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Bienensterben: Weg mit den langweiligen Geranien

Im letzten April und Mai schrillten die Alarmglocken der Imker, als zahlreiche Bienenvölker im Oberrheingebiet verendeten. Auslöser des Sterbens: ein Beizgift, mit dem Landwirte zuvor ihren Mais behandelt hatten, um ihn vor einem gefährlichen Schädling zu schützen. Der badische Bienentod war eine extreme Katastrophe, doch mehr müsste uns der schleichende Niedergang des emsigen Insekts sorgen, wie der Würzburger Bienenforscher Jürgen Tautz im Gespräch mit spektrumdirekt erählt.
<i>Apis mellifera</i>
spektrumdirekt: Herr Tautz, wie steht es um die Bienen in Deutschland?

Jürgen Tautz: Man muss sich weltweit um die Gesundheit der Honigbienen sorgen. Die Gründe dafür sind außerordentlich vielfältig. Da passieren echte Katastrophen wie im Rheingebiet, wo tausende Bienenvölker durch das Beizgift Clothianidin ums Leben gekommen sind – das hätte verhindert werden können, wenn man sich im Vorfeld Gedanken dazu gemacht hätte. Abgesehen davon haben wir aber auch langfristige Entwicklungen, die zu mindestens ebenso großen Bedenken Anlass geben – etwa was die Lebensbedingungen der Bienen angeht oder ihre biologischen Eigenschaften.

spektrumdirekt: Was sind das für Verschlechterungen?

Bienenforscher Jürgen Tautz | Jürgen Tautz gehört zu den weltweit profiliertesten Bienenforschern und arbeitet an der Universität Würzburg.
Jürgen Tautz: Die Biene ist ein staatenbildendes, soziales Insekt, das ursprünglich in dichten Wäldern lebte. Von den ursprünglichen Biotopen der Biene ist hierzulande nicht viel übrig geblieben. Mit der Domestizierung haben wir die Honigbiene aber ohnehin unter unsere Fittiche genommen. Sie ist in vielen Regionen ohne uns nicht mehr lebensfähig, denn es ist eine echte Symbiose entstanden. Das heißt aber auch, dass wir ihr nun Bedingungen zumuten, an die sie eigentlich durch ihre Evolutionsgeschichte nicht angepasst ist.

Durch Zucht versuchen wir daher, diese Anpassungen durch die Hintertür zu schaffen. Der Mensch bestimmt aber, was das Zuchtziel ist und nicht die Biene, zum Beispiel mehr Fleiß oder Sanftmütigkeit, was den natürlichen Verteidigungstrieb "abtrainiert". Erst in letzter Zeit versucht man auch, robustere und gegen Krankheiten resistentere Honigbienen zu erreichen.

spektrumdirekt: Sind die Bienen genetisch verarmt?

Jürgen Tautz: Das ist eindeutig so. Wildlebende Bestände ohne Zuchtbemühungen repräsentieren noch die ganze Spannbreite des Genpools, die extrem wichtig ist für die Anpassungsfähigkeit der Tiere an Veränderungen. Manche kommen dann auch mit ungünstigen Bedingungen besser zurecht – sie bilden das Fundament für die nächsten Generationen.

Der Züchter verengt aber das Erbgut, was nicht schlimm ist, so lange alles gut geht. Bleibt die Umgebung konstant, macht Inzucht nichts aus. In dem Moment, wo Neuanpassungen notwendig sind, fehlt dann jedoch das genetische Potenzial. Das betrifft aber nicht nur die Bienen, sondern alle anderen Haustiere oder Nutzpflanzen ebenso. Sie finden keine einzige Tierart, die durch die Zucht robuster wurde als ihre wilde Verwandtschaft.

spektrumdirekt: Welche Probleme konfrontieren heute die Bienen in Deutschland?

Schwänzeltanz | Den Honigbienen geht es schlecht. Obwohl sie eines der wichtigsten Haustiere ist, behandeln wir sie stiefmütterlich, gönnen ihnen weniger und schlechtere Nahrung oder vergiften sie aus Versehen.
Jürgen Tautz: Das ist ganz klar vor allem die moderne Landwirtschaft. Es geht nicht darum, auf die Landwirtschaft zu schimpfen – ganz im Gegenteil. Aber wir müssen die Schwierigkeiten analysieren. Die Menschheit wächst und will ernährt werden. Die Lebensmittelproduktion im großen Stil ist eines der drängenden Probleme unserer gemeinsamen Zukunft. Und das geht nicht, in dem man die Felder wie im Mittelalter anpflanzt, sondern nur über große Monokulturen und vielleicht sogar genmanipulierte Pflanzen.

Für die Bienen verengt sich dadurch allerdings ihr Speisezettel: Wenn sie nur zwischen Rapsfeldern umherschwirren, dann ist der Blütenstaub – Basis der Ernährung ihres Nachwuchses – , den sie sammeln, sehr einseitig. Was kann man also tun? Schon Kleinigkeiten helfen – etwa blühende Wegränder zu dulden, Netze und Nischen zu schaffen, die den Bienen eine bunte Auswahl bieten.

spektrumdirekt: Gibt es denn konkrete Zahlen, wie stark die Bienen in Deutschland bereits schwanden?

