Direkt zum Inhalt

Planetenentstehung: Ausnahmen bestätigen die Regel

Bislang galt unser Sonnensystem in jeder Hinsicht als ziemlich durchschnittlich. Ein neues Computermodell hat nun aber zum ersten Mal das Leben der Planeten von ihrer Geburt bis zur vollen Reife verfolgt. Und demnach scheint unser Heimatsystem alles andere als ein Massenprodukt zu sein.
Gasriesen um junge Sterne
Ein neu entdeckter Exoplanet ist inzwischen schon längst keine Attraktion mehr, es sei denn, er verspricht, womöglich Leben zu beherbergen. Dass eine Art Inflation der Verwunderung auftritt, ist nach über dreihundert fremden Welten – seit in den frühen 1990ern die erste vermeldet wurde – wohl auch keine große Überraschung. Doch das Überangebot hat auch seine guten Seiten: Je mehr Planeten es gibt, desto mehr Daten steht den Astronomen zur Verfügung, um auch unsere Geschichte zu rekonstruieren.

So weit jetzt abzusehen, ähneln die bislang aufgespürten Sonnensysteme dem unseren nicht sonderlich. Allerdings sind bisher auch nur rund dreißig extrasolare Systeme mit mehreren Planeten bekannt. Die Massen variieren darin von wenigen Erd- bis hin zu einigen Jupitermassen. Die Umlaufbahnen der Gasriesen sind meist länglich und nicht so schön rund wie bei uns. Zudem liegen die Planeten oft nicht dort, wo Wissenschaftler sie erwarten: Viele jupiterähnliche Exemplare, bekannt als "Heiße Jupiter", umkreisen ihren Stern so nah, dass sie dafür nur wenige Tage brauchen.

Ein junges Sonnensystem | Um einen jungen Stern rotiert eine protoplanetare Scheibe – ein Ring aus warmen Gas, Staub und möglichen Planetenbausteinen.
Nach heutigem Wissen sollten sie aber eigentlich in den kälteren und damit sonnenferneren Regionen entstanden sein. Diese und andere Eigenarten der extrasolaren Systeme fordern die Theorien zur ihrer Entstehung gehörig heraus. Als ziemlich gesichert gilt, dass sich Planeten in den Gas- und Staubscheiben bilden, die junge Sterne umgeben. Aus Staubkörnern formen sich allmählich kleine Klumpen, die sich vielleicht einmal zu Planetenbausteinen vereinen. Dabei sind viele der Zwischenschritte erst ansatzweise verstanden, und was letztlich zu der einen oder anderen Version von Sonnensystem führt, ist weit gehend unklar.

Um Details zu erfahren, steckten Edward Thommes von der Northwestern University und seine Kollegen nun die Exoplaneten-Daten der vergangenen 15 Jahre in ein numerisches Modell. Bisherige Simulationen hatten nicht zuletzt wegen der begrenzten Rechenleistung nur einzelne Ausschnitte der Planetenschicksale untersucht. Thommes und sein Team modellierten nun hingegen eine ganze Planetensystemgeschichte mit ihren mannigfachen physikalischen Phänomenen, die sich über eine Vielfalt von Größenordnungen erstrecken. Damit die Berechnungen nicht Jahre dauern, mussten aber auch sie entscheiden, auf welche Informationen sie verzichten konnten.

So startete die Simulation erst mit dem Erscheinen der ersten kleinen Protoplaneten und endete bereits nach 500 Millionen Jahren. Dann konzentrierten sich die Forscher auf deren Wachstum, die gravitative Wechselwirkung zwischen den einzelnen Himmelskörpern sowie der Gasscheibe und die räumliche Ausdehnung des gesamten Systems. Nach mehr als hundert Simulationen mit jeweils unterschiedlichen Ausgangsbedingungen zeigte sich, dass die Masse und Lebenszeit der protoplanetaren Scheibe die finale Anordnung und Anzahl der Planeten entscheidend beeinflusst.

