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Wissenschaftsgeschichte: Bescheidener Revolutionär

Als Kind seiner obrigkeitsgläubigen Zeit hielt er sich an preußische Tugenden wie Bescheidenheit, Ordnung und an einen akkurat geregelten Tagesablauf. Doch als Wissenschaftler ging Max Planck durchaus Risiken ein und provozierte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts trat er die größte Revolution los, die sein Fachgebiet je gesehen hat - ohne sich dessen bewusst zu sein.
Max Planck
Max Planck hing seinen Bruch mit einer jahrhundertealten wissenschaftlichen Tradition nicht an die große Glocke. Dem exklusiven Kreis des freitäglichen Kolloquiums der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Berlin trug der Physiker Ende 1900 seine umwälzenden Gedanken vor: Licht und Materie könnten Energie nur in Form unteilbarer Pakete austauschen und nicht als einen stetigen Strom, behauptete er. Damit hatte Planck den Quantensprung erfunden, der in den darauffolgenden Jahren die Physik umwälzte und heute sogar Eingang in die Alltagssprache gefunden hat.

Max Planck | Der Begründer der Quantentheorie, Max Planck (1858-1947), um 1905
Planck plagte vielleicht das ungute Gefühl, dass sich Gründer der modernen Naturwissenschaften wie Isaac Newton (1643-1727) und Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) in ihren Gräbern umdrehen. Denn für sie war das Kontinuitätsprinzip eine Grundvoraussetzung für die Naturforschung. Sie setzten gewissermaßen auf eine vernünftige Natur, in der sich physikalische Größen nur stetig ändern, so wie ein Flusspegel immer nur kontinuierlich an- oder absteigt und nicht übergangslos von Hoch- auf Niedrigwasser umschaltet. Planck lag es fern, das althergebrachte Gedankengebäude der Wissenschaft – das ihm nahezu als heilig erschien – einfach umzustoßen. Seine Untreue zu den Alten muss ihm deshalb sehr schwer gefallen sein, erwies sich aber als die notwendige Konsequenz eines langen und steinigen wissenschaftlichen Wegs.

Religiöse Bewunderung

Dieser begann in seiner Münchner Schulzeit. Die Familie des am 23. April 1858 in Kiel geborenen Schülers war nach München gezogen, wohin Plancks Vater einen Ruf als Rechtsprofessor erhalten hatte. In der bayerischen Hauptstadt besuchte Max ein humanistisches Gymnasium. Dort schilderte sein Mathematiklehrer den Energieerhaltungssatz so anschaulich, dass er damit Plancks beinahe religiöse Bewunderung der Naturwissenschaft entfachte.

Dass Energie nicht vernichtet werden kann, sondern eine absolute und vom Menschen nicht beeinflussbare Größe ist, faszinierte den Schüler – es war eine "Heilsbotschaft", wie er später schrieb.
"Die Suche nach dem Absoluten ist mir die höchste Forschungsaufgabe"
(Max Planck)
Planck sah es als ein Gottesgeschenk an, dass Menschen in der Lage sind, hinter den Kulissen der Naturerscheinungen das eigentliche, unveränderliche Wesen der Dinge zu finden. "Die Suche nach dem Absoluten ist mir die höchste Forschungsaufgabe", bekannte er.

Doch zunächst wusste der 16-jährige Abiturient nicht, ob er sein Leben dieser Suche widmen sollte. Sein absolutes Gehör und seine Freude am Knabenchor und am Spielen der Kirchenorgel wiesen in Richtung Musikstudium. Ein Musikprofessor riet ihm jedoch ab. Den Anstoß zur Naturwissenschaft gab ein mathematisches Kolleg an der Universität München, das Planck "innerlich befriedigte und anregte". Statt für Mathematik entschied er sich für Physik, weil er am Weltbild mitbauen und eherne Naturgesetze finden wollte.