Jürgen Tautz:Auf die Fläche Deutschlands hochgerechnet, lebten hier in der unberührten Naturlandschaft einst etwa eine Million Bienenvölker. Das spiegelt sich übrigens hervorragend in der Zahl der Völker wider, die bis vor relativ kurzer Zeit unter der Obhut der Imker standen – sie war genauso hoch. Seit der Jahrtausendwende haben wir rund 30 Prozent davon verloren, sodass es heute noch 700 000 Völker in Deutschland gibt. Das hat aber nicht unbedingt nur etwas mit Umweltveränderungen zu tun, sondern vielmehr mit den Menschen, die die Bienen halten. Wir haben auch einen drastischen Imkerschwund.

spektrumdirekt: Zurück zum Clothianidin. Wie wirkt es auf die Bienen?

Eine Biene füttert Larven | Für die Ernährung des Nachwuchses mit Gelee royale verfügen die Honigbienen über besonders zahlreiche Gene.
Jürgen Tautz: Ich bin leider kein Experte auf diesem Gebiet. Mittlerweile liegen aber die Ergebnisse solider Analysen vor: Demnach hat sich anhand von dreißig Proben bestätigt, dass das Mittel das Bienensterben im Rheingraben ausgelöst hat. Die genauen Wirkmechanismen kenne ich aber nicht.

spektrumdirekt: Wie sieht es denn generell mit der Überprüfung derartiger Mittel aus? Werden diese überhaupt auf Bienenverträglichkeit getestet?

Jürgen Tautz: Es gibt zwei Ansätze im Zulassungsverfahren: Die eine Methode nennt sich "Letale Dose 50", das heißt, man nimmt eine Gruppe von Bienen, konfrontiert sie mit der zu testenden Substanz und legt dann einen Schwellenwert fest, an dem die Hälfte der Bienen stirbt – eine sehr grobe Methode. Und ich verstehe auch nicht, warum sie überhaupt noch eingesetzt wird. Gerade bei den Honigbienen ist sie völlig fehl am Platz, denn Einzeltiere oder kleine Gruppen verhalten sich komplett anders als ein ganzes Volk. Eine einzelne Biene beispielsweise bewegt sich ab einer Temperatur von etwa plus 10 Grad Celsius nicht mehr, wenn ich sie herunterkühle. Bei plus 4 Grad Celsius stirbt sie. Ein ganzes Volk aber kann ich in den Tiefkühlschrank stecken, und es lebt noch bei minus 60 Grad Celsius. Man kann eine einzelne Biene folglich nicht mit einem Volk vergleichen – das ist der eine Kritikpunkt. Die "Letale Dose 50" ist zudem sehr undifferenziert. Wir haben stattdessen heute schon Methoden, die sehr viel genauer aufschlüsseln können, wann in welcher Intensität Schädigungen auftreten.

Das zweite Verfahren beruht auf Freilandtests, in denen die Bienenvölker unter landwirtschaftlichen Bedingungen untersucht werden.

spektrumdirekt: Nun liest man ja immer wieder zumindest anekdotische Berichte, nach denen es dieses Jahr in Deutschland weniger Bienen oder auch Hummeln gibt. Können Sie das bestätigen?

Jürgen Tautz: Insgesamt sind Insekten massiv im Rückgang begriffen. Die Rote Liste wächst beängstigend. Einheimische Wildbienen oder Hummeln, die auch sehr wichtig für die Bestäubung sind, beispielsweise verschwinden zusehends – sowohl in der Zahl ihrer Individuen als auch der Arten. Ursprünglich hatten wir hierzulande ein gutes Dutzend Hummelarten, doch manche hat man seit Jahren nicht mehr gesichtet. Sie trifft der gleiche Cocktail, der auch den Honigbienen zu schaffen macht.

spektrumdirekt: Welche Folgen drohen der Landwirtschaft durch den Ausfall der Bienen?

Jürgen Tautz: Die Honigbiene ist in unseren Breiten das drittwichtigste Haustier – plakativ gesagt, ist jeder dritte Bissen und jeder dritte Schluck, den wir zu uns nehmen, den Leistungen dieses Insekts zu verdanken. Jegliches Obst und viele Gemüsesorten benötigen die Biene als Bestäuber. Und selbst der Raps, dessen Pollen eigentlich über den Wind übertragen werden, steigert seinen Ertrag um 30 Prozent, wenn die Bienen helfen. Jährlich macht die Dienstleistung der Bienen in Mitteleuropa geschätzte sechs Milliarden Euro aus. Das ist aber allein der Geldwert. Daneben fielen eine Menge Lebensmittel weg, deren Produktion essentiell auf die Biene angewiesen ist.

Die Anwesenheit der Honigbiene hat zudem etwas mit Lebensqualität zu tun. Menschen vermissen sie, wenn sie nicht mehr das ist – eine Art "Stumme-Frühlings-Vision", wenn Bienen nicht mehr summen. Und sie ist ein Art Indikator für den Zustand unserer Welt: Wenn sie Schwierigkeiten bekommen, stimmt etwas nicht mehr.

spektrumdirekt: Wie könnte denn jeder zuhause den Bienen oder Hummeln helfen?

Jürgen Tautz: Sehr wichtig ist es, Informationen weiterzugeben. Nicht nur, dass die Bienen wichtig sind, weil sie unseren Honig liefern, sondern dass sie für unsere gesamte Kultur stehen. Reden Sie mit Behörden – etwa wenn Sie mitbekommen, dass die Straßenbäume wieder beschnitten werden sollen, bevor diese geblüht haben. Bitten Sie darum, dass diese Maßnahme nach hinten geschoben wird. Und werfen Sie zuhause Ihre langweiligen Geranien von der Fensterbank oder vom Balkon. Denn Geranien sind keine Bienenblumen, sie liefern weder Pollen noch Nektar. Es gibt Blumenmischungen, die sind interessanter und locken obendrein Bienen an.

spektrumdirekt: Herr Tautz, vielen Dank für das Gespräch.

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