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Schwarze Löcher -

Das dunkelste Geheimnis der Gravitation


Computersimulation einer leuchtenden, um 40 Grad geneigten Materiescheibe um rotierendes Schwarzes Loch

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Schwarze Löcher und Kosmologie

Im Kapitel Massenskala Schwarzer Löcher wurden zuletzt die schwersten Löcher vorgestellt, die so viel Masse haben wie Milliarden Sonnen. Die kosmologisch brisanten Fragen sind: Woher kommen die supermassereichen Schwarzen Löcher, die schon im jungen Kosmos extrem aktiv in Gestalt der Aktiven Galaktischen Kerne (AGN) in Erscheinung treten? Und wie entwickeln sich die superschweren Löcher weiter? Weshalb gibt es im lokalen Kosmos keine Quasare mehr?

Wachstum supermassereicher Schwarzer Löcher

Wachstum Schwarzer Löcher: erst Quasare, viel später Seyferts Die Beobachtung von AGN in allen möglichen Wellenlängenbereichen elektromagnetischer Strahlung bei sehr hohen kosmologischen Rotverschiebungen legt nahe, dass sie sich schon recht bald im Frühen Universum gebildet haben müssen. AGN sind nichts anderes als aktive, supermassereiche Schwarze Löcher. Damit gestattet die Beobachtung von AGN in unterschiedlichen Epochen (d.h. bei unterschiedlicher kosmologischer Rotverschiebung) ein direktes Studium der AGN-Entwicklung und des Wachstums Schwarzer Löcher.
Die unmittelbare Umgebung des Schwarzen Loches gibt intensive Röntgenstrahlung ab. Es bietet sich daher an, bei den Beobachtungen weltraumgestützte Röntgenteleskope zu benutzen. Wie im historischen Abriss kurz beschrieben wurde, erlauben lang belichtete Röntgenfotos von Himmelsausschnitten, die so genannten Tiefenfeldbeobachtungen (engl. X-ray deep fields), eine genaue Analyse der AGN-Ära.
Die aktuellen Beobachtungen der Röntgengruppe am MPE sprechen dafür, dass sich die AGN nicht alle auf die gleiche Weise entwickelt haben, sondern die Entwicklung von ihrer Leuchtkraft abhängt! Ein großer Datensatz von knapp 1000 AGN Typ 1, die mit den Röntgensatelliten ROSAT, XMM-Newton und Chandra beobachtet wurden, führt im Energieband von 0.5 bis 2 keV zu folgendem, erstaunlichem Resultat: Bei kosmologisch großen Entfernungen (z ~ 2) gibt es besonders viele leuchtkräftige AGN wie die Quasare. Bei kosmologisch kleinen Entfernungen z ~ 0.7) gibt es hingegen besonders viele leuchtschwache AGN wie die Seyfert-Galaxien (Hasinger, Miyaji & Schmidt 2005). Die Leuchtkraft ist jedoch ein Maß für die Masse des zentralen Schwarzen Loches, das diese Leuchtkraft über Akkretion erzeugt, wie aus der Eddington-Relation hervorgeht. Macht man sich diesen Zusammenhang zunutze, so folgt, dass sich offensichtlich zuerst die schweren, großen Schwarzen Löcher gebildet haben. Deutlich später bildete sich das Gros der leuchtschwachen AGN. Dieses Phänomen nennt die Fachwelt antihierarchisches Wachstum Schwarzer Löcher.
Die Röntgenbeobachtungen wurden auch mit Modellen aus der Theorie erklärt (Merloni 2004). Die Modelle zeigen, dass die gemittelte Akkretionsrate aller Schwarzen Löcher zu kleiner kosmologischer Rotverschiebung hin abnimmt. Erst in diesen Epochen kleiner Rotverschiebung können daher die Akkretionsmoden mit kleiner Einfallrate (wie der ADAF und andere radiatively inefficient accretion flows, so genannte RIAFs) dominieren - das sind die Seyfert-Galaxien. Die Akkretionsmoden mit hoher Akkretionsrate, wie die Standardscheibe, dominieren in Epochen mit höherer Rotverschiebung - das sind gerade die Quasare.

Was passiert mit den viel schwereren Löchern der leuchtkräftigen AGN im lokalen Universum, bei z ~ 0? Sie sind noch da! Astronomen beobachten sie in den Zentren der größten Galaxienhaufen, den Galaxiensuperhaufen. Zum Beispiel ist die elliptische Zentralgalaxie M87 im Zentrum des Virgohaufens (z ~ 0.004) ein solcher Gigant vom Kaliber der Milliarden-Sonnenmassen-Klasse. Die Beobachtungen beruhen vor allem auf kinematischen Methoden wie der M-σ-Relation (beschrieben im Lexikon unter supermassereiches Schwarzes Loch).
Von theoretischer Seite kommt weitere Unterstützung für dieses Szenario: Im Sommer 2005 wurden die Ergebnisse der Millennium-Simulation vorgestellt (Springel et al. 2005). Mithilfe von Hochleistungsrechnern wurde die zeitliche Entwicklung eines riesigen Ausschnitts des Universums simuliert. Die Simulation startet bei einer kosmologischen Rotverschiebung von z = 127 und berechnet, wie sich knapp zehn Milliarden Teilchen in einem würfelförmigen Volumen mit einer Kantenlänge von knapp 700 Mpc bis zu einer Rotverschiebung von z ~ 0 formiert haben. Das wichtigste Ergebnis ist, dass der kalten Dunklen Materie die Schlüsselrolle bei der Entstehung großräumiger, kosmischer Strukturen zukommt. Und es stellte sich heraus - um an die Beobachtung im Virgohaufen anzuknüpfen - dass die Zentren der schwersten Galaxienhaufen die besten Orte im Universum sind, um nach den 'Nachfahren' der ersten supermassereichen Schwarzen Löcher zu suchen. Denn in solchen Knotenpunkten hatten sich auch in der Simulation die größten Massen angesammelt.
Wie im Lexikoneintrag Dunklen Materie detaillierter ausgeführt wird, ist es kürzlich auch gelungen, die 3D-Struktur der Dunklen Materie zu kartographieren (Massey et al. 2007). Dabei zeigte sich, dass die Dunkle Materie mehr und mehr bei kleiner Rotverschiebung zusammenklumpt, weil sie sich über die Gravitation anzieht.

