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Ökologie: Differenzierte Abmahnung

Wie vermeidet man, im Bauch eines hungrigen Räubers zu landen? Ganz einfach: durch widerlichen Geschmack. Dabei gilt es, die kulinarische Ungenießbarkeit dem potenziellen Fressfeind auch rechtzeitig mitzuteilen. Schmetterlinge tun das sehr gezielt.
auffallend kontrastreiche Färbung eines Grammia virgio
Ein fetter Fleischklumpen, der vergnügt durch die Lüfte flattert – für einen hungrigen Vogel genau das richtige zum Frühstück. Und auch manche Fledermaus möchte sich gern an dem fliegenden Proteinpaket delektieren. Schmetterlinge leben gefährlich.

Doch manche Falter greifen zu einem ziemlich üblen Trick, um nicht im Bauch eines gefräßigen Feindes zu landen: Sie schmecken schlicht ekelhaft. Vor allem die Familie der Bärenspinner hat sich als kulinarische Katastrophe hervorgetan. Manche Arten nehmen bereits in der larvalen Kinderstube übelriechende oder -schmeckende Substanzen auf, andere produzieren die chemischen Abwehrwaffen selbst. Aber egal, wie sie an die Schutzstoffe kommen – die widerlichste Chemikalie nützt nichts, wenn dem Räuber erst schlecht wird, nachdem er den vermeintlichen Leckerbissen heruntergewürgt hat.

Grammia virgio | Die zur Familie der Bärenspinner gehörende Art Grammia virgio zeichnet sich durch eine auffallend kontrastreiche Färbung aus. Damit signalisieren sie Vögeln, dass sie schlecht schmecken. Gleichzeitig können die Falter Ultraschalllaute von sich geben, um Fledermäuse abzuschrecken.
Es gilt also, dem potenziellen Gegner klar zu signalisieren: Achtung! Ich schmecke nicht! Überleg's dir also gut ... Deshalb sind die Hinterflügel vieler Bärenspinner auffallend bunt gelb oder rot-schwarz gezeichnet. Neben dieser visuellen Schrecktracht setzen Falter auch auf akustische Warnsignale: Sie erzeugen hochfrequente Ultraschalltöne als Botschaft für Fledermäuse, die per Echolot auf der Jagd sind.

Welchen der unterschiedlichen Warnsysteme vertrauen die Insekten mehr? Um dies systematisch zu untersuchen, verglichen die Biologen John Ratcliffe von der Süddänischen Universität in Odense und Marie Nydam von der Cornell University im US-amerikanischen Ithaca die Abwehrstrategien von 26 Falterarten im Südosten der kanadischen Provinz Ontario. Unter den Spezies fanden sich auch in Mitteleuropa heimische Schmetterlinge wie der Zimtbär (Phragmatobia fuliginosa), der Webebär (Hyphantria cunea) oder die auch Tiger-"Motte" genannte Gattung Spilosoma, die jedoch nicht zur Familie der Echten Motten, sondern ebenfalls zu den Bärenspinnern zählt.

Dabei zeigte sich, dass die fliegenden Beutehäppchen ihre Abmahnung durchaus gezielt einsetzen: Falter, die Anfang Juni bis Anfang Juli schlüpfen, sind meist auffallend gefärbt, dafür auf dem Gebiet des Utraschallgesangs eher Stümper. In dieser Jahreszeit suchen vor allem Vögel nach Futter für ihre Jungen.

Im Juli bis Mitte August verschiebt sich das Bild. Jetzt jagen hauptsächlich Fledermäuse – und die schlüpfenden Falter wirken eher unscheinbar, erzeugen dafür bei Gefahr Ultraschall-Klicklaute in einer Frequenz von teilweise über 500 Klicks pro Sekunde.

Die differenzierte Abwehr spiegelt nicht nur die unterschiedlichen Jahreszeiten, sondern auch die Tagesrhythmik wider: Tagaktive Schmetterlinge setzen auf visuelle Schreckfarben, Nachtfalter wehren sich akustisch ihrer Haut. Und manche Arten können sogar beides, wie Grammia virgio, ein kontrastreich gefärbter, sowohl tag- als auch nachtaktiver Falter, der Mitte Juli schlüpft und Ultraschalltöne in einer Frequenz von bis zu 100 Klicks pro Sekunde von sich geben kann.

Bislang hatten Forscher vermutet, dass Falter die doppelte Abwehr einsetzen, um den potenziellen Räubern die Lektion des schlechten Geschmacks auf zwei verschiedenen Wegen gleichzeitig nahezubringen. Ratcliffe und Nydam vermuten nun eher eine auf jeden Räuber gezielt zugeschnittene Strategie, die sich in der Evolution der Falter bewährt hat. Und wer diese Strategie nicht bestens beherrscht, landet früher oder später im Magen eines Vogels oder einer Fledermaus.

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