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Leseprobe »Leadership in Game of Thrones«: Die Anführerinnen

Die Frauen in »Game of Thrones« repräsentieren verschiedene weibliche Führungstypen und bewältigen unterschiedliche Hindernisse im Kampf um Selbstermächtigung und Einfluss, was sich auch in ihrer Kleidung materialisiert.
Hand hält weißen Springer bereit für den nächsten Zug auf dem Schachbrett.

Die weiblichen Anführerinnen

Im Finale der sechsten Staffel von Game of Thrones steigen die weiblichen Anführerinnen in die höchsten Ebenen der Macht auf. Cersei Lennister sitzt auf dem Eisernen Thron, Daenerys Targaryen schmiedet aus Übersee fleißig Allianzen, und Sansa Stark hat blutige Rache am missbräuchlichen Ehemann Ramsay Bolton geübt und sich als die entscheidende Strategin in der Schlacht der Bastarde erwiesen. Gerade bei Sansa Stark hätte das globale Publikum nicht mit einer solchen Wendung gerechnet.

Sansa Stark (gespielt von Sophie Turner) wird gleich in der allerersten Folge eingeführt als die älteste Tochter von Lord Eddard Stark und seiner Frau Catelyn Stark. Während ihre Brüder reiten und Bogen schießen, widmet sie sich als braves Mädchen traditionell weiblich der Handarbeit mit Nähen, Stickereien und Liedern und zeigt keine besondere Initiative. Sie träumt davon, einen Prinzen zu heiraten und mit ihm wie im Märchen glücklich bis an das Lebensende zusammenzuleben. Auch dieses Stereotyp wird von Game of Thrones erbarmungslos und über viele Staffeln hinweg zerlegt, bis Sansa selbst schließlich verkündet: »Ich lerne langsam. Aber ich lerne«  –  »I’m a slow learner. It’s true. But I learn.«

Von ihrer anfänglichen und festsitzenden Naivität und Romantik wird Sansa schon in der ersten Staffel brutal kuriert, denn der auserwählte Prinz, Joffrey Lennister, zeigt sich zunehmend gewalttätig und sadistisch und zwingt sie, in Königsmund die Hinrichtung ihres Vaters mitanzusehen. Hier hilft kein Weinen und Flehen. Später wird Sansa ohne ihre Einwilligung mit dem kleinwüchsigen Tyrion Lennister verheiratet, der allerdings auf den Beischlaf zum Ehevollzug verzichtet und sie mit Respekt behandelt. Nach ihrer Flucht aus der Hauptstadt und ihrem Aufenthalt im Grünen Tal überredet Petyr Baelish sie zu einer Hochzeit mit Ramsay Bolton, die mit einer Vergewaltigung beginnt und weiteren sexuellen und psychischen Missbrauch nach sich zieht. Aus diesem Loch entkommt Sansa und organisiert, dass die Ritter des Grünen Tals für sie bei der Schlacht der Bastarde kämpfen, was ihr den Sieg sichert. Nachdem sowohl der Nachtkönig als auch Cersei und Daenerys besiegt werden, steigt Bran »der Gebrochene« zum König der Sechs Königslande auf. Sansa erklärt den Norden für unabhängig und residiert zum Ende der Erzählung als »Königin des Nordens« auf Winterfell.

Das wäre nicht zu erwarten gewesen, denn die Serie wurde heftig kritisiert wegen der Darstellung von Gewalt gegen Frauen, Vergewaltigungsszenen und Unterdrückung in männlichen Machtstrukturen. Auch ist das Fantasy-Genre mit Jungfrauen in Nöten und übergriffiger Ritterlichkeit generell nicht gerade bekannt für seine fortschrittliche Darstellung weiblicher Rollen. Aber die Zeiten ändern sich, und so ändert sich auch Literatur, Film und Fernsehen. Martin hat bereits starke Charaktere in der Vorlage angelegt, aber die TV-Adaption zeigt diese Jahre später noch aktiver und mit mehr Kante für eine Gesellschaft, die bereit ist für Frauen in Führung, die keine Objekte, sondern gestaltende Subjekte sind.