Huhn oder Ei?

Nun wissen wir, dass in der Entstehungsgeschichte des Universums anscheinend zuerst die ganz hellen AGN und entsprechend die ganz großen Schwarzen Löcher auftauchten. Aber war zuerst das Loch da oder die umgebende Galaxie? Diese Fragestellung kursiert in der Fachwelt als hen-egg problem, also Huhn-oder-Ei-Frage. Denn auch die Biologie fragt sich, ob zuerst ein Huhn da war, das Eier legte, oder zuerst das Ei, aus dem sich ein Huhn entwickelte.
Um diese Frage beantworten zu können, muss ein weiterer Befund angeführt werden: Es muss klar, werden wie sich Sterne entwickelt haben, denn eine Galaxie ist nichts anderes als eine große Ansammlung von Sternen.

Letztendlich müssen die Astronomen nun so vorgehen, dass sie die Anzahl (junger d.h. vor allem blauer) Sterne bei großen kosmologischen Rotverschiebungen zählen. Das gestattet ihnen die Sternentstehungsrate (engl. star formation rate, SFR) im kosmologischen Rahmen zu bestimmen. Diese Beobachtungen sind optisch durchzuführen und benötigen die scharfen Augen des Weltraumteleskops Hubble (HST). Auch hier müssen die Astronomen sehr lange belichten und erhalten Bilder, die Hubble Deep Fields genannt werden.
Aus der Analyse dieser tiefen Einblicke ins Universum folgt die Entwicklung der Sternentstehungsrate mit der Rotverschiebungen (Madau 1996, Connolly et al. 1997). Der Clou ist nun, dass die SFR bei z ~ 1 ein Maximum hat - das ist entwicklungsgeschichtlich deutlich später, als das Maximum der Anzahldichte der Quasare (Hasinger 1997)! Mit anderen Worten: Diese Vergleiche von tiefen optischen mit tiefen Röntgenbeobachtungen sprechen dafür, dass die meisten supermassereichen Schwarzen Löcher sich vor den meisten Sternen entwickelt haben!

Woher kam das Ei?

Die supermassereichen Schwarzen Löcher erschienen zuerst auf der kosmischen Bildfläche. Wie sind sie genau entstanden? Wie dieser Prozess genau ablief, ist nach wie vor unverstanden. Die Millennium-Simulation lässt darüber spekulieren, ob der Kollaps von Halos aus Dunkle Materie auf Schwarze Löcher geschehen ist. Theoretiker stellen die Hypothese auf, das kleine Saatlöcher von nur etwa zehn oder vielleicht auch hundert Sonnenmassen bei z ~ 20 genug Zeit gehabt hätten, um exponentiell auf die großen Massen im lokalen Universum über Akkretion zu wachsen. In diesem konservativen Szenario wird angenommen, dass die ersten Schwarzen Löcher im Gravitationskollaps extrem massereicher Sterne der Population III entstanden. Die Halos aus Dunkler Materie stießen zusammen und verschmolzen miteinander. In diesen Gebilden sanken die aus PopIII-Sternen entstandenen kleineren Löcher (PopIII-Remnants) in das Zentrum. Gemäß diesem Vorschlag wuchsen die kleinen Löcher in den Halozentren durch Akkretion auf der kosmologischen Skala an. Am Ende einer Milliarden Jahre dauernden Entwicklung stehen dann die superschweren Löcher in den Galaxienzentren, wie sie Astronomen beobachten.
In einem spekulativeren Modell wäre denkbar, dass Mini-Löcher von der atomaren Längenskala über einen Inflationsmechanismus wie ihn das Universum selbst in der Frühphase durchmachte, exponentiell gewachsen sind und über Akkretion schließlich zu den gigantischen Vertretern in AGN wie den Quasaren oder den kleineren Seyfert-Galaxien oder den Zentren normaler Galaxien wurden.
Ebenso darf spekuliert werden, ob superkritische Brill-Wellen kollabiert sind und so die ersten 'Saatlöcher' lieferten.
Eine klassische Idee ist, dass relativistische Sternhaufen auf schwere stellare Schwarze Löcher kollabieren, dadurch dass die Sterne miteinander kollidierten und verschmolzen. Dieser Vorgang heißt in der Astrophysik Zel'dovich-Podurets-Instabilität, benannt nach Y.B. Zel'dovich und M.A. Podurets (Papier: The evolution of a system of gravitationally interacting point masses, 1965).
In der Klärung der Entstehung der supermassereichen Schwarzen Löcher ist noch viel Raum für mutige, aber physikalisch fundierte Spekulationen.

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Übersicht

Schwarze Löcher - Beobachtung Schwarze Löcher - Thermodynamik und Hawking-Strahlung


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Andreas Müller © Andreas Müller, August 2007