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Gefangenes Licht -

Relativistisches Ray Tracing


Ray tracing einer Standardscheibe mit Verteilung des g-Faktors

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Was ist Ray Tracing?

Eine Standardmethode der Visualisierung auf Computern heißt Ray Tracing, auf deutsch 'Strahlenverfolgung'. Es handelt sich um eine übliche Methode, um Objekte im Raum zu visualisieren. Ray Tracing wird bei Computerspielen, Computer Amplified Design (CAD) oder beim Rendern von Landschaften angewandt. Dabei schießt man Strahlen virtuell von einer Lichtquelle auf ein Objekt, mit dem die Strahlung wechselwirkt (Absorption, Reflexion, Streuung), und betrachtet mit einer virtuellen Kamera (screen) das sich ergebende Abbild.

Illustration des Ray Tracings In der nicht relativistischen Beschreibung ist die Lichtausbreitung trivial. Der Grenzfall geometrischer Optik ist erfüllt: Lichtstrahlen sind gerade Linien. Damit gelten die üblichen schon aus der Schulmathematik bekannten Sätze der Euklidischen Geometrie. Reflexion kann gemäß 'Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel' einfach berechnet werden. Beim Ray Tracing löst man mathematisch gesprochen immer eine Geodätengleichung. Dies ist eine Differentialgleichung, die aus bekannten Eingangsparametern (Startposition, Abstrahlwinkel) eines Lichtstrahls den Auftreffpunkt des Lichtstrahls oder der Geodäte bestimmt. Nur die Lichtstrahlen, die auch die Kamera treffen, tragen zum Bild bei. Eine Geodäte ist die kürzeste Verbindung im Raum von einem Punkt zum anderen. Ein einzelner Lichtstrahl macht allerdings noch kein Bild! Um eine hochaufgelöstes Bild eines Objekts per Ray Tracing zu erhalten, muss man 'viele Strahlen schießen' - eine typische Größenordnung sind eine Million Strahlen (Ein gewöhnliches, kleines Bild im Internet besteht aus 400 × 200 Pixeln. Das sind schon 80 000 Strahlen - einer pro Pixel.). Technisch gesprochen löst man ausgehend vom Kamerascreen für jeden einzelnen Lichtstrahl die Geodätengleichung, ermittelt seinen Auftreffpunkt in der Landschaft und färbt das Pixel entsprechend ein, z.B. weiß wenn die Geodäte 'im Nichts endet', schwarz wenn man ein Objekt in der Landschaft trifft etc. Nach der Berechnung vieler Lichtstrahlen und entsprechender Einfärbungen resultiert das fertige Bild.

Relativistisches Ray Tracing

In Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie (ART) gestaltet sich die Lichtausbreitung komplizierter. Raum und Zeit sind nicht unabhängig voneinander, sondern bilden ein Kontinuum. Diese vierdimensionale Raumzeit gehorcht nun aber der Nicht-Euklidischen Geometrie. Euklids einfache Sätze sind nur noch in Spezialfällen anwendbar. Es gilt nach wie vor, dass sich Lichtteilchen, die Photonen mit Ruhemasse null, und Testteilchen endlicher Ruhemasse entlang von Geodäten ausbreiten. Die Geodäten unterschieden sich jedoch, je nachdem ob das Teilchen eine Ruhemasse hat oder nicht. Die Geodäten für Materieteilchen heißen zeitartige Geodäten und diejenigen für Licht heißen Nullgeodäten.
Die Geodätengleichung ist eine Differentialgleichung zweiter Ordnung. Die mathematische Form der Geodätengleichung wird aus einem Variationsprinzip abgeleitet, dessen Ziel es ist, die Weglänge zu minimieren. Man fragt also wie im nicht-relativistischen Fall nach der kürzesten Verbindung, nun aber zwischen zwei Weltpunkten, also Ereignissen, die durch drei Raumkoordinaten und einer Zeitkoordinate bestimmt sind. Die Antwort erhält man durch Lösen der Geodätengleichung der ART für gekrümmte Raumzeiten, z.B. die eines Schwarzen Loches. In Einsteins gekrümmter Raumzeit-Welt sind die Geodäten nicht mehr Geraden, sondern gekrümmte Trajektorien in einer vierdimensionalen Raumzeit.

