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Angewandte Physik: Ich sehe was, was du nicht siehst

Die Weiterentwicklung der Rasterkraftmikroskopie hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. So konnte die chemische Empfindlichkeit, aber auch die Aufzeichnung elektrischer Eigenschaften bis in den atomaren Bereich hinein verbessert werden. Jetzt setzen Wissenschaftler noch eins drauf: Sie sind in der Lage, den elektrischen Zustand einzelner Atome auf eine Elementarladung genau zu kontrollieren.
So genau wie möglich hinsehen zu wollen, ist das Grundbedürfnis eines jeden Forschers. Vor tausend Jahren erkannte der arabische Mathematiker, Optiker und Astronom Al-Hasan die Eignung gewölbter Glasoberflächen zur optischen Vergrößerung und gilt daher als Erfinder der Lupe. Es sollte sechseinhalb Jahrhunderte dauern, bis Robert Hooke und Antoni van Leeuwenhoek die ersten leistungsstarken Mikroskope konstruierten und damit pflanzliche Zellen, Kapillarsysteme und Bakterien untersuchten.

Cantilever eines Rastersondenmikroskops | Die Spitze, die die Probe abtastet, endet in einem einzelnen Atom. Sie ist an ihrer Basis etwa fünfmal kleiner als der Durchmesser eines Haars, die Aufnahme entstand mit einem Elektronenmikroskop bei tausendfacher Vergrößerung.
Doch die Abbildung eines Gegenstands mittels Licht ist durch dessen Wellenlänge begrenzt. Diese liegt bei einigen hundert Nanometern – ein Mikroskop kann also keine Strukturen auflösen, die kleiner sind. Elektronen boten einen Ausweg. Laut den Gesetzen der Quantenmechanik zeigen diese neben ihrem Teilchen- auch Wellencharakter, wobei ihre Wellenlänge wesentlich kürzer als die von sichtbarem Licht ist.

Ernst Ruska und Max Knoll bauten 1931 das erste funktionierende Elektronenmikroskop, kommerzielle Instrumente folgten sieben Jahre später. Heutige Modelle erreichen Auflösungen von 0,1 Nanometern, das entspricht etwa der Größe eines Atoms samt seiner Elektronenhülle.

Die Quantenmechanik gab auch den Anlass für eine weitere Entwicklung: Der berühmte Tunneleffekt – durch den Elektronen plötzlich Barrieren überwinden können, an denen sie laut klassischer Physik scheitern würden – wurde 1981 am IBM-Forschungslabor im schweizerischen Rüschlikon von Gerd Binnig und Heinrich Rohrer erstmals eingesetzt, um atomare Strukturen abzutasten – die Geburtsstunde des Rastertunnelmikroskops. Damit ließen sich Objekte, kleiner als die Lichtwellenlänge, nicht nur beobachten, sondern auch gezielt manipulieren. Für ihre Erfindung erhielten die beiden Wissenschaftler 1986 den Nobelpreis für Physik.

Rasterscan mit "Sombrero" | Das gewonnene Bild (Graustufen, oben rechts) zeigt deutliche Unterschiede zwischen einem neutralen und einem negative geladenen Goldatom (Au). Die abgetastete "Oberfläche" hat beim Au- die Form eines Sombreros und liegt insgesamt bei einer geringeren Höhe ("Height", 1 Ångström = 0,1 Nanometer = 10-10 Meter).
Binnig entwickelte weiter. Mit Calvin Quate und Christoph Gerber stellte er im Jahr der Nobelpreisverleihung das erste Rasterkraftmikroskop vor. Es tastet die Probe nicht nur mit Hilfe der wegen des Tunneleffekts fließenden Elektronen ab, sondern misst auch die Kraft, die auf die Abtastnadel wirkt. Letztere ist an einer mikroskopisch kleinen Blattfeder – dem so genannten Cantilever – befestigt. Die Auslenkung der Blattfeder wird meist durch die Ablenkung eines darauf gerichteten Laserstrahls vermessen. Im Idealfall können so einzelne Atome abgebildet werden.

Und die Entwicklungsarbeit in Rüschlikon schreitet fort. Leo Gross, Fabian Mohn, Gerhard Meyer und Kollegen der Universitäten Utrecht und Regensburg ist es nun gelungen, bei einer Temperatur von 5 Grad über dem absoluten Nullpunkt die Schwingung der Blattfeder, anhand derer die Kraft gemessen wird, wesentlich zu reduzieren [1].

Gold: negativ und neutral | Diese dreidimensionale Falschfarbenabbildung zeigt die Positionen und Ausdehnung zweier Goldatome, die an eine Isolatorschicht aus Kochsalz (NaCl) angelagert sind. Das rechte ist elektrisch neutral, das linke negativ geladen. Es ist tiefer in die NaCl-Schicht eingebunden und zeigt den "Sombrero-Effekt".
Dadurch wird aber auch die Auflösung des Rasterkraftmikroskops gesteigert. Die Lage von Atomen lässt sich nun so genau bestimmen, dass die Wissenschaftler sogar die Ladung der Teilchen bestimmen können. Liegen beispielsweise Gold- oder Silberatome auf einer Kochsalz-Trägerschicht, sind sie je nach ihrer elektrischen Ladung verschieden hoch an den Natrium- und Chlorionen angelagert. Die Kraft auf die Nadel ändert sich durch die Höhenunterschiede zwar nur um einige Billionstel Newton (zum Vergleich: Die Kraft eine Centmünze anzuheben, ist mehr als zwei Milliarden Mal größer), in den Aufnahmen lässt sich dies aber dennoch deutlich erkennen.

Ladungstransportmessung in einzelnen Molekülen | Mit der Spitze eines Rasterkraftmikroskops ("AFM tip") können einzelne Redox-Stellen (orange) gezielt elektrisch geladen werden. Anschließende Messung der Ladungszustände der anderen Redox-Stellen (0 / + / -) gibt Aufschluss über den Weg, den die injizierte Ladung durch das Molekülnetzwerk genommen hat.
Mit dem neuen Verfahren wird es künftig möglich sein, molekulare Netzwerke oder sogar einzelne Moleküle auf die Lage und Funktion ihrer Ladungstransportkanäle und die räumliche Anordnung ihrer Bindungen hin zu untersuchen. Die Wissenschaftler steuern mit der Spitze die Teilchen an – wie etwa die Gold- oder Silberatome im Beispiel –, injizieren einzelne oder mehrere Elektronen und prüfen durch anschließende Messungen an weiteren Stellen, wohin die Ladung gewandert ist.

"Der Vergleich mit theoretischen Modellen wird uns die Möglichkeit einräumen, mehr über die energetische Landschaft von Molekülen zu lernen", schätzen Ernst Meyer und Thilo Glatzel von der Universität Basel die Arbeit ihrer Kollegen ein und erklären, dass eine Änderung der atomaren oder molekularen Ladung ein zentraler Bestandteil vieler chemischer Reaktionen sei [2]. "Hiermit haben wir jetzt neues Werkzeug an der Hand, um einzelne Moleküle im Hinblick auf chemische, elektrochemische oder photochemische Reaktionen mit einem hohen Grad an Kontrolle manipulieren zu können", so die Physiker.

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  • Quellen
[1] Gross, L. et al.: Measuring the Charge State of an Adatom with Noncontact Atomic Force Microscopy. In: Science 324, 1428–1431, 2009.
[2] Meyer, E., Glatzel, T.: Novel Probes for Molecular Electronics. In: Science 324, 1397–1398, 2009.

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