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Verhaltenspsychologie: An der Nasenspitze?

Als erstes schaut auch Mann einer Frau - ehrlich! - ins Gesicht, umgekehrt gilt dasselbe. Gute Gründe dafür können gar nicht oft genug hinterfragt werden, finden zwei Forscherteams auf der Suche nach Schönheit und Rüpeltum.
Gesichtsproportion verrät Aggressivität
Nehmen wir einmal den typischen Türsteher vor dem Club, in den wir ohnehin nicht hineinwollten – also Tattoos auf mächtigen Oberarmen, breiter Brustkorb, testosterongeschwängerte Silberrückendominanzhaltung, das ganze Programm. Blick auf uns von oben, weil aus gut zwei Metern Höhe. Nein, wir wollen uns mit ihm nicht streiten, aus reinem Selbsterhaltungstrieb. Und dazu brauchen wir auch nicht unbedingt sein Gesicht zu mustern, inklusive kantiger, kaugummidauerzermahlender Oberkiefer und niedriger Stirn. Dieser Mann ist aggressiv. Schön, dass Justin Carre und Cheryl McCormick uns nun auch wissenschaftlich darin bestätigen.

Fairerweise muss man zugeben, dass die beiden Psychologen von der kanadischen Brock University in Ontario zwar nicht unserer Intuition voraus sind, deren Ursache aber auf verblüffende Weise festnageln: Die Forscher glauben belegen zu können, dass schon der Blick in die Visage des ungehobelten Klotzes vor uns – genauer, der alleinige Blick auf die Proportionen seines Gesichtes, minus Oberarm, Brustkorb und Riesenwuchs – genug Informationen über seine potenzielle Gefährlichkeit liefert.

Hey, was kuckst du?

Um dies auch mit Daten zu belegen, brauchten die Forscher nicht mehr als eine gezielte Fragestellung – steht generelle Tendenz zur Aggressivität wirklich ins Gesicht geschrieben? – und zudem ein paar bewertende Freiwillige und 126 bewertete Gesichter. Letztere fanden sie auf der Sportwebseite, die Portraitfotos aller in Kanada aktiven Profi-Eishockeyspieler der Saison 2007/8 zeigt.

Aggressive Eishockeyspieler | Eishockeyspieler mit breiten Gesichter sitzen häufiger auf der Strafbank. Offenbar, so schlussfolgern Forscher, ist am Verhältnis von Gesichtshöhe zur -breite die individuelle Bereitschaft zu aggressivem Verhalten ablesbar. Zumindest korreliert die Relation mit dem Testosterongehalt.
Alle wurden dann – ausgehend von der Anzahl ihrer im Laufe der Saisonspiele erhaltenen Strafminuten – in eine Skala sortiert, die von "sehr angriffslustig" bis "relativ harmlos" lief. Dabei gingen die Wissenschaftler in blindem Vertrauen auf die Kompetenz der Schiedsrichter einfach davon aus, dass besonders aggressive Menschen sich häufiger unter Strafbankkönigen finden lassen. Die Gesichter aller Torhüter waren von Carre und McCormick übrigens von vornherein aussortiert worden – Goalies erhalten einfach zu selten eine Zeitstrafe.

Im Test zeigte sich dann, dass die freiwilligen Bewerter tatsächlich statistisch signifikant häufiger besonders aggressiv eingestufte Spieler auch als aggressiver einschätzten – allein aufgrund des Fotos. Woran erkannten die Probanden das? Carre und McCormick glauben das Verhältnis von Gesichtshöhe zu -breite verantwortlich machen zu können: Sie stellten in einem zweiten Versuch fest, dass diese Relation auch mit individuellem aggressiven Verhalten in einem zur Täuschung veranstalteten Gewinnspiel korrelierte [1].

Kurz: Männer mit breitem, niedrigem Gesicht scheinen generell angriffslustigeren Verhaltensweisen zuzuneigen als solche mit hohen, schmalen. Ganz überraschend ist das Resultat nicht, hatten frühere Studien doch nahegelegt, dass breite Gesichter auch mit einem erhöhten Testosteronspiegel einhergehen – dem männlichen Sexualhormon, dessen Konzentration nachweislich einen Einfluss auf die Aggressivität ausübt.