Gravitationslinse: Schwarzes Loch lenkt Lichtstrahlen ab

Eine Illustration dieses Sachverhalts zeigt die Abbildung oben: Aus Gründen der Anschaulichkeit wird die gekrümmte Raumzeit als rotes, zweidimensionales Gitter dargestellt. Es handelt sich um die Darstellung eines so genannten Gravitationstrichters. Die horizontale Fläche enthält in Koordinaten (x,y) den Ort in der Raumzeit, während die Vertikale (z-Koordinate) ein Maß für die Krümmung der Raumzeit ist. Im Zentrum befinde sich eine Punktmasse, ein Schwarzes Loch. Die Krümmung wird am Ort der kompakten Masse sehr groß, im Falle des hier angenommenen Schwarzen Loches sogar unendlich (der Trichter schließt sich nicht 'am Boden'). Am Rand des Gitters, also weit entfernt von der Punktmasse, wird die Krümmung der Raumzeit schwächer. Die Relativisten nennen das die asymptotische Flachheit der Raumzeit. Anders gesagt wäre ein Testteilchen dort so weit weg vom Einfluss des starken Gravitationsfeldes, dass es die Schwerkraft kaum spürt.
Ebenfalls eingezeichnet sind zwei Nullgeodäten, die notwenig im Gitter, nämlich in der Raumzeit, verlaufen müssen. Sie unterscheiden sich geringfügig in der Einlaufrichtung (in der Streutheorie nennt man das den Stoßparameter): Die obere Nullgeodäte läuft in einiger Entfernung am Loch vorbei. Deshalb wird sie nicht gekrümmt. Es gilt in dieser Entfernung der Grenzfall der geometrischen Optik. Dies ist auch das Regime der kommerziellen Ray Tracer, denn aus Sicht des Relativisten basieren diese auf einer flachen Metrik, das heißt Raum und Zeit sind nicht (durch die Anwesenheit einer kompakten Masse) gekrümmt.
Die untere Nullgeodäte hingegen kommt der kompakten Masse im Zentrum sehr nahe. Deshalb wird sie stark gekrümmt und läuft um die Punktmasse ein Stück weit herum. Dieses Phänomen heißt Lichtaberration: Massen verbiegen Lichtstrahlen. Laut ART muss dieser Mechanismus bei jeder Masse funktionieren, in deren Nähe sich Strahlung ausbreitet. Der Effekt ist jedoch nur bei kompakten oder hohen Massen messbar groß. In der Tat konnte im Jahr 1919 als einer der ersten experimentellen Nachweise von Einsteins ART genau das bei einer Sonnenfinsternis in Afrika beobachtet werden! Die Sternbilder des Nachthimmels werden um einen äußerst geringen, aber messbaren Betrag verzerrt, wenn die Sonne im Vordergrund vorüberzieht. Aufgrund der gleißenden Helligkeit unseres Gestirns ist dieses Phänomen nur bei einer Sonnenfinsternis (Eklipse) beobachtbar. Mit moderner Technik kann man eine Sonnenfinsternis auch künstlich erzeugen: In einem Koronograph sorgt eine Blende dafür, dass die helle Sonnenscheibe abgedeckt wird. Das ermöglicht die Beobachtung von Ereignissen, die nahe am Sonnenrand stattfinden.
Die Abbildung macht deutlich, dass kompakte Massen Strahlung wie eine Linse abzulenken vermögen. Deshalb nennt man die Massen die Lichtaberration hervorrufen auch Gravitationslinsen.