Der Umbruch der Machtverhältnisse mit den neuen Storylines der weiblichen Charaktere könnte mit der öffentlichen Empörung über die zunächst frauenfeindliche Haltung der Serie zu tun haben, argwöhnte etwa der Economist: Aus kompletten Handlungssträngen wurde weibliche Selbstbestimmung herausgeschrieben, die letzte Thronerbin Myrcella Lennister wurde nicht fast gekrönt, sondern ermordet, die andere Kandidatin Shireen Baratheon auf dem Scheiterhaufen verbrannt, die führende Frau des Hauses Stark, Sansa, vergewaltigt. Die Popkulturseite Mary Sue wandte sich angeekelt ab, die amerikanische Senatorin Claire McCaskill schaltete aus und erklärte sich auf Twitter, wo ihr viele andere folgten. Andere jedoch sehen einen Trend von Empowerment nach Unterdrückung und als unerwartete Folge von Missbrauch, der durchaus langfristig in der Serie angelegt sei. Ob die Screenwriter nun auf das entnervte Publikum gehört haben, oder lediglich dessen Geduld über die Schmerzgrenze hinweg testen wollten um Anlauf zur kathartischen Vergeltung zu nehmen: Die Serie ist ein Spiegel unserer Zeit und Frauen dringen zunehmend, aber mühsam, in die obersten Führungsebenen auch in der Wirtschaftswelt vor.

Traditionell war Weiblichkeit in der Wirtschaftswelt der komplette Gegensatz von effizienter Führung, die ausschließlich als männlich in Praxis und Theorie definiert wurde. Frauen gelten dort im herkömmlichen Denken per se als ineffizient und inkompatibel mit dem Konzept von Führung. Heute bringen Frauen zunehmend erfolgreich ihre starke Weiblichkeit mit körperlichem Selbstbewusstsein ein und die Leadership-Praxis und die Forschung zum Thema, hat sich über die letzten Jahrzehnte weiterentwickelt. Dennoch wird ihr bisweilen vorgeworfen, sie sei blind gegenüber Gender-Fragen, die noch lange nicht gelöst sind.

Die Frauen in Game of Thrones hingegen können diesbezüglich als die Augenöffner aus dem Fantasy-Mittelalter gelten. Catelyn Stark nutzt ihren Einfluss als Ehefrau und Mutter im Krieg der fünf Könige und agiert als Botschafterin für ihren Sohn Robb. Cersei behauptet sich in Königsmund. Arya Stark, die jüngste Tochter der Stark-Familie aus Winterfell, wird vom Tomboy zur Gemeinwaffe und ersticht selbst die größte Bedrohung der Serie, den Nachtkönig, mit dem eigenen Dolch. Daenerys wird von der verkauften Kinderbraut zur »Mother of Dragons« und schließlich – wenn auch nur kurz – zur totalitären Herrscherin. Sansa mausert sich vom naiven Püppchen zur Kriegsstrategin, die den Kampf der Bastarde für sich entscheidet, Winterfell verwaltet und schließlich Petyr Baelish für seinen Verrat hinrichten lässt.

In den meisten dieser Geschichten sind Motive zu erkennen wie Berufung, Weigerung, Weg der Prüfungen, Wiedergeburt und schließlich Sieg über den Feind. In der Reise der Heldinnen spiegelt sich die Grundstruktur der Heldenreise, die der Mythenforscher Joseph Campbell erforscht hatte, und die auch in das moderne Coaching von Führungspersonen eingeflossen ist. Für jede Führungsperson lohnt es sich, die Stationen im Zyklus der Entwicklung zu kennen, zu identifizieren, und reflektiert in Angriff zu nehmen. Game of Thrones illustriert diese persönlichen Reisen auch mit den sich verändernden Kostümen. Die Outfits spiegeln die langsame Verwandlung stereotypisch femininer, naiver und unterwürfiger Charaktere.