Hormon mit Breitenwirkung

Evolutiv könnte das alles sogar Sinn machen, findet die Forschergemeinde, die der Immunokompetenz-Handikap-Hypothese zuneigt. Danach präge ein hoher Testosteronspiegel zunächst einmal die sekundären männlichen Sexualsignale besonders eindrucksvoll, einschließlich der Gesichtsform. Hohe Testosteronwerte sind aber auch nachteilig, weil sie das Immunsystem belasten – und demnach können sich nur solche Männer mit sehr starkem Immunsystem überhaupt leisten, auch besonders kantige Kiefer und breite Brustkörbe zu haben.

Ab da entschieden dann die Immungene und der Geschmack der Frauen im Laufe der Generationen das weitere Schicksal: Wegen der überlegenen Körperabwehr setzte sich immer mehr der Nachwuchs von testosterongesättigten männlichen Männern und jener Frauen durch, die diese – aus welchen Gründen auch immer – attraktiver gefunden hatten. Der weibliche Nachwuchs entschied sich, dem Erbe der Mutter folgend, ähnlich, also auch eher für breite Brustkörbe statt feingliedriger Flachmänner – bis diese Vorliebe irgendwann endgültig genetisch in der Masse der Population verankert war. Heute könnten Frauen auf der Suche dann blind dem äußeren Schein vertrauen, wobei sie nicht oberflächlich dicken Oberarmen, sondern unbewusst guten Genen folgen.

Vielfalt statt Einfalt

Den Trost finden alle Hänflinge in sich selbst und der Realität: Stimmte alles oben gesagte, so dürften sie gar nicht existieren. Vielleicht übertrieben es zu testosteronschwangere, gesunde Alphamännchen ja im Laufe der Evolution auch oft einmal mit der Aggressivität – und landeten statt auf der Strafbank im allzu frühen Grab? Sicher, so Evolutionsforscher, sind aber Populationen, die im Falle eines Falles auch eine Außenseiterrolle nicht ausgemerzt haben, auf lange Sicht auch unübertroffen flexibel und im Vorteil.

Die Vielfalt menschlicher Vorlieben scheint jedenfalls ein Plus im Wettlauf Mensch gegen Evolution zu sein – was bestimmt noch genug Stoff für die Erforschung der menschlichen Sozialsignalgebung hergibt. Roberto Caldara und seine Kollegen von der University of Glasgow lieferten gerade ein gutes Beispiel – sie wiesen bei ihren Versuchen zur Auswertung von Blickrichtung und Augenbewegung beim Abtastvorgang eines begutachteten Gesichtes nach, dass Asiaten und Westeuropäer hier völlig unterschiedlich herangehen [2].

Asiaten, so ihre Schlussfolgerung, erkennen Gesichtszüge eher im Gesamten nach einem zentral gerichteten Blick, während europäische Augen beim Abtasten eines Gegenübers eher zwischen den individuellen Einzelheiten von Mund, Nase und Augen hin und her huschen. Ganz offenbar scheinen hier kulturelle Einflüsse im Spiel zu sein, schlussfolgern die Wissenschaftler – vielleicht einfach die Tatsache, dass Asiaten einen direkten Blickkontakt als unhöflich und aggressiv wahrnehmen. Ob Asiaten aggressive Gesichter auch am Höhen-Breiten-Verhältnis erkennen, hat Caldara übrigens leider ebenso wenig untersucht wie Carre und McCormick – vielleicht ein Ansatzpunkt für kommende Studien. Unser Tipp: Auch Asiaten haben im Laufe der Evolution gelernt, zu grobschlächtigen Typen besser aus dem Weg zu gehen – und gerade richtig grobschlächtige ab und an zu heiraten.

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  • Quellen
[1] Carre, J., McCormick, C.: In your face: facial metrics predict aggressive behaviour in the laboratory and in varsity and professional hockey players. In: Proceedings of the Royal Society B 10.1098/rspb.2008.0873, 2008.
[2] Blais, C.: Culture Shapes How We Look at Faces. In: Public Library of Science One 3, e3022, 2008.

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