Relativistisches Ray Tracing umfasst nicht nur Ray Tracing der ART. Als Grenzfall darf Ray Tracing der Speziellen Relativitätstheorie angesehen werden. Die Raumzeit ist in diesem Spezialfall flach und wird durch die Minkowski-Metrik beschrieben. Mittels speziell relativistischem Ray Tracing lassen sich interessante Effekte wie die Lorentz-Kontraktion oder die Aussicht aus einem virtuellen Raumschiff, das fast mit Lichtgeschwindigkeit fliegt, visualisieren. Eine Sammlung eindrucksvoller, schöner und vor allem relativistisch korrekter Beispiele finden Sie auf der Website der Kollegen in Tübingen unter Tempolimit Lichtgeschwindigkeit.

Mathematische Techniken

Die Visualisierung Schwarzer Löcher erfordert den Einsatz des relativistischen Ray Tracings. Nur dann ist eine relativistisch korrekte Darstellung gewährleistet. Ich hatte in meiner Diplomarbeit (2000) Gelegenheit eine solche Software zu entwickeln und möchte hier nachskizzieren, wie ein Kerr Ray Tracer funktioniert und welche Resultate er liefert.
Kerr Ray Tracing bedeutet in diesem Zusammenhang, dass eine bestimmte Metrik vorausgesetzt wird, in der die Strahlung sich fortpflanzen soll, nämlich die Kerr-Metrik rotierender Schwarzer Löcher. Die Geodäten-Gleichung der ART enthält bestimmte, mathematische Objekte, die so genannten Christoffel-Symbole. Es handelt sich dabei um Ableitungen der Metrik, die erst ausgewertet werden können, wenn eine spezielle Wahl der Metrik erfolgt ist. Die Lösungen der Geodätengleichung für viele Photonen sind die Grundlage, um Bilder von Objekten in der Umgebung nicht-rotierender oder rotierender Schwarzer Löcher zu simulieren. Der im Rahmen meiner Diplomarbeit entwickelte, objektorientierte Code in C++ basiert auf dem C-Code und der analytischen Arbeit von C. Fanton, M. Calvani, F. de Felice und A. Cadez aus dem Jahr 1997.

Nachdem man die Geodätengleichung auf der Kerr-Geometrie formuliert hat, stellt sich die Frage, wie man sie löst. Nun kommt eine alte analytische Arbeit des Relativisten Brandon Carter ins Spiel. Er hat die Nullgeodäten-Gleichung der Kerr-Geometrie mithilfe von vier Konstanten der Bewegung umgeschrieben. Diese Bewegungskonstanten (auch Bewegungsintegrale genannt) lauten:

  • Energie,
  • Masse,
  • Drehimpuls und
  • Carter-Konstante.

Die Erhaltung von Energie und die Drehimpuls des Photons folgen direkt aus den Symmetrien der Kerr-Raumzeit: Diese heißen Stationarität und Axialsymmetrie (Achsensymmetrie wie bei einem Zylinder). Die Carter-Konstante ist eine Einzigartigkeit, eine Besonderheit in der Kerr-Metrik, die Brandon Carter 1968 gefunden hat. Seine Methode die Konstanten aufzufinden beruht auf der Separabilität der Hamilton-Jacobi-Gleichung. Die Gleichung wurde in der folgenden Abbildung vermerkt. Im Rahmen dieses Artikels wird nicht näher darauf eingegangen. Sie finden jedoch Details dazu im Standardwerk der Gravitation von Misner, Thorne und Wheeler ('MTW') oder in meiner Diplomarbeit (pdf, 3.9 MB).
Hamilton-Jacobi Gleichung Carters Konstante ist mit der radialen und poloidalen Komponente des 4er-Impulses der Photonen verknüpft. Was bringt diese Prozedur? Mithilfe aller vier Erhaltungsgrößen reduziert sich die Geodätengleichung als Differentialgleichung zweiter Ordnung auf einen Satz von vier gewöhnlichen Differentialgleichungen erster Ordnung. Diese neuen Gleichungen sind mathematisch viel einfacher zu handhaben und können elementar integriert werden. Die italienische Gruppe um Fanton, Calvani, Cadez et al. entwickelte eine Integration mittels elliptischer Integrale, die auf herkömmlichen PCs eine besonders schnelle Lösung gestattet.

