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Suchtforschung: Die Macht der Gedanken

Süchtige haben veränderte Gehirne und können gar nicht anders, als ihrer Sucht zu folgen? Stimmt nicht, glauben Hirmforscher und zeigen, was unser Vorstellungsvermögen der Abhängigkeit entgegen stellen könnte.
Schon hundert Mal hat er sich geschworen, mit dem Rauchen aufzuhören; sie kann ohne Schokolade nicht leben: Süchte können uns kontrollieren und quälen. Ein einfaches "Ich will damit aufhören!" führt nur selten zu einer langfristigen Verhaltensänderung. Dass Süchte auf veränderte Gehirnstrukturen, insbesondere des Striatums zurückführbar sind – eines Bereiches in der Großhirnrinde, der für Belohnungsprozesse zuständig ist – wissen die Forscher seit Jahrzehnten.

Belohnungszentrum | Sobald ein Mensch ein begehrtes Objekt erblickt, gibt es verstärkte Aktivität in den Belohnungszentren im Gehirn.
Die Sucht erregenden Strukturen im Gehirn sind teilweise angeboren, teilweise entstehen und verstärken sie sich aber auch durch unser Verhalten. Führen wir beispielsweise immer wieder einen bestimmten befriedigenden Erlebniszustand herbei, bilden sich vermehrt Rezeptoren im neuronalen System, die auf Erfüllung warten: Der Suchttrieb wird größer. Nur durch mühsamen Verzicht bilden sich die Rezeptoren nach einiger Zeit auf ein Normalmaß zurück, wodurch das Suchtempfinden reduziert wird.

AVT: Teil des mesolimbischen Systems | Der AVT ist eine im Mittelhirn gelegene Zellgruppe, deren Nervenzellen hauptsächlich den Neurotransmitter Dopamin produzieren. Die Projektion der Area tegmentalis ventralis über das mediale Vorderhirnbündel zum Nucleus accumbens und weiteren Gebieten des limbischen Systems wird als mesolimbisches dopaminerges System bezeichnet. Seine Stimulierung wird als angenehm empfunden und deshalb gerne wiederholt. Substanzen wie Alkohol, Heroin oder Cocain können die natürliche Reizung dieses Systems ersetzen. Aus neurobiologischer Sicht kann das Suchtverhaltens als gesteigerter Bedarf nach Reizung des mesolimbischen Systems gedeutet werden.
Während der Hinweg in die Sucht oft leicht fällt, scheint der Rückweg ohne medikamentöse Hilfe manchmal schier unmöglich. Pharmazeutika können uns unterstützen, indem sie in die Gehirnstrukturen eingreifen und die suchterzeugenden Gehirnareale beeinflussen, die dann wiederum unser Verhalten verändern.

Nicht immer aber stehen geänderte Gehirnstrukturen am Anfang einer Suchtbekämpfung: Auch unser Verhalten selbst kann rückwirkend und gezielt Sucht erregende Hirnstrukuren bekämpfen, glauben Kognitionspsychologen und Neurowissenschaftler der Rutgers University um Elizabeth Phelps. Das Ziel ihrer Studie war es, positive Emotionen, die mit der Hoffnung auf eine Belohnung verbunden sind, zu kontrollieren und dadurch ihr Suchtpotenzial im Keim zu ersticken. Dieses Konzept der gezielten Emotionsregulation war bereits erfolgreich gegen Ekelgefühle eingesetzt worden.

In den Experimenten von Phelps und Kollegen mussten die Probanden zum einen unbeeinflusst auf eine Belohnung warten, ein anderes Mal hatten sie sich auf Kommando bewusst davon abzulenken. Die Belohnung war dabei zunächst rein virtuell: Auf einem Bildschirm sahen sie entweder ein gelbes oder ein blaues Quadrat, wobei das blaue für einen erworbenen Geldbetrag stand, dem gelben hingegen kein Wert zugeordnet war.
Alternative Assoziationen | Die Gedanken an das blaue Meer konnten die Probanden ablenken und die Aktivität des Striatums senken.
Kurz vor dem Erscheinen eines der Quadrate auf dem Bildschirm wurde den Probanden mitgeteilt, entweder an die Belohnung zu denken, oder aber an ein alternatives, mit Blau assoziierbares Bild – wie etwa einen stillen, beruhigenden Ozean. Letzteres, so vermuteten die Forscher, dient als eine Art vorbeugender Gefühlsbremse: Sie sollte rasch in den Denkprozess eingreifen und das emotionale Ergebnis beeinflussen – so die Theorie.

Während des Experimentes überwachten die Forscher sowohl die Aktivität im Striatum als auch die Leitfähigkeit der Hautoberfläche der Teilnehmer. Wenn der Kortex und das sympathische Nervensystem angeregt sind, erhöht sich die Leitfähigkeit der Haut und ermöglicht die unmittelbare Überprüfung, wie erregt der Teilnehmer ist.

Tatsächlich ließen sich die körperlichen Reaktionen beeinflussen, wenn die Testperson sich gedanklich ablenkte. Jene, die sich den blauen Ozean vorstellten, warteten nicht so angespannt auf die monitäre Belohnung und zeigten wesentlich weniger Aktivität im Belohnungszentrum des Striatum. Verglichen mit ihren Versuchskollegen sank die Leitfähigkeit ihrer Haut, was auf einen verringerten Erregungszustand hindeutete. Zudem steigerte sich die Aktivität des präfrontalen Cortex durch die Gefühlsunterdrückung.

Es scheint also, dass man die Aktivität im Striatum vermindern kann, indem eine weniger stark erregende Assoziation mit einem potenziell süchtig machenden Belohnungsreiz verknüpft wird. Die veränderte Erwartung senkt dann vielleicht sogar langfristig das Suchtempfinden und zwingt die suchtauslösenden Rezeptoren zur Rückbildung.

Vielleicht nicht überraschend, auf jeden Fall aber wert, festgehalten zu werden: Genauso wie unser Verhalten zu Sucht auslösenden Gehirnstrukturen führen kann, so können wir diese auch wieder aktiv zurückbilden – es macht allerdings wahrscheinlich etwas weniger Spaß auf dem Rückweg.

Für die kleineren Alltagssünden gilt das sicher auch: Her mit einer Vorfreude schwächenden Bildassoziation bei jedem Stück Schokolade, und schon reduzieren sich Genuss und Suchtpotenziel. Manche kleinen sündigen Dinge könnten wir uns allerdings auch ohne schlechtes Gewissen vielleicht einfach gönnen.

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  • Quellen
Delgade, M. et al.: Regulating the expectation of reward via cognitive strategies. In: Nature Neuroscience 10.1038/nn.2141, 2008.

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