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Eulbergs tönende Tierwelt: (K)ein Reh in Hollywood

Hören Sie mal ein Reh (Capreolus capreolus) rufen – dann ahnen Sie: Das zarte Tier hat es in sich. Überhaupt ist es ein absoluter Gewinner, sorgt aber auch für einiges an Begriffsverwirrung, wie unser Kolumnist berichtet.
Buntstift-Zeichnung eines männlichen und eines weiblichen Rehs, Ausschnitt des Kopfbereichs
Das Reh ist die in Europa häufigste und kleinste Art aus der Familie der Hirsche. Als »Trughirsch« ist das Tier näher mit dem Elch verwandt als mit dem hiesigen Rot- oder Damhirsch.
Wissen Sie, wie ein Siebenschläfer klingt? Oder ein Reh? Warum der Pirol auch Regenkatze genannt wird? Vermutlich nicht – obwohl all diese Lebewesen Teil unserer heimischen Fauna sind. In der Kolumne »Eulbergs tönende Tierwelt« stellt der Techno-Künstler, Ökologe und Naturschützer Dominik Eulberg faszinierende Exemplare aus der Tierwelt vor unserer Haustür vor.

Kaum einem anderen Wildtier begegne ich als waschechte Eule auf meinen nächtlichen Streifzügen so häufig wie dem Reh (Capreolus capreolus). Es ist einfach überall in der Landschaft anzutreffen, sogar in meinem Garten – hier bedient es sich am Grünschnitthaufen oder am Vogelfutter.

Tatsächlich ist das Reh ein richtiges Erfolgsmodell. Als klassischer Kulturfolger kann es sich gut dem Lebensraum anpassen und profitiert sogar von der sonst kritisch anzusehenden Überdüngung unserer Landschaften. Denn es liebt stickstoffhaltige Pflanzen wie den Löwenzahn. Und da Raubtiere wie Wölfe und Luchse hier zu Lande rar sind und konkurrierendes Rotwild immens bejagt wird, hat sich sein Bestand in den letzten 150 Jahren massiv ausgedehnt. In Deutschland leben mittlerweile etwa zehnmal so viele Rehe wie Rot- und Damhirsche zusammen; mehr als eine Million werden jährlich bei der Jagd erlegt.

Obwohl Rehe bei uns quasi allgegenwärtig sind, sind die Wissenslücken ihnen gegenüber groß. Das Röhren der Hirsche ist wohl jeder und jedem bekannt. Aber wissen Sie auch, wie ein Reh klingt?

Diese bellenden Rufe vernimmt man am häufigsten. Man hört sie meist, wenn die Tiere aufgeschreckt wurden. Sie signalisieren dem Störenfried: »Ich habe dich entdeckt, ein Angriff ist sinnlos.« Deshalb nennt man das typische Rehbellen auch »Schrecklaut«.

Übrigens: Entgegen einer weit verbreiteten Legende ist ein Reh nicht das weibliche Pendant zu einem Hirsch! Oft stelle ich mit Verwunderung fest, dass viele Mitmenschen genau das denken. Woher kommt diese zoologische Begriffsverwirrung? Der Ursprung für den Irrglauben liegt in einem berühmten Kinderfilm. Walt Disneys Kassenschlager »Bambi« schauten Abermillionen. Die ursprüngliche Geschichte des Zeichentrickfilms schrieb der österreichische Jäger und Schriftsteller Felix Salten. Etwa 20 Jahre vor dem Disney-Film veröffentlichte er bereits einen Roman, in dem ein Rehkitz namens Bambi die Hauptrolle spielt.

  • Das Reh

    Hier finden Sie alle wichtigen Eckdaten und Beobachtungstipps rund um das Reh.