Physik ohne Experimente

Das tat er in den folgenden Jahren auf eine nahezu revolutionäre Weise und avancierte zum wissenschaftlichen Selfmademan. Und das, obwohl er als bescheidener, obrigkeitsgläubiger Mensch nie auf die Idee gekommen wäre, aus dem gesellschaftlichen Mainstream seiner Zeit auszubrechen. Ein anschauliches Beispiel für diese Wesensart liefert Plancks Biograph Armin Hermann: Mit seinem Studienkollegen und Freund, den späteren Mathematiker Carl Runge (1856-1927), philosophierte Planck auf stundenlangen Wanderungen. Als Runge einmal die Frage aufwarf, ob die Kirche der Welt mehr geschadet oder genutzt habe, erschrak Planck zutiefst: Der traditionsgebundene Student wäre auf einen solchen Frevel niemals gekommen.

Seine Gedanken galten eher dem Wechselspiel zwischen Energie und Wärme. Um mehr darüber zu erfahren, ging Planck als 19-Jähriger Student für ein Semester nach Berlin, wo einer der Urheber des Energieerhaltungssatzes, Hermann von Helmholtz (1821-1894), forschte und lehrte. In der Reichshauptstadt erlebte Planck etwas für damalige Verhältnisse Unerhörtes: Physik-Vorlesungen ohne Experimente. "Die theoretische Physik als eigenständiges Fach existierte damals noch nicht", erläutert der Historiker Dieter Hoffmann vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. "Die Physiker glaubten, die Naturgesetze allein durch Beobachtung von Naturphänomenen erkennen zu können." Die mathematische Beschreibung der Gesetze blieb nur ein Anhängsel der Experimente.

Inspiriert von den Berliner Vorlesungen ging Planck in München seinen eigenen Weg: den der theoretischen Physik. Auf Unterstützung seiner akademischen Lehrer konnte er dabei nicht hoffen. Weder in seiner Promotion über den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, noch in seiner Habilitation, die er 1880 mit 22 Jahren abschloss, nennt er eigene Experimente oder Messungen. Die Naturwissenschaft lasse sich nicht aus einigen wenigen beobachteten Tatsachen ableiten, schrieb er damals. Er wollte den Vorhang vor den Naturgesetzen mit Bleistift und Papier lüften.

Experiment zur Schwarzkörperstrahlung | Experimentalaufbau zur Erforschung der Schwarzkörperstrahlung im lichttechnischen Labor der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt um 1900
"Planck ging ein hohes Risiko ein, indem er auf die theoretische Physik setzte", betont Hoffmann. Heute gilt er als einer der Begründer des Fachs, doch damals beachtete niemand seine Arbeiten, und er musste sich nach seiner Habilitation noch fast fünf Jahre gedulden, bis er 1885 eine Professur für Physik an der Universität seiner Geburtsstadt Kiel erhielt. In der Zwischenzeit hatte der Wissenschaftler bei seinen Eltern gewohnt. Erst jetzt heiratete er seine langjährige Verlobte Marie Merck, mit der er vier Kinder haben sollte.

Nur wenige Kieler Studenten interessierten sich für seine theoretischen Vorlesungen. Vier Jahre forschte und lehrte er in der Küstenstadt, bis die Universität Berlin den 30-jährigen Planck als Nachfolger des Physikers Gustav Robert Kirchhoff (1824-1887) berief, in dessen Fußstapfen Planck auch in wissenschaftlicher Hinsicht stieg.

Die Jahrhundertlösung

Kirchhoff hatte 30 Jahre zuvor, also 1859, ein offenbar absolut gültiges Naturgesetz gefunden, für das sich auch Planck interessierte: Erhitzte Körper senden Wärmestrahlung aus, deren spektrale Verteilung nur von der Temperatur abhängt, nicht aber vom Material aus dem der Körper besteht. An der Formel, die das Phänomen beschreibt, hatten sich die Physiker seitdem die Zähne ausgebissen. Planck sollte genau dies um die Jahrhundertwende gelingen.