Die Lösung der Geodätengleichung vor dem Hintergrund Schwarzer Löcher nach dieser Methode ist mittlerweile ein Standardverfahren (Literatur von S. Chandrasekhar: The mathematical theory of black holes, 1983). Allerdings ist das Erstellen solcher Bilder - das so genannte Rendering - nicht 'von Hand' möglich, weil die Größenordnung von etwa einer Million Photonen pro Bild gerechnet werden müssen. Die Lösung der Gleichungen erfordern außerdem numerische Methoden. Mit der Leistungsfähigkeit heutiger Computer ist die Berechnung und Visualisierung von Objekten in der Nachbarschaft Schwarzer Löcher schnell erledigt und dauert nur wenige Minuten oder gar Sekunden.

Visualisierung von Akkretionsscheiben

Der Himmel ist reich an Kandidaten für Schwarze Löcher: In vielen Röntgendoppelsternen vermuten die Astronomen stellare Schwarze Löcher, wohingegen in nahezu jedem Zentrum von Galaxien die gewichtigere Form eines supermassereichen Schwarzen Loches (in manchen Fällen sogar mehr!) vermutet wird. Aktuell geraten die ultrahellen Röntgenquellen (ultraluminous X-ray sources, ULXs) in den Verdacht Schwarze Löcher der mittleren Gewichtsklasse von 100 bis 10000 Sonnenmassen zu enthalten. Das motiviert den theoretischen Astrophysiker die Ray-Tracing-Technik einzusetzen, um die Strahlungsprozesse in unmittelbarer Umgebung des Loches zu visualisieren. Als Ergebnis der Computersimulation stehen Bilder und Spektren zur Verfügung, die mit den Beobachtungsdaten verglichen werden können. Häufig erweisen sich die einfachen, physikalischen Modelle, die in die Ray-Tracing-Methode einfließen, als sehr guter Ansatz, um die Natur zu beschreiben. So haben die Astronomen ein Geheimnis mehr im Kosmos enträtselt.

Schwarze Löcher stehen in Wechselwirkung mit ihrer Umgebung. Sind Materie und Strahlung in der Nähe vorhanden, so werden sie 'verschluckt', wenn sie dem Loch zu nahe kommen. Auf diese Weise wachsen die Schwarzen Löcher, gewinnen an Masse und Drehimpuls und werden noch effizienter im Aufsammeln. Das Aufsammeln wird mit dem Fachausdruck Akkretion bezeichnet. In der Umgebung eines Schwarzes Loches bewegt sich ein Akkretionsfluss, ein Materiestrom, der unmittelbar vor dem Loch sehr heiß und ionisiert wird.
Die Materie im Kosmos, insbesondere Gas und Staub, ist meistens gravitativ an irgendein Objekt gebunden: Mond und Erde umkreisen sich; interplanetares Gas, Kometen und Planeten umkreisen die Sonne; Sterne umkreisen sich gegenseitig in Doppelstern- und Mehrfachsternsystemen; interstellares Gas und Sterne umkreisen das Zentrum ihrer Heimatgalaxie. Das wichtige Stichwort im letzten Satz ist umkreisen. Die Materie ist nicht statisch, sondern rotiert um einen zentralen Bezugspunkt. Physikalisch gesprochen besitzt die Materie einen Drehimpuls.
Der Drehimpuls des einfallenden Gases in der Nachbarschaft eines Schwarzen Loches sorgt daür, dass es nicht auf direktem Wege - radial - einfällt, sondern in Form eines 'Strudels'. Dieses Gebilde heißt Akkretionsscheibe (engl. accretion disk). Die Scheibe ist auch deshalb so flach (im Fachjargon: geometrisch dünn), weil sie durch Abstrahlung elektromagnetischer Wellen gekühlt wird. In der Literatur hat dieser besondere Akkretionsfluss auch einen Namen bekommen: es ist die Standardscheibe, die in analytischen Betrachtungen gefunden wurde (Shakura & Sunyaev, 1973; deshalb auch manchmal Shakura-Sunyaev disk, SSD). Im gleichen Jahr wurde das nicht-relativistische SSD-Modell relativistisch verallgemeinert (Novikov & Thorne, 1973).