  • Steckbrief

    Klasse: Säugetiere

    Ordnung: Paarhufer

    Familie: Hirsche

    Größe: 100 bis 130 Zentimeter

    Gewicht: 15 bis 35 Kilogramm

    Fortpflanzungsperioden pro Jahr: 1

    Nachkommen pro Periode: 1 bis 3

    Höchstalter: 18 Jahre

    Bundesweiter Gefährdungsgrad (Rote Liste): nicht gefährdet

    Volkstümlicher Name: Bambi

  • Beobachtungstipps
    Rehe sind überwiegend dämmerungsaktiv. Tagsüber verstecken sich die scheuen Tiere gerne im Wald. Die besten Chancen auf eine Begegnung hat man das ganze Jahr über frühmorgens und abends an einem Waldrand. Rehkitze kommen im Mai und Juni zur Welt. Sie halten sich in den ersten Lebenswochen regungslos im hohen Gras auf. Bitte nicht anfassen!
    Rehkitz | Seine hellen Kitzflecken dienen zur Tarnung in der Vegetation. Ab der vierten Lebenswoche verblassen sie allmählich. In den ersten Lebenstagen besucht die Mutter ihre Jungen ausschließlich zum Säugen.

Als man die Geschichte für den amerikanischen Markt verfilmte, tat sich ein Problem auf: Es gibt in den USA kein Rehwild. Deshalb wurde Bambis Vater kurzerhand zu einem Weißwedelhirsch und das Rehkitz zu einem Weißwedelhirschkalb. In der deutschen Übersetzung ist dann wieder vom Rehkitz die Rede. Seitdem glauben viele, dass das Reh das weibliche Pendant des Hirsches sei. Tatsächlich heißen bei den fast pferdegroßen Hirschen die Weibchen Hirschkuh. Bei den nur etwa schäferhundgroßen Rehen heißen sie Ricken.

Die Zeit der Fortpflanzung beginnt im Juli und endet Mitte August, wobei das weibliche Reh bloß vier Tage im Jahr empfängnisbereit ist. Der Bock treibt die Ricke im Kreis, wodurch so genannte Hexenkessel im Gras oder im Feld entstehen. Kurz nach der Paarung setzt sich die befruchtete Eizelle erst einmal zur Ruhe, damit die Geburt der Kitze nicht in die Wintermonate fällt. Erst ab Ende Dezember beginnt die Weiterentwicklung der Eizelle, so dass die Jungen ab Mai zur Welt kommen.

Das Reh | Auffallend bei beiden Geschlechtern ist der »Spiegel«, also der helle Fellbereich am Hinterteil. Bei Rehböcken ist der Spiegel eher nieren- und bei Ricken eher herzförmig; er dient der Kommunikation untereinander. Nur die Rehböcke tragen ein Geweih, das sie im Herbst abwerfen.

Erste Rehe bevölkerten bereits vor 25 Millionen Jahren unseren Planeten. Sie gehören zwar auch zur Familie der Hirsche, jedoch nicht zur Tribus der Echten Hirsche. Vielmehr zählen sie zur Unterfamilie der Trughirsche. Hirsche sind Paarhufer. Bei ihnen allen hat sich im Lauf der Evolution der Daumen – beziehungsweise die erste Zehe – vollständig zurückgebildet. Die Körperlast wird von den Mittel- und Ringfingern sowie den entsprechenden Zehen getragen. Der anatomische Hauptunterschied zwischen Echten Hirschen und Trughirschen ist folgender: Bei Trughirschen sind die Überreste des zweiten und fünften Mittelhandknochens lediglich unten am Vorderlauf vorhanden. Bei Echten Hirschen finden sich jedoch noch deren Überreste oben und unten im Vorderlauf. Ein etwas offensichtlicherer Unterschied: Trughirschen fehlt stets die untere Sprosse des Geweihs, die so genannte Augsprosse. Der nächste genetische Verwandte des Rehs ist in unseren Gefilden der Elch.

Während der beinahe zehnmal so schwere Rothirsch überwiegend in Rudeln lebt, ist das Reh eher ein Einzelgänger. Nur im Herbst und Winter schließen sich Rehe zu kleinen Verbänden, den »Sprüngen«, zusammen. Sie sind zudem keine ehemaligen Steppenbewohner wie die Rothirsche, sondern besiedelten einst Waldränder und unterwuchsreiche Lebensräume. Der Körperbau des Rehs ist optimal daran angepasst: Mit einem schmalen Brustkorb und kräftigen Hinterläufen hat es eine Art Keilform, dank der es perfekt durch dichte Vegetation und Unterholz schlüpfen kann.

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