Sechs Jahre brauchte er, um die Lösung zu finden, die er am 14. Dezember 1900 der Deutschen Physikalischen Gesellschaft vortrug. Um das Spektrum der Wärmestrahlung zu erklären, sah er sich gezwungen, die Energie in kleine Portionen zu unterteilen – was dem Wissenschaftler äußerstes Unbehagen bereitete. Noch weniger erfreute ihn, die Formeln des österreichischen Physikers Ludwig Boltzmann (1844-1906) zu verwenden, der die statistischen Methoden in die Physik eingeführt hatte. Planck glaubte nicht, dass der Zufall in dieser exakten Naturwissenschaft eine Rolle zu spielen hatte. Doch dem höheren Ziel – das Wesen der Wärmestrahlung zu ergründen – ordnete seinen persönlichen Gusto unter. 1918 wurde sein entscheidender Beitrag zur Entwicklung der Quantenphysik mit dem Nobelpreis für Physik gewürdigt.

Dabei war Planck sich der Tragweite seiner Entdeckung zunächst gar nicht bewusst. Verzweifelt versuchte der Forscher, die Quantenhypothese in die klassische Physik zu zwängen. Doch sie passte nicht hinein und nötigte die Wissenschaftler in den Folgejahren, eine neuartige Theorie zu entwickeln: die Quantenmechanik. Ohne sie ist eine moderne Physik heute nicht denkbar.

Als einer der ersten entwickelte Albert Einstein (1879-1955) Plancks Idee weiter: Er behauptete, Licht bestehe nicht aus einer kontinuierlichen Welle, sondern aus Teilchen, den Photonen. Das ging Planck zwar zu weit, erkannte aber Einsteins Fähigkeiten. "Er war einer der ersten Befürworter von Einsteins damals umstrittener Relativitätstheorie", erklärt Hoffmann und betont, dass Planck auch Einsteins akademische Karriere maßgeblich unterstützte: "Er setzte durch, dass Einstein als bezahltes Genie an die Berliner Universität kommen und dort unbehelligt von Lehrverpflichtungen forschen konnte." Trotz weltanschaulicher Differenzen entwickelte sich zwischen Planck und Einstein eine tiefe Freundschaft.

Vom Forscher zur Institution

In der Zwischenzeit wuchs Plancks Einfluss in der Wissenschaft: 1913 ernannte ihn die Berliner Universität zum Rektor. Als Mitherausgeber der "Annalen der Physik" ließ er bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse veröffentlichen, wie Einsteins revolutionäre Theorien. Er bekleidete leitende Ämter in der Preußischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. 1930 stieg er zum Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft auf – der heutigen Max-Planck-Gesellschaft. Der Forscher wurde zur Institution.

Planck förderte die Selbstverwaltung der Wissenschaft, weil er fest davon überzeugt war, sie könne nur unabhängig von der staatlichen Bürokratie funktionieren.
"Er tat nichts gegen ihren Rausschmiss durch die Nazis"
(Dieter Hoffmann)
Seine Versuche, diese Unabhängigkeit auch nach Hitlers Machtergreifung zu erhalten, endeten jedoch nach Ansicht von Hoffmann nicht zum Vorteil seiner jüdischen Forscherkollegen: "Er tat nichts gegen ihren Rausschmiss durch die Nazis", sagt der Historiker. Die Ernüchterung folgte erst später, und Planck wandte sich in öffentlichen Vorträgen gegen die Politik der nationalsozialistischen Machthaber. Auf Druck der Reichsregierung verzichtete der Physiker 1936 auf seine Wiederwahl zum Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft; weitere Repressalien hatte er dank seines öffentlichen Ansehens nicht zu befürchten.

Nach dem Kriegsende zog der 86-jährige Planck mit seiner zweiten Frau Marga zu seiner Nichte nach Göttingen; das Berliner Haus der Familie war schon 1944 zerstört worden. Der inzwischen vergreiste Wissenschaftler übernahm abermals das Amt des Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die 1946 seinen Namen erhielt. Ein Jahr später, am 4. Oktober 1947, starb Max Planck in Göttingen.

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