Cersei Lennister mausert sich von einer hellblonden Lady am Hof in Königsmund in fließenden Gewändern mit Vogelstickereien, die dann zu Löwen wurden, zu einer düsteren Königin im gepanzerten Korsett. Sansa Stark tritt zu Anfang unsicher in wallenden, weichen Pastellfarben auf und passt sich auch mit Flechtfrisuren und verschiedenen verspielten Hairstyles ihrer neuen Umgebung in Königsmund an. In der ersten Staffel ziert eine Libelle als Schmuckstück den Hals der jungen Prinzessin, die zwar ebenso leicht und fragil wie Sansa erscheint, aber noch mehr verrät: Symbolisch steht die Libelle für Wandel, Transformation, Anpassungsfähigkeit und Selbstverwirklichung und verweist auf mentale und emotionale Stärke. Dies beweist die Lady von Winterfell, während so viele andere um sie herum die Nerven verlieren. Nach ihrem langen Leidensweg erscheint Sansa in der letzten Staffel im hochgeschlossenen, rüstungsartigen Lederriemen-Korsett: Der Halbkreis der groben Metallkette symbolisiert Einheit und weibliche Macht, die Nadel steht für ihre eigene Nähkunst und stellt eine Verbindung zum gleichnamigen Schwert der Schwester dar, die Lederrüstung schützt ihren Körper nach den traumatischen Erfahrungen von Gewalt, sexuellem Missbrauch und Verrat. Das Power-Outfit fiel dem internationalen Publikum in den sozialen Netzwerken auf, und verkündet im Kleidungs-Vokabular der Serie dem Zuschauer deutlich den Machtanspruch, den Sansa in der letzten Staffel als Königin eines unabhängigen Nordens einlöst. Diese Art Bayern von Westeros sichert sie sich als Freistaat unter ihrer Führung.

Cersei, Catelyn, Daenerys, Asha und Sansa bewältigen unterschiedliche Hindernisse im Kampf um die Macht und repräsentieren dabei verschiedene weibliche Archetypen, was ein seltenes Thema im Medien-Mainstream ist. Gerade in Bezug auf die Leadership-Thematik sind diese Geschichten der Frauen relevant, denn Führung ist mit Sexualität verbunden, etwa durch Sprache und auch Verhalten, auch wenn die Forschung auf diesem Gebiet dies lange Zeit nicht thematisiert hat. Sinclair hat untersucht, dass effektive Führung häufig bedeutet, »heroisch«, »hart« und »maskulin« zu sein, und, dass sowohl männliche als auch weibliche Führungspersonen die Gleichung aufstellen: Leadership ist gleich maskuline Heterosexualität. Weiblichkeit passt kaum zu solchen weit verbreiteten Vorstellungen von Leadership.

Oft haben die Anführerinnen im Kampf um die Macht ihre stereotypen weiblichen, i.e. sanfteren Seiten verloren. Daenerys übt ihre Macht aus durch Drachen, die in der Fantasy-Welt Gestalt gewordenen Massenvernichtungswaffen, oder schlagkräftige männliche Konsorten, die das Töten für sie übernehmen. Selbstbewusstsein, Grausamkeit, Aggressivität und die Bereitschaft zum Einsatz von Gewalt sind klassische maskuline Züge, die Daenerys internalisiert hat und recht hemmungslos nach außen zeigt (»Dracarys!«). Arya Stark und Brienne von Tarth, als »harte Frauen« erscheinen vom Geschlecht her oft neutral, führen ihre Waffen wie die Männer, und identifizieren sich selbst nicht als »eine Lady«. Brienne wird in der letzten Staffel von Jamie Lennister zum Ritter geschlagen, und erhebt sich als »a knight«. Arya Stark (gespielt von Maisie Williams) lässt sich nicht führen und folgt niemandem, sie ist eine Einzelgängerin, verachtet Autoritäten und übt als gesichtslose Killerin ausführliche Selbstjustiz aus. So ist sie eine der wenigen Personen, die sich kaum einordnen lassen und weitgehend außerhalb des ubiquitären Führungsdiskurses handeln. Westeros kehrt sie schlussendlich den Rücken und in der letzten Folge sieht man Arya auf einem Schiff in bisher unbeschriebene Gewässer aufbrechen.

