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Wissenschaft im Alltag: Karosse in der Nasszelle

Schutz gegen Korrosion und eine ansprechende Optik, das sind die wichtigsten Funktionen der etwa 90 000 Tonnen Lack, die pro Jahr in Deutschland auf fast sechs Millionen Neuwagen aufgetragen werden. Jede Karosserie durchläuft dabei nicht weniger als fünf verschiedene Beschichtungsprozesse, bevor ihre neue Außenhaut allen technischen und visuellen Anforderungen genügt.
Glänzend bunt lackiert
Autolack: Nur fünf dünne Schichten | Der Lackaufbau eines Autos besteht aus fünf stets nur wenige Mikrometer dicken Schichten.
Autolacke bestehen üblicherweise aus mehreren leicht flüchtigen Komponenten, heute meist auf Wasserbasis, und nicht flüchtigen Bestandteilen, die nach dem Aushärten des Lacks auf der Karosserie verbleiben: Bindemitteln, Pigmenten, Füll- und Hilfsstoffen. Damit eine Mischung dieser Substanzen dauerhaft auf Metall haftet, muss dieses vorbehandelt werden. Eine phosphorsäurehaltige Lösung raut dazu seine Oberfläche auf und erzeugt eine Schicht aus Phosphaten, beispielsweise bei einer bereits verzinkten Karosserie aus Zinkphosphat sowie Phosphaten von Mangan und Nickel. Weil deren Kristallgitter dem des Metalls sehr ähnelt und die Sauerstoffatome der Phosphatgruppen eine große Neigung zur Bindung an das Metall aufweisen, haftet ein solcher Untergrund besonders zuverlässig. Andererseits vermittelt er auch zum Epoxidharz der Grundierung eine gute Adhäsion, denn dessen elektrisch polare Gruppen wechselwirken mit dem Phosphat.

Die kathodische Elektrodentauchlackierung | Um Außenflächen und auch Hohlräume einer Karosserie zu grundieren, wird sie in einem Becken mit Elektrotauchlack geflutet und an eine negative Spannung (Kathode) angeschlossen. Der Lack besteht zu etwa achtzig Prozent aus Wasser und enthält positiv geladene Epoxidharz-Partikel (Harz-NR2H+) als Bindemittel. An der Metalloberfläche entstehen nun durch elektrolytische Spaltung des Wassers negativ geladene Hydroxid-Ionen, die die Harz-Partikel entladen (Harz-NR2). Sie werden unlöslich und scheiden sich ab. Die Grundierungsschicht wächst so lange, bis ihre isolierende Wirkung den Stromfluss unterbindet.

Übrigens: Wasserbasislacke enthalten immer noch 10 bis 15 Prozent organische Lösemittel, Wasserfüller fünf bis sieben Prozent. Diese Lacke ergeben nur dann optimale Resultate, wenn Temperatur, Luftfeuchtigkeit und sogar die Luftgeschwindigkeit in der Lackierkabine genau und konstant gehalten werden. Typische Werte sind: 23 +/-3 Grad Celsius und 65 +/-5 Prozent Feuchtigkeit.

Von etwa 15 Kilogramm flüssiger Beschichtungsmittel verbleiben nach dem Einbrennen und dem damit verbundenen Abdunsten von Lösemitteln und Wasser rund acht Kilogramm als Feststoff auf dem Metall.
In einem Bad wird diese Grundierung elektrochemisch aufgetragen. Sie trägt den Hauptanteil am Korrosionsschutz. Unebenheiten gleicht ein Füllerlack aus. Seine Bindemittel sind Polyester oder Polyurethane, ihre Elastizität macht den gesamten Schichtaufbau unempfindlicher gegen Stein- und Splittschlag. Erst der nun folgende Basislack gibt der Lackierung ihre Farbe oder ruft besondere Lichteffekte hervor. Unilacke enthalten Buntpigmente, Metallic-Lacken setzen die Hersteller mikroskopische Aluminiumplättchen zu, für Perlglanz oder Farbflop – Farbänderungen je nach Betrachtungsrichtung - zeichnen metalloxidbeschichtete Glimmerpartikel verantwortlich. Prestigeträchtige Sonderlackierungen, die das Changieren von Seidenstoffen oder das Schillern von Schmetterlingsflügeln nachahmen, kosten oft einige tausend Euro mehr als die Standardausführung.

WUSSTEN SIE SCHON?
Mit den Nitrolacken, Lösungen von Nitrozellulose in organischen Estern, begann in den 1920er Jahren die Fließbandlackierung von Kraftfahrzeugen, fast vierzig Jahre nach den ersten motorisierten "Velocipeden" von Carl Benz. Nach dem Aufspritzen waren die Lackschichten innerhalb weniger Minuten trocken und schleifbar, erlaubten also kurze Taktzeiten.
Eine Klarlackschicht auf Acrylat-Grundlage versiegelt schließlich den Basislack und verleiht ihm Glanz, Witterungsbeständigkeit und in gewissem Maße auch Kratzfestigkeit. Füller, Basis- und Klarlack werden zum größten Teil elektrostatisch von Automaten in Reinraumkabinen aufgesprüht, jeder an einer eigenen Station. Üblicherweise verfügt jede über einen "Dachautomaten" mit drei Zerstäubereinheiten für die Lackierung von Motorhaube, Dach und Heckklappe sowie zwei "Seitenautomaten" mit je drei Einheiten für die seitlichen Karosserieteile. Die elektrostatischen Sprühtechniken arbeiten äußerst effektiv: Etwa neunzig Prozent des eingesetzten schichtbildenden Materials kommen schlussendlich tatsächlich auf der Karosserie an.

Elektrostatische Sprühlackierung | Eine mit 20 000 bis 40 000 Umdrehungen pro Minute um ihre Längsachse rotierende Glocke zerstäubt Lack zu einem feinen Nebel und schleudert die Tröpfchen zu einem Kranz von Elektroden. Dort werden sie mit Ionen aufgeladen, die an den Elektrodenspitzen in einer Gasentladung entstehen. Vom geerdeten Werkstück angezogen und durch einen Luftstrahl gelenkt, bewegt sich die Lackwolke zur grundierten Karosserie. Im Takt von zwei bis fünf Minuten trägt ein solcher "elektrostatisch unterstützter Hochrotationszerstäuber" bis zu einem halben Liter Beschichtungsstoff auf die Karosserie auf.

Metalleffektlacke glänzen übrigens nur dann, wenn sich die 25 bis 45 Mikrometer großen Aluminiumplättchen im nassen Lackfilm parallel zur Oberfläche ausrichten. Hohe Flüssigkeitsanteile und dadurch starke Schrumpfung beim Trocknen erleichtern diese Orientierung, Additive verhindern ein Verwirbeln.
Die einzelnen Lackschichten härten bei 120 bis 180 Grad Celsius in Durchlauftrocknern mit Umluft oder Wärmestrahlung aus. Grundierung, Füller und Klarlack werden außerdem an verunreinigten Stellen geschliffen und gesäubert (der Basislack würde durch das Schleifen unschöne Riefen zeigen). Bis eine Karosserie diese Abfolge durchlaufen hat, vergeht heutzutage etwa eine Arbeitsschicht von sieben Stunden.



"Wissenschaft im Alltag" ist eine regelmäßige Rubrik in Spektrum der Wissenschaft. Eine Sammlung besonders schöner Artikel dieser Rubrik ist soeben als Dossier erschienen.

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