Relativistisches Ray Tracing dient nun dazu, die optische Erscheinung dieser leuchtenden Akkretionsscheiben relativistisch korrekt abzubilden. Diesen Prozess nennt man auch rendern. In diesem Abschnitt sollen einige Computersimulationen vorgestellt und diskutiert werden.

Effekte auf einer Scheibe bei 60° Neigung

Das Titelbild dieses Artikels und das Bild oben zeigen nun die Akkretionsscheibe zunächst in Falschfarben. Diese farbkodierte Darstellung des relativistisch verallgemeinerten Doppler-Faktors oder Rotverschiebungsfaktors g (g-Faktor) dient einem physikalischen Verständnis. Der g-Faktor ist ein Maß dafür, wie die Strahlung, die direkt in der Umgebung des Schwarzen Loches emittiert wird verfärbt wird, wenn sie schließlich einen Beobachter im Unendlichen erreicht. Eine Verfärbung wiederum bedeutet, dass sich die Energie und Wellenlänge der Strahlung verändert.
Die Strahlung wird im Wesentlichen von zwei Dingen beeinflusst: vom Schwarzen Loch und der Bewegung des Strahlungsemitters, also des Plasmas in der Akkretionsscheibe. Das Schwarze Loch beeinflusst wie jede Masse die Strahlung, die in seiner Nähe emittiert wird. Dieses Phänomen kann nur mit der Allgemeinen Relativitätstheorie verstanden werden: Strahlung bewegt sich dabei im Allgemeinen auf einer gebogenen Bahn durch eine von Massen (oder anderen Energieformen) gekrümmten Raumzeit. Dies illustrierte ja die Abbildung unter dem Abschnitt Relativistisches Ray Tracing. Betrachtet man Strahlung in einem Teilchenbild, so kann man sich das so veranschaulichen, dass die Lichtteilchen vom Gravitationsfeld festgehalten werden. Sie verlieren dabei Energie, werden also röter, was man als Gravitationsrotverschiebung (engl. gravitational redshift) bezeichnet. Bei sehr kompakten Massen wie Schwarzen Löchern ist dieser Effekt verständlicherweise sehr drastisch: die Krümmung der Raumzeit ist so hoch, dass ab einem kritischen Abstand zum Loch jede Form von Strahlung festgehalten wird. Dieser Abstand heißt Ereignishorizont. Er ist letztendlich der Grund für die absolute Schwärze von Schwarzen Löchern: Die Löcher fangen das Licht.
Der Rotverschiebungsfaktor ist nun der geeignete Parameter, um die Verfärbung von Strahlung anzugeben. Die Verfärbung hat physikalisch seine Ursache in einem Energieverlust oder Energiegewinn der Strahlung, während sie sich in der Raumzeit ausbreitet. Ist der g-Faktor kleiner als 1, so handelt sich um einen Energieverlust oder eine Rotverschiebung (engl. redshift). Ist er größer als 1 nennt man es eine Blauverschiebung (engl. blueshift). Ist er identisch 1, so gibt es keine Verschiebung der Strahlung im elektromagnetischen Spektrum (engl. unshifted). Die Strahlung kommt bei einem g-Faktor von 1 so beim Beobachter an, wie sie emittiert wurde. Ein Extremfall ist verschwindender Rotverschiebungsfaktor, g = 0, dann wird die Strahlung aufgrund der dominierenden Gravitationsrotverschiebung vollständig verschluckt. Die Strahlung verliert ihre gesamte Energie. Der Wert g = 0 wird am Horizont Schwarzer Löcher angenommen und ist in der Abbildung als schwarzes, etwa kreisförmiges Gebiet im Zentrum erkennbar: Das ist das Schwarze Loch.