Game of Thrones zeigte zu Anfang den Zusammenhang von Macht und Geschlecht als sexuelle Gewalt gegen unterlegene Frauen. Da dies hohe mediale Aufmerksamkeit generierte, lohnt es sich, über das Thema Sexualität in die Analyse von Führung einzusteigen. In Serien wie auch im öffentlichen und wirtschaftlichen Leben wird männliche Sexualität als normal akzeptiert. Sie wird in das Leben in Organisationen integriert, denn sie trägt zur Effizienz bei. Sexualisiertes Verhalten wird traditionell als »Dampf ablassen«, »dazu gehören« und »normal männlich« aufgefasst. Das sieht man etwa in der TV-Serie Mad Men und dem Protagonisten Don Draper. Als umtriebiger Kreativ-Direktor absolviert er einen straffen Tagesablauf zwischen Meetings, Schäferstündchen und Alkoholmissbrauch. Auch sexuelle Belästigung und Affären am Arbeitsplatz zwischen Führungsetagen, Sekretärinnen und anderen Frauen auf meist niedrigen Hierarchiestufen werden ausgiebig auf dem Bildschirm ausgetragen. Sex ist hier in Ordnung, wenn er der Person mit Macht dient, also dem Mann. Wie geschildert hat sich die Leadership-Praxis und -Theorie gerade in den letzten zwanzig Jahren weiterentwickelt, über die personenzentrierten und phallozentrischen Perspektiven hinaus, und heute zeigen Fernsehsendungen wie Game of Thrones, dass Leadership nicht immer maskulin sexuell konnotiert sein muss. Jeder Leader hat hier Sex, auch die Frauen, und auch Menschen verschiedener Geschlechter mit Behinderung.

Sinclair empfahl schon in den 1990er Jahren, eine frauenzentrierte Debatte über Sexualität und Führung zu führen, damit Frauen sich nicht im Gegensatz zu einer Norm von Männlichkeit ausrichten müssen, sondern ihr sexuelles und intellektuelles Selbst in Führungsrollen einbringen können. Auf diesem Weg ist auch die populäre Kultur weiter fortgeschritten und in Game of Thrones können wir Rollenmodelle sehen, die ihre Sexualität offen verhandeln. Das Mittelalter-Fantasydrama eignet sich viel besser als Reflexionsfläche als Büroserien wie Mad Men, in der weibliche Kämpfe realistischerweise viel subtiler ausgefochten werden müssen. Nackt aus dem Scheiterhaufen zu steigen wäre im Office etwas over-the-top. Von dem dahinterstehenden Denken jedoch lässt sich einige Inspiration für die Zuschauerin gewinnen.

Für heterosexuelle Männer fallen traditionell sexuelle Identität und akzeptiertes Führungsverhalten zusammen, während Frauen ihre wahrgenommene Sexualität aktiv managen, also entweder verstecken oder bestimmten Stereotypen entsprechen müssen, was am Selbstbewusstsein nagt. So hat Sinclair vier Kategorien ausgemacht und an zwei Achsen aufgetragen, die Macht (niedrig/hoch) und Sexualität (niedrig/hoch) aufspannen. Im ersten Quadranten »wenig Macht/niedrige Sexualität« verneinen die Frauen ihre Weiblichkeit in einem maskulin dominierten Umfeld, tragen unauffällige Kleidung, erwähnen weder ihr Privatleben und bisweilen nicht einmal ihre Kinder. Gerade dieser Punkt hat sich in den letzten Jahrzehnten geändert, wobei weibliche Körper immer noch beurteilt werden und gerade Schwangere sich auf Arbeit verstecken. Der Sektor »wenig Macht/hohes sexuelles Bewusstsein« spiegelt die Erfahrungen vieler Frauen in sexualisierten und diskriminierenden Arbeitsumgebungen wieder – hier könnten wir viele der berufstätigen Frauen in der Serie Mad Man einordnen. Im Feld »hohe Macht/niedrige Sexualität« finden sich Frauen in Führungspositionen, die ebenfalls ihre Sexualität verbergen. Im Feld »hohe Macht/hohes sexuelles Bewusstsein« behaupten sich Frauen in Führungspositionen mit ihrer vollen körperlichen und weiblichen Präsenz, bringen ihr Baby mit zur Arbeit, und verteidigen sich mit Humor und Energie, wenn es nötig ist. Dafür brauchte die hart kämpfende Bürochefin Joan Harris in Mad Men mehrere Staffeln.

