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Mikroskopie: Der Schatten eines Atoms

Bislang waren Elektronenmikroskope blind für leichte Atome wie Wasserstoff. Jetzt haben Forscher das dünnste Material der Welt, so genanntes Graphen, als Objektträger verwendet und konnten damit womöglich erstmals einzelne Wasserstoffatome sichtbar machen.
Wasserstoffatom auf Graphen
Eigentlich bilden Elektronenmikroskope scharf genug ab, um auch die leichtesten und kleinsten Atome, die Wasserstoffatome, ausmachen zu können. Denn die Materiewellen der hoch beschleunigten Elektronen, welche die Mikroskope anstelle von sichtbarem Licht zur Abbildung der Probe verwenden, sind tausendmal kürzer als Lichtwellen. Daher können sie Details von etwa einen halben Ångström Durchmesser abbilden – ein Wasserstoffatom ist in etwa so groß. Lichtmikroskope hingegen schaffen nur etwa eine Auflösung von 2000 Ångström.

Doch die Praxis sieht anders aus: Wenn Elektronenmikroskopiker einzelne Atome oder Moleküle untersuchen, brauchen sie eine Unterlage für die winzigen Teilchen: einen Objektträger. Dieser ist für den Elektronenstrahl nicht transparent und bildet auf der Aufnahme einen störenden Schatten. Es geht den Forschern daher wie einem Sterngucker in einer Vollmondnacht, der nur die hellsten Gestirne ausmachen kann, weil der Mond die weniger hellen überstrahlt.

Wie die hellsten Sterne

Die Mikroskopiker sehen indessen nur die schweren Atome mit vielen Protonen im Kern. Denn diese lenken wesentlich mehr Elektronen aus ihrer Bahn als die Unterlage und erscheinen daher auf dem Bild dunkler als letztere. Sie entsprechen gewissermaßen den hellen Sternen, die das Mondlicht überstrahlen, nur umgekehrt: ihr Schatten ist dunkler als der der Unterlage. Leichte Atome wie Wasserstoff, Helium oder Kohlenstoff hingegen lenken nur wenige Elektronen ab und gehen daher im Schatten des Objektträgers unter.

Graphen | Graphen besteht aus einer einzigen Schicht von Kohlenstoffatome, die sich zu einem Netzwerk aus Sechsecken zusammenschließen.
Der Wunschtraum vieler Forscher ist daher ein für Elektronenstrahlen transparenter Objektträger, der die leichten Atome sichtbar lässt, wie ein mondloser Nachthimmel die kleinen Sterne. Physiker der University of California in Berkeley und des Lawrence Berkeley National Laboratory sind dieser Vision jetzt sehr nahe gekommen. Sie verwendeten das dünnste Material der Welt als Objektträger: Graphen, ein nur ein Atom dickes Geflecht aus Kohlenstoffatomen, das an eine Bienenwabe erinnert.

Teammitglied Jannik Meyer zeigte 2007 mit anderen Wissenschaftlern, dass Graphen ohne Unterlage freitragend stabil bleibt, was zuvor kaum ein Physiker für möglich gehalten hatte. Jetzt machte er zusammen mit dem kalifornischen Team von dieser Erkenntnis Gebrauch und legte das Graphen auf ein perforiertes Gitter aus Gold. Dort spannte es sich über die etwa einen tausendstel Millimeter großen Löcher im Edelmetall.

Wasserstoffatome als graue Fleckchen

Die Wissenschaftler brachten das Gitter dann samt Graphen in die Probenkammer eines Transmissions-Elektronenmikroskops. Sie stellten fest, dass das Graphen wegen seiner regelmäßigen Struktur und seiner extremen Dünnheit tatsächlich so gut wie transparent für den Elektronenstrahl war – abgesehen von einigen dunklen Flecken. Mit Hilfe von Computersimulationen, die das Streuvermögen verschiedener Atomarten berücksichtigen, identifizierten sie die Flecken als Kohlenstoffatome.

Graphen-Membran | Freitragend aufgehängte Graphen-Membran (grün) auf einem mit Löchern versehenen Trägerfilm.
Das Graphen hatte anscheinend Restatome im Vakuum der Probenkammer eingefangen, die nun dort festsaßen. Mit Langzeitaufnahmen von zwanzig Minuten erhöhten die Forscher die Kontraste zwischen den festgehaltenen Atomen und ihrer Unterlage weiter. Dabei wurden graue Fleckchen sichtbar, welche die Forscher als Wasserstoffatome identifizierten. Es sei das erste Mal, schreiben sie, dass ein solches Atom von einem Transmissions-Elektronenmikroskop detektiert wurde.

Außerdem erkannten sie auf den Bildern helle Flecken, die sie als Lücken im sonst perfekten Kristallgitter des Graphens ausmachten. Sie sahen eine solche Lücke sogar verschwinden, als sie von einem vom Graphen eingefangenen Kohlenstoffatom gefüllt wurde. Darüber hinaus beobachteten sie wandernde graue Striche auf dem Objektträger – wahrscheinlich hervorgerufen durch kleine organische Moleküle, vermutlich Alkane, die ebenfalls aus einer Verunreinigung des Vakuums stammen, schreiben die Forscher.

Zweifel angebracht?

Sie räumen jedoch ein, dass die Identifikation der Atome nicht eindeutig ist. Bei den mutmaßlichen Kohlenstoffatomen könne es sich auch um Bor-, Stickstoff- oder Sauerstoffatome handeln. Bei den vermeintlichen Wasserstoffatomen möglicherweise um Heliumatome. Doch die Alternativen seien unwahrscheinlich, weil Kohlenstoff und Wasserstoff die im Vakuum am häufigsten vorkommenden Elemente sind.

Jürgen Plitzko vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried sieht das allerdings anders: "Die Arbeit erbringt keine eindeutigen Beweise, dass es sich wirklich um Wasserstoff- beziehungsweise Kohlenstoffatome handelt. Eine elektronenmikroskopische Aufnahme und die dazugehörige Simulation reichen nicht aus, um eine klare Aussage zu treffen." Seiner Meinung nach wäre eine dritte, unabhängige Methode zur Beweisführung nötig.

Atome auf der Graphen-Membran | Dreidimensionale Darstellung von Atomen auf der Graphen-Membran (rot). Blaue Hügel entsprechen dabei Wasserstoffatomen. Auch ein einzelnes Kohlenstoffatom (gelb) ist in der Mitte zu sehen.
Ferner schreiben die Autoren, dass ihre Methode genutzt werden könnte, um komplexe chemische Reaktionen und die Dynamik von Molekülen in Echtzeit mit Elektronenmikroskopen zu beobachten. "Die meisten Moleküle sind allerdings nicht sehr stabil und zerfallen unter Elektronenbeschuss oder verändern sich und das verlangt nach extrem kurzen Belichtungszeiten", gibt Plitzko zu bedenken. Meyers neue Methode braucht aber lange Belichtungszeiten.

Nichtsdestotrotz können mit der neuen Methode das Graphen selbst und seine oft nur atomgroßen Fehlstellen näher untersucht werden. Das Material gilt wegen seiner außergewöhnlichen elektrischen Eigenschaften als heißer Kandidat für zukünftige nanoelektronische Anwendungen, etwa höchstempfindliche Sensoren. Verunreinigungen an seiner Oberfläche und Fehlstellen sind aber ein Problem auf dem Weg zum praktischen Einsatz der hauchdünnen Folie.

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