir hier große Mengen Quecksilber aufspüren."

Gefahr für Mensch und Tier

Gelangt das Metall vor Ort schließlich in die Biosphäre, wandeln es Mikroorganismen an Land oder im Meer in Methylquecksilber um, das noch weitaus toxischer als die elementare Form ist. Denn im Gegensatz zur silbrigen Flüssigkeit des reinen Quecksilbers wird die organische Verbindung schneller vom Körper aufgenommen und im Gewebe gespeichert, aber langsamer wieder abgegeben. In der Nahrungskette reichert es sich an und führt in höheren Konzentrationen bei betroffenen Säugetieren, Vögeln oder Fischen zu Zwergwuchs, Verhaltensstörungen und Unfruchtbarkeit oder Erbgutschäden. Beim Menschen schädigt das Gift bei ausreichender Aufnahme das Gehirn, das Herz-Kreislauf- sowie das Immunsystem – besonders anfällig ist die Hirnentwicklung von Ungeborenen und Kindern.

Douglas und seine Kollegen mahnen daher an, die strengen Grenzwerte für den Quecksilber-Ausstoß nicht zu verwässern, wie es die Regierung von George W. Bush jüngst geplant hatte: Kohlekraftwerke hätten sich über einen Zertifikatehandel von härteren Auflagen freikaufen können, ohne selbst mehr zur Reduzierung ihrer Quecksilber-Last tun zu müssen. Ein Gericht hat dieses Gesetz jedoch Anfang Februar blockiert und zur Überarbeitung zurückgewiesen. Damit sollte gewährleistet sein, dass sich ein positiver Trend auch in den nächsten Jahren fortsetzen kann: Zumindest die US-Emissionen sinken seit mehr als 15 Jahren kontinuierlich.

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