Eindrückliche Beispiele solcher Modelle zeigt uns Game of Thrones weniger am Anfang, sondern mit dem Verlauf der Folgen. Als eines der ersten Beispiele neben der später folgenden Melisandre und Daenerys lässt sich Lysa Arryn in das Feld mit hoher Macht und hoher Sexualität einordnen. Lysa Arryn (gespielt von Kate Dickie) ist die archetypische Mutter und karikiert überzeichnet. Sie sitzt auf dem Thron von Hohenehr (im Original: The Eyrie) nach dem Tod ihres Gatten und isoliert sich und ihren Sohn mit einer scheinbar paranoiden Wahrnehmung. Damit könnte sie zu den geistig erkrankten Charakteren der Serie zählen, die ihre Rolle neben anderen fehlbaren spielen. Lysa entblößt ihre Brüste und säugt ihren Sohn viele Jahre jenseits des Säuglingsalters vor allen Anwesenden auf dem Thron. Das ist eigentlich ein fast rebellischer Akt, da sie damit den männlichen Herrschaftsraum ganz anders besetzt.

Heather Höpfl beschrieb, dass in Führungskontexten oft kein Raum für Frauen bleibt, mit ihren menstruierenden, Milch produzierenden, Gerüche absondernden Körpern. Das sieht man wortwörtlich in Organisationen, in denen Frauenkörper in bestimmten Büros zusammensitzen, während sie kaum noch in den männlich dominierten oberen Fluren zu sehen sind. Ann Rippin sieht diese Verdrängung weiblicher Körper aus Machtbereichen ebenso, denn Frauen würden als Ablenkung wahrgenommen, ihr Eindringen in den männlichen Raum als unerlaubtes Betreten und Akt der Aggression: »That is worth thinking about in a post-feminist landscape. Organisations are arenas for men to be men, for male violence, symbolic or otherwise. What shall the women do other than hold the coats and roll the bandages?«. Auch in Westeros sind die Machtbereiche gerade in den ersten Staffeln immer von Männern dominiert. Cersei ist nur eine von vielen am Tisch des Beratungsgremiums in Königsmund, erst nach dem Tod von Robert, Joffrey und Tommen sitzt sie selbst auf dem Thron. Catelyn wird als Beraterin von Robb erst nach Eddards Tod eingebunden. Ähnlich ist es in anderen Schlössern und in Essos, wohin Daenerys langsam vordringt. Das Einnehmen des Herrschaftsraums endet für die angeschlagene Lysa Arryn allerdings nicht erfolgreich, denn sie wird von einem Mann manipuliert (Petyr Baelish) und schließlich hochsymbolisch durch das große Loch im Boden in die Tiefe gestoßen.

Wer sich schon früh in den obersten Kreisen der Macht bewegt als anderes Beispiel für hohe Sexualität und hohe Macht, ist die Rote Priesterin Melisandre (gespielt von Carice van Houten). Als Beraterin von Stannis Baratheon unterstützt sie seinen Weg auf den Eisernen Thron, er glaubt an sie und den Herrn des Lichts, und sie wird unersetzlich für ihn. Melisandre als gutaussehende in Schmuck und roten Kleidern verpackte femme fatale erlangt Macht, indem sie ihre Weiblichkeit ausspielt und ihren Körper einsetzt. Nicht zuletzt verführt sie Stannis sexuell und gebiert hyperweiblich-spirituell ein Schattenmonster. Ist sie eine feministische Ikone, die ihre spirituelle Macht einsetzt und Machtverhältnisse umkehrt, also Männer, Gegner oder eigens gewählte Opfer auf dem Scheiterhaufen verbrennt, wo sich einst die europäische mittelalterliche Gesellschaft unangepassten Frauen entledigte, um ihre Machtstruktur zu festigen? Der Charakter der Priesterin bedient sich Vorstellungen des Neopaganismus und im speziellen der Wicca, die popkulturell ein langes Hoch erleben. Die moderne Hexe sucht Spiritualität und hat das Bedürfnis, eigene Macht und Stärke wiederzuentdecken und auch für andere durch Aussehen und Kleidung zu inszenieren, mithilfe von Kräuterkursen und vielfältigen Beratungs- und Anleitungsbüchern. Melisandre kann man als Beispiel des neoliberalen Feminismus sehen, da sie individuelle Freiheit und Autonomie und ihre eigene Stimme verkörpert. Allerdings zeigt sich auch hier die fehlende Kritik am System, in dem sie agiert. Sie erlangt Macht mit und durch ihren Körper, der eigentlich der einer alten Frau ist, aber durch ein Zauber-Amulett jung erscheint. Das funktioniert im patriarchalischen System in Westeros und ihre Privilegien kann sie nur mit Unterstützung der jeweiligen mächtigen Männer ausüben. Beim Tode Stannis’ zieht sie weiter zum nächsten Mann. Für diese Person lässt sich Feminismus, Spiritualität und Sexualität nur für Männer in männlichen Machtstrukturen ausüben. Auch solche Führungspersonen kennt das globale Publikum aus eigener Erfahrung.

