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Naturkatastrophen: Beelzebub vertreibt den Teufel

Mitten in der Zugbahn schwerer Wirbelstürme und am Kontaktbereich erdbebenträchtiger Plattengrenzen: Taiwan befindet sich geografisch gesehen in einer katastrophalen Lage. Und doch hat das Land vielleicht gerade deswegen Glück.
Taifun Kalmaegi
Taifun "Kalmaegi" hatte es in sich: Innerhalb von 24 Stunden schüttete er im Juli 2008 mehr als einen Meter Regen pro Quadratmeter auf die Insel Taiwan – dreimal so viel wie erwartet. Flüsse traten über die Ufer, Erdrutsche lösten sich von den Berghängen, Ernten wurden vernichtet, und es entstanden Schäden in Millionenhöhe. Mehr als 650 000 Menschen waren von Trinkwasser und Strom abgeschnitten, mindestens 19 Personen starben. Und kaum hatte sich die Nation von diesem Schlag erholt, rauschte mit "Fung-Wong" schon der nächste schwere Sturm über das Eiland hinweg.

Taifun Kalmaegi | Mitte Juli 2008 zog ein kräftiger Wirbelsturm über Taiwan hinweg: "Kalmaegi" brachte enorme Regenmengen mit sich und setzte große Teile der Insel unter Wasser.
Doch Taiwan hat Erfahrung mit dieser Art Naturgewalten, denn die Insel liegt in einer der aktivsten Zugbahnen von Wirbelstürmen der Erde: Jedes Jahr ziehen mehrere Taifune aus dem westlichen Pazifik gen China und streifen oder queren Taiwan direkt. Häufig sterben dabei Menschen, und Infrastruktur und Privateigentum werden zerstört. Doch diese Unwetter bewahren womöglich das Land vor noch viel schlimmeren Katastrophen, wie Geologen um Chi-Ching Liu von der Academica Sinica in Taipeh vermuten.

Denn Taiwan liegt auch an der Grenze zwischen der großen Eurasiatischen und der kleinen Philippinischen Platte, die mit Macht gen Westen und damit Asien drückt: Mit einer Geschwindigkeit von acht Zentimetern pro Jahr rutscht sie unter ihren Nachbarn. An Land zeigen sich diese tektonischen Vorgänge im Zentralgebirge, wo die bis auf knapp 4000 Meter Höhe ragenden Berge jedes Jahr um durchschnittlich zwei Zentimeter wachsen.

Dieses geologische Szenarium sollte eigentlich für schwere Erdbeben prädestiniert sein – schließlich müssten sich angesichts der im Untergrund wirkenden Kräfte gewaltige Spannungen im Gestein aufbauen, wenn sich die Platten verhaken und aneinander reiben. Und doch: Es ist diesbezüglich merkwürdig still im Osten Taiwans. Kaum ein schweres Beben sucht die Region heim, und richtig katastrophale Erschütterungen, wie sie beispielsweise die Küste Sumatras an Weihnachten 2004 verwüsteten, traten dort seit Menschengedenken nicht auf. In den letzten 100 Jahren wackelte es in der Region nur zweimal mit der Stärke 7 und 13 Mal mit Stärke 6: viel zu wenig, um die gesamte angestaute Energie abzubauen.

Zugbahnen pazifischer Wirbelstürme | Taiwan liegt wortwörtlich im Auge des Sturms – zumindest ziehen sehr viele Taifune über das Eiland hinweg oder streifen es.
Dies ist umso erstaunlicher, als weiter nördlich im japanischen Nankai-Graben alle 100 bis 150 Jahre ein Erdbeben der Stärke 8 – und damit der zweithöchsten Magnitude – auftritt. Auch dort schiebt sich die Philippinische unter die Eurasiatische Platte – und dies nur mit der halben Geschwindigkeit wie weiter südlich. Dennoch sind die Spannungen im Gestein gefährlicher als auf Taiwan.

Um herauszufinden, warum sich die beiden Gebiete so eklatant unterscheiden und wie sich die Kruste auf dem früheren Formosa verformt, installierten die Forscher drei Deformationsmessgeräte in 200 bis 270 Meter Tiefe – und entdeckten dabei etwas ganz anderes: so genannte stille Erdbeben. Sie dauern Stunden bis ganze Tage, in denen die verschiedenen Plattenelemente quasi gewaltfrei untereinandergleiten. Sie bauen ihre gesamte Energie sanft ab und nicht in einem brutalen Schlag, der nur wenige Sekunden oder Minuten dauert. Menschen können sie deshalb nur mit Messgeräten wahrnehmen, da die Erde nicht wackelt.

Wie die langsamen Beben entstehen | Das Diagramm zeigt, wie sich die auftretenden Druckveränderungen auf die Erdkruste und die Verwerfungslinien auswirken.
Vielfach ist noch unklar, wodurch sie ausgelöst werden, denn dieses Phänomen kennt man erst seit wenigen Jahrzehnten. Auf Taiwan jedoch könnten sie mit den zahlreichen Taifunen ursächlich zusammenhängen: Von den insgesamt 20 nachgewiesenen stille Erdbeben, welche die Forscher über fünf Jahre hinweg aufzeichneten, begannen elf, als gleichzeitig ein Wirbelsturm über das Land zog. Während der Wintermonate von Januar bis April dagegen, wenn die Insel von den Wetterunbilden verschont bleibt, machten sich auch stets die sanften Beben rar: Die Geowissenschaftler notierten kein einziges.

Nun führen die Wirbelstürme bekanntermaßen eine Menge Energie mit sich, aber wie gelingt es ihnen, die noch viel stärkeren Kräfte, die im Gestein lauern, zu neutralisieren? Die Antwort liegt wohl im Luftdruck: Taifune sind im Prinzip nichts weiter als sehr ausgeprägte Tiefs. Treffen ihre Kernzonen auf Land, entlasten sie dieses gewissermaßen, da der Druck sinkt. Über dem Meer verändert sich hingegen nichts. Der tiefe Druck wird dort durch die Wassermassen egalisiert, die zusätzlich in das Gebiet gepresst werden. Das zusätzliche Gewicht gleicht die Entlastung wieder aus.

Während sich für die ozeanische Kruste im Prinzip nichts verändert, entspannt sich das kontinentale Gestein. Dadurch kann die Philippinische Platte mit verringertem Widerstand unter ihr eurasiatisches Pendant gleiten, ohne dass es heftig bebt: Weil Kalmaegi und Co also immer wieder an der Insel rütteln, lösen sich die Spannungen weit gehend in Wohlgefallen auf.

"Ohne Taifun würde sich der Stress, der auf der Plattengrenze lastet, immer weiter aufbauen, bis er sich schlagartig löst", erklärt Alan Linde, einer der Koautoren der Studie. Was dann passieren würde, zeigt der Blick ins japanische Nankai: Beim letzten schweren Beben 1946 verwüsteten bis zu sechs Meter hohe Wellen die Küste und rissen mindestens 700 Menschen in den Tod.

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  • Quellen
Chi-Ching, L. et al.: Slow earthquakes triggered by typhoons. In: Nature 459, S. 833–836, 2009.

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