Wie vorweggenommen, beeinflusst nicht nur das Loch die Strahlung, sondern auch die Akkretionsscheibe. Das Plasma rotiert in der Akkretionsscheibe um das Loch. Diese Rotation ist überlagert von einer Einfallbewegung, weil das Loch das Material anzieht. Insgesamt hat man ein relativ komplexes Geschwindigkeitsfeld des strahlenden Plasmas. Die Relativbewegung zwischen Plasma und Beobachter, beeinflusst natürlich die gemessene Strahlung. Die Relativbewegung hängt davon ab, wie die Scheibe zum Beobachter orientiert ist. Es reicht die Angabe eines Neigungswinkels, der so genannten Inklination, wie die Scheibe gekippt ist. Die Inklination bezieht sich auf den Winkel, den eine Senkrechte zur Scheibe mit der Sichtlinie zum Beobachter einschließt. Eine Inklination von 0° heißt entsprechend, dass der Betrachter direkt von oben auf die Scheibenfläche schaut (engl. face-on), wohingegen 90° einer Aufsicht auf die Scheibenkante entsprechen (engl. edge-on). Im vorliegenden Beispiel wurde eine Inklination der flachen Gasscheibe von 60° angenommen.
Die Rotation der Akkretionsscheibe um ihre Symmetrieachse bewirkt, dass sich ein Teil der zum Beobachter geneigten Scheibe auf den Beobachter zu bewegt, während sich der gegenüberliegende Teil von ihm entfernt. Die elektromagnetische Welle wird also anschaulich im ersten Fall gestaucht und im letzten Fall gedehnt, während sie sich zum Beobachter fortpflanzt. Dieses Phänomen heißt Doppler-Effekt und ist wohlbekannt bei akustischen Wellen, wenn sich eine Schallquelle auf einen Beobachter zu bewegt bzw. von ihm entfernt. Durch diesen kinematischen Effekt gibt es also eine Doppler-Rotverschiebung beim sich entfernenden Teil der Akkretionsscheibe und eine Doppler-Blauverschiebung beim sich annähernden Teil. Extrem wird dieser Effekt bei maximal geneigten Scheiben, also bei 90°, und er verschwindet völlig bei Scheiben, auf die der Beobachter senkrecht von oben blickt, bei 0°.

Der Doppler-Effekt ist auch bei Newtonschen Scheiben beobachtbar, weil er nur die Rotation der Strahlungsquelle benötigt. Die Relativistischen Effekte verzerren dieses klassische Phänomen. Die Spezielle Relativitätstheorie (SRT) modifiziert den klassischen Doppler-Effekt für Geschwindigkeiten des Strahlungsemitters, die vergleichbar werden mit der Lichtgeschwindigkeit. Der Strahlungskegel wird dann in Bewegungsrichtung fokussiert. Dieser Effekt heißt Beaming. Zeigt diese fokussierte Vorzugsrichtung vom Beobachter weg, so spricht man von Rückbeaming (back beaming); zeigt sie auf den Beobachter, so handelt es sich um Vorwärtsbeaming (forward beaming). Die Rotationsgeschwindigkeiten nehmen in der Form eines Kepler-Gesetzes (wie bei den Planeten im Sonnensystem) von außen nach innen zu. Bei Akkretionsscheiben um Schwarze Löcher können diese Rotationsgeschwindigkeiten ohne weiteres am Innenrand der Scheibe relativistisch werden, d.h. vergleichbar mit der Lichtgeschwindigkeit. Bei einer rotierenden, geneigten Scheibe gibt es daher back und forward beaming (siehe nochmals Abbildung oben; die Scheibe rotiert hier gegen den Uhrzeigersinn). Charakteristisch für das Vorwärtsbeaming ist der blau eingefärbte Bereich (hier links vom Loch, mit einem hier gemessenen Maximalwert von g = 1.2).