Neue Welten | Rund um junge Sterne im Orionnebel (M42), dem auffälligsten Sternentstehungsgebiet, konnte das Hubble Teleskop dunkle Scheiben festhalten, sogenannte protoplanetare Scheiben. Sie bestehen zu 99 Prozent aus Gas und nur zu einem Prozent aus Staub. Die Sterne im Zentrum sind nur jeweils etwa eine Million Jahre alt. Aus dem Staub der Scheiben könnten sich eines Tages neue Planeten bilden.
In den verschiedenen Szenarien geht es nicht selten sehr dramatisch zu: Wechselwirkungen mit der Gasscheibe treiben die jungen Himmelskörper in Richtung Stern, wo sie sich ansammeln oder bisweilen sogar verschlungen werden. Unter den heranwachsenden Planeten gibt es einen erbitterten Kampf um Gas – ein chaotischer Prozess, der zu einer Vielfalt von Planetenmassen führt.

Kommen sich die Wettstreiter zu nahe, kommt es auf Grund der Schwerkraft häufig zu einem dynamischen Intermezzo zwischen ihnen, wodurch sich der Orbit aller Beteiligten zunehmend in die Länge ziehen kann. Nicht selten führen solchen Begegnungen dazu, dass die Planeten an eine andere Stelle im System katapultiert werden – und gelegentlich auch weit hinaus in den Weltraum. Sind die Staub- und Gasvorkommen schließlich mal zu wenigen Planeten und Gesteinsbrocken verklumpt, kehrt endlich halbwegs Ruhe ein ins junge Planetensystem.

Bei dem ganzen Durcheinander müssen die Bedingungen genau richtig sein, um etwas wie unser Sonnensystem hervorzubringen, berichten die Forscher. Ist die Gasscheibe beispielsweise zu massereich, gleicht die Planetenentstehung einem anarchischen Chaos – es entstehen heiße Jupiter, die quer durch das System wandern, und viele von ihnen nehmen langgezogene Orbits ein. Ist die Masse aber sehr klein, bilden sich keine Planeten, die größer als Neptun sind.

Planetenentstehung | Die Illustrationen stellen die drei wichtigsten Fälle der Planetenentstehung in einer Gas- und Staubscheibe dar: Der erste spiegelt die brutale Version wieder und produziert exzentrische Bahnen und Heiße Jupiter. Die Wissenschaftler halten dies für den typischen Fall. Beim zweiten und ebenfalls relativ verbreiteten Fall entstehen keine Himmelskörper, die größer als Neptun sind. Der dritte Fall liegt zwischen den beiden vorherigen. Hier sind alle Bedingungen genau richtig, um am Ende ein Sonnensystem wie das unsere zu erschaffen.
Zudem bilden sich laut des Modells solche Systeme wie das unsere, in dem die Gasriesen nicht nach innen wandern, nur wenn die Planetenbildung zu einem bestimmten Zeitpunkt im Lebenslauf der Scheibe beginnt. Die Ergebnisse der Simulationen verglichen die Wissenschaftler mit Beobachtungen von extrasolaren Planetensystemen, wie etwa der Verteilung von Planetenmassen oder deren Umlaufzeiten. Sie standen in Einklang.

Dennoch sollte das Ergebnis nicht als letzte Wahrheit gesehen werden, sondern mehr als ein Erklärungsversuch, denn es stecken noch etliche Spekulationen in den Modellen. So geben die Forscher selbst zu, dass gewisse Änderungen in den Wandermechanismen der Planeten unser Sonnensystem bereits etwas gewöhnlicher machen. Und dass unter den bekannten fernen Welten die zweiten Erden bislang so rar sind, ist kein zwingender Beweis für das Resultat von Thommes und Co: Vielmehr ist der Grund hierfür in den viel zu unempfindlichen Nachweismethoden zu suchen – zumindest vorerst.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

  • Quellen
Thommes, E.W. et al: Gas Disks to Gas Giants: Simulating the Birth of Planetary Systems. In: Science 10.1126/science.1160495, 2008.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.