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Sozialverhalten: Bildung fast zum Nulltarif

Jüngere in die Schule zu schicken, galt lange als rein menschliche Errungenschaft. Längst aber wissen wir, dass auch andere Spezies dem Nachwuchs gezielt praktische Methoden beibringen. Während bei uns aber der Staat die Kundigen dafür bezahlt, sieht die Kosten-Nutzen-Rechnung in freier Wildbahn anders aus - und dementsprechend auch das Engagement der Lehrenden.
Erdmännchen
Essen kann lebensgefährlich sein. Zum Beispiel, wenn "Skorpion" auf der Speisekarte steht: Mit geschickten Fingern gilt es hier, den giftspritzenden Stachel und auch die scharfen Scheren schnell zu entsorgen, bevor sie Schaden anrichten. Wer sich darin üben will, sollte Erdmännchen zuschauen: Sie sind einsame Spitze im Spinnentierknacken.

Da aber auch bei ihnen kein Meister vom Himmel fällt, unterrichten die Älteren den Nachwuchs in der richtigen Technik – und das ausgesprochen didaktisch sinnvoll: Während die lieben Kleinen zunächst nur Teile des Leckerbissens oder zumindest entstachelte Exemplare vorgelegt bekommen, steigern die Lehrer nach und nach mit dem Alter und der Erfahrung ihrer Schützlinge den Schwierigkeitsgrad. Dabei überwachen sie die Bemühungen ihrer Schüler und greifen notfalls helfend ein, wenn die Mahlzeit abzuhauen droht oder die Fähigkeiten der hungrigen Jungspunde überfordert.

Erdmännchen | Erdmännchen (Suricata suricatta) leben in sozialen Gruppen von bis zu 40 Tieren im Süden Afrikas. Die Tiere unterstützen sich untereinander in der Aufzucht der Jungen.
An diesem Unterricht beteiligen sich keineswegs nur die Eltern, was auf den ersten Blick naheliegend wäre. Auch andere Gruppenmitglieder unterweisen den Kindergarten, sogar wenn sie selbst mit drei bis sechs Monaten gerade erst als Jugendliche anzusehen sind. Da letztere aber noch mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, die ihren Lehreifer vielleicht dämpfen könnten, sah sich Alex Thornton von der University of Cambridge die Kosten für die Dozenten einmal genauer an. Schließlich raubt der Aufwand für die Anderen wertvolle Zeit für die eigene Nahrungssuche, und das könnte doch hinsichtlich der eigenen Magenfüllung negativ zu Buche schlagen.

Die von Thornton beobachteten Tiere in der Kalahari sind menschlichen Besuch gewohnt: Bis auf weniger als einen Meter konnte sich der Forscher nähern, und mit hartgekochten Eiern ließen sich die zu den Mangusten zählenden Karnivoren sogar auf eine Waage locken. Das ermöglichte dem Zoologen, ein penibles Protokoll über die Aktivitäten und die Gewichtsveränderungen bei verschiedenen Erdmännchen-Gruppen zu führen und statistisch auszuwerten.

Unterrichtsstunde? | Erdmännchen unterrichten ihren Nachwuchs darin, wie sie schwierige Beute behandeln müssen – zum Beispiel bei Skorpionen den Stachel entfernen.
Die Ergebnisse bestätigen zunächst einmal die bisherigen Beobachtungen: Große Skorpione werden eher zerteilt übergeben als kleine, und die Lehrenden steigerten mit der Zeit den Schwierigkeitsgrad. Ältere Gruppenmitglieder neigten dabei eher dazu, größere oder gar intakte Happen zu verteilen als jüngere.

Thornton vermutet als Erklärung dafür, dass jugendliche Helfer in einem Zwiespalt stecken: Sie müssen selbst noch einiges in ihr Wachstum investieren und zahlen damit eigentlich einen hohen Preis, wenn sie Beute für andere fangen und weitergeben. Dementsprechend bedeutet für sie der Verlust eines großen Skorpions weit mehr als der eines kleinen: Neben dem Jagdaufwand müssen sie die Kleinen länger und intensiver überwachen, damit diese damit zurecht kommen. Also gehen sie lieber auf Nummer Sicher und reduzieren das Risiko, dass ihre ganze Mühe umsonst war.

Den Senioren unter den Erdmännchen macht es hingegen weniger aus, wenn ein noch lebender Skorpion entwischt: Sie sind ausgewachsen und ihre Kosten in den Unterricht damit geringer – da darf es dann auch mal schiefgehen.

Insgesamt aber schätzt Thornton die Unterrichtskosten vergleichweise gering ein – er konnte keinen Zusammenhang feststellen zwischen dem Gewicht der Lehrenden und dem Aufwand, den sie treiben. Womöglich sei dies die Grundvoraussetzung, dass sich solche Lehrstunden in sozial lebenden Tieren überhaupt entwickelt haben.

Und dass sich Lernen lohnt, zeigen auch die Vorteile für die Gruppe an sich: Die Jungen werden schneller selbstständig, die Gemeinschaft wächst, mehr Mitglieder können sich dadurch die Betreuung teilen, Verwandtschaft wird gefördert – und man kann schneller dazu übergehen, leckere Skorpione auch wieder für sich selbst zu knacken.

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  • Quellen
Thornton, A.: Variation in contributions to teaching by meerkats. In: Proceedings of the Royal Society B 10.1098/rspb.2008.0268, 2008.

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