Verteilungen von g-Faktor und Emission bei 80° Neigung Die bisher besprochenen Visualisierungen von Scheiben stellten die Verteilungen des g-Faktors dar. Es ist natürlich auch möglich die Emission, also das Leuchten der Gasscheibe selbst, zu visualisieren. Das ist sicherlich visuell interessanter, weil man hier die tatsächliche Erscheinung einer leuchtenden Scheibe um ein Loch darzustellen vermag - so wie es ein Beobachter sehen würde. Das ist ein wunderbares Beispiel, wie Theoretiker im Computerlabor arbeiten und die Natur simulieren können.
Möchte man die Emission darstellen, so müssen die Pixel des Kamerascreens entsprechend eingefärbt werden: Dort wo die Scheibe hell leuchtet, bietet sich ein weißer Farbwert an, schwarz eignet für wenig oder keine Emission und farbige Abstufungen können für Emissionswerte dazwischen angenommen werden.
In der Astronomie nennt man die elektromagnetische Emission, auf die es hier ankommt, den spektralen Fluss. Es handelt sich von der physikalischen Dimension her um eine Energie pro Zeit, Fläche und Frequenzband mit der Einheit Watt durch Quadratmeter durch Hertz. Summiert man den spektralen Fluss über alle Frequenzen erhält man den gesamten Energiefluss mit der Dimension Leistung pro Fläche.

Zur Berechnung des spektralen Flusses geht der g-Faktor in höherer Potenz und die so genannte Emissivität ein. Die Emissivität gewichtet die Emission entlang der Scheibe und kann als eine Abstrahlcharakteristik aufgefasst werden.
Die Computersimulation oben rechts zeigt nun beides: Verteilung des g-Faktors (oben) und die Emission (unten) einer mit 80° recht stark geneigten Scheibe. Das Schwarze Loch ist zur besseren Abhebung gegenüber der Scheibe in der Mitte weiß dargestellt. Sehr auffällig macht sich bei diesen hohen Neigungswinkeln der Gravitationslinseneffekt bemerkbar: Die Scheibe erscheint 'hochgeklappt', weil die Strahlung um das Loch herum gebogen wird. Der blaue beaming spot der Verteilung des verallgemeinerten Doppler-Faktors ist auch klar in der Emission als signifikante Helligkeitssteigerung (bright spot) links sichtbar. Die hohe räumliche Nähe dieses hellen Flecks zum schwarzen Ereignishorizont liefert einen starken Kontrast zwischen hell und dunkel. Bei Inklination 0° verschwindet der helle Beaming-Fleck, weil keine Bewegung der emittierenden Plasmateilchen, die in der Scheibe rotieren, in Richtung zum Beobachter vorliegt.

Zusammenfassend treten bei Schwarzen Löchern deshalb folgende Effekte auf, die in charakteristischer Weise die Emission einer Akkretionsscheibe und anderer Strahlungsquellen beeinflussen:

  • Doppler-Effekt,
  • Gravitationsrotverschiebung
  • und Beaming.

Jenseits der Rotation - Verallgemeinerte Plasmakinematik

Alle gerade genannten Effekte werden im generalisierten Doppler-Faktor g berücksichtigt. Der Ray Tracer gestattet neben Keplerschen Geschwindigkeitsfeldern des Plasmas, also einer reinen Rotation um die Symmetrieachse der Scheibe, auch die Einbettung beliebiger Geschwindigkeitsfelder. Sie müssen nur in geeigneter Weise modelliert werden und eine realistische Annäherung an die Bewegung des Plasmas in der Natur sein. So ist es denkbar, dass sich das Plasma radial (in der Scheibenebene entlang eines Radiusvektors) und/oder poloidal (aus der Scheibenebene heraus, Richtung Pole des rotierenden Loches) bewegt. Ich habe 2003 zusammen mit Max Camenzind (Landessternwarte Heidelberg) ein radiales Drift-Modell für Kerr Ray Tracing entwickelt. Nach diesem Modell spiralieren die Plasmateilchen langsam in das Zentrum des Loches hinein. Im Prinzip ist dieses Verhalten schon im Modell der klassischen Standardscheibe angelegt. Von daher war schon bekannt, dass das Plasma langsam einwärts driftet, aber es wurde nie zuvor konsequent bei Ray Tracing Simulationen berücksichtigt.
Im radialen Drift-Modell wird die Bewegung des Plasmas in einer dünnen Akkretionsscheibe so vorgegeben, dass eine radiale Bewegung zum Loch ab einem kritischen Radius, dem Driftradius, einsetzt. Diese Drift ist überlagert mit der Keplerschen Rotation, so dass insgesamt eine nicht-Keplersche Bewegung resultiert: eine spiralförmige Einwärtsbewegung. Die Teilchenbahn ist eine Geodäte der Kerr-Geometrie und alle Teilchen passieren den Horizont mit einer radialen Geschwindigkeitskomponente, die exakt so groß ist, wie die Lichtgeschwindigkeit.
Das neue Modell resultiert kurz gesagt darin, dass der Gravitationsrotverschiebungseffekt verstärkt wird. Das liegt daran, weil durch den Einfall des Plasmas es den Photonen zusätzlich erschwert wird, dem Loch zu entkommen:

Die Emission ist im radialen Drift-Modell stärker gerötet!

Ausblick

Leider ist es den beobachtenden Astronomen (noch) nicht möglich, die hier vorgestellten Emissionsverteilungen von Gasscheiben um Schwarze Löcher mit Teleskopen räumlich aufzulösen: 'Die Teleskopaugen sehen noch zu unscharf'. Die Astronomen arbeiten intensiv daran dies zu ändern: Ein Zusammenschluss vieler Teleskope erhöht deutlich die Lichtsammelleistung und die Öffnung. Diese astronomischen Verfahren heißen Apertursynthese und werden besonders in der Radioastronomie seit Jahren erfolgreich eingesetzt, z.B. bei der Very Long Baseline Interferometry, VLBI. Mittlerweile arbeiten auch die optischen Astronomen daran. Das Very Large Telescope in der chilenischen Atacama-Wüste besteht aus vier Großteleskopen der 8-Meter-Klasse, die mittels Very Large Telescope Interferometer, VLTI zusammengeschlossen werden sollen. Das wird auch im Optischen und Nahinfrarot die Identifizierung bisher unentdeckter Details in den Himmelsobjekten erlauben. Die Radioastronomen haben schon ein ein bisschen mehr Erfahrung bei der Apertursynthese und die Prognose ist, dass innerhalb des nächsten Jahrzehnts das Schwarze vom Loch als Radiobild photographiert werden wird (Krichbaum et al. 2004, 2006).

Was der Astronom auch ohne hohe Auflösung messen kann, ist ein Spektrum. Diese Strahlung muss aus der unmittelbaren Umgebung des Kandidaten für ein Schwarzes Loch emittiert werden, damit die hier besprochen relativistischen Effekte festzustellen sind. Um die Beobachtung mit der Computersimulation vergleichen zu können, muss sich deshalb ein weiterer Schritt nach dem Rendering von aufgelösten Scheibenbildern anschließen: die Simulation von Spektren. Man kann sowohl Kontinuumsspektren, Wärmestrahlung der Scheibe (engl. multi-color black body) als auch Spektrallinien simulieren. Das Integral des bereits erwähnten spektralen Flusses wird numerisch ausgewertet. Salopp gesagt handelt es sich bei dieser Prozedur um eine Summation des Emissionswertes über alle Pixel, wobei der g-Faktor in höherer Potenz und die Emissivität eingehen.

Eine Paradebeispiel aus der Astrophysik, das mittels Kerr Ray Tracing simuliert werden kann, sind die relativistisch verbreiterten Emissionslinien im Röntgenbereich (Fachausdruck: Röntgen-K-Linien). Viele Quellen zeigen einen ganzen Komplex dieser Emissionslinien in den Röntgenspektren im Bereich zwischen 6 und 7 keV. Der Linienkomplex wird vom Element Eisen dominiert, so dass in der Regel auch nur diese Emissionslinie, die so genannte Fe-Kα-Linie (Eisenlinie) betrachtet wird. Das Thema ist so wichtig und so ergiebig, dass ihm den nächsten Artikel Röntgenlinien - Sendboten von Loch und Scheibe gewidmet habe.

wissenschaftliche Veröffentlichung zum Thema

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Andreas Müller © Andreas Müller, August 2007