Wer an viel Macht und hohen Körpereinsatz denkt, kommt an der sehr weiblichen »Mother of Dragons« nicht vorbei. Sie geht kaum ohne ihre »Kinder« zur Arbeit, gerne in körperbetonten Kleidern, mit Dekolleté und blonder Langhaarfrisur, und lässt regelmäßig Gegner töten, die ihr dumm kommen. So geschehen beim Sklavenhändler Kraznys mo Nakloz aus Astapor, dem sie die Armee der Unbefleckten abnimmt. Bei den Treffen hört Daenerys sich stillschweigend derbe sexuelle Anzüglichkeiten in Kraznys’ Sprache an, während die Dolmetscherin Missandei diese in der Übersetzung vertuscht. Er wähnt sich in Sicherheit, nennt sie Bitch, lobt ihren Hintern, nennt sie ignorante Nutte, und beleidigt ihre Gefolgschaft (riecht nach Pisse, taugt nur als Schweinefutter). Er ist der prototypische Geschäftsmann der Oberschicht und der herrschenden Klasse, aus einem überheblichen und menschenverachtenden Männernetzwerk, das kleine Jungen kastriert und in der Soldatenausbildung systematisch misshandelt hat. Bei der Übergabe der Armee im Tausch gegen einen der Drachen zieht dieser an der Kette und lässt sich nicht bändigen, woraufhin Daenerys enthüllt, dass Valyrisch ihre Muttersprache ist, und mit bösem Blick ihrem Drachen den tödlichen Feuerstoß befiehlt.

Kraznys (zu Missandei):: Tell the bitch her beast won’t come.

Daenerys:: A dragon is not a slave.

Kraznys:: You speak Valyrian? .

Daenerys Targaryen:: I am Daenerys Stormborn of the House Targaryen, of the blood of Old Valyria. Valyrian is my mother tongue. (dreht sich zu den Soldaten): Unsullied! Slay the masters, slay the soldiers, slay every man who holds a whip, but harm no child. Strike the chains off every slave you see! .

Kraznys:: I am your master! Kill her! Kill her! .

Daenerys:: Dracarys. .

Genugtuung beim Publikum. Die Szene ermöglicht den Zuschauern ein befriedigendes Gefühl der Vergeltung, das mal wieder nicht subtil ist, so wie vergleichbare Auseinandersetzungen in der Arbeitswelt geregelt werden, sondern einfach mal brutal und direkt. Daenerys, Mhysa, geht mit männlichen Machttypen generell wenig zimperlich um. Beispielsweise nagelt sie nach der Eroberung von Yunkai die Meister an Kreuze am Wegesrand. Auch ihren soziopathischen Bruder Viserys, der sie eingeschüchtert und verkauft hatte, ihr drohte, sie vergewaltigen zu lassen und ihr Baby aus dem Bauch zu schneiden, liefert sie ihrem ebenfalls genervten Mann Kahl Drogo aus, der ihn mit flüssigem Gold übergießt. Das globale Publikum war immer auf ihrer Seite und identifizierte sich mit der Person, genoss ihre Erfolge und ihre Rache.

Das Publikum ist dabei, als sie gleich einem Phönix aus der Asche ihres toten Mannes stieg und dabei ihre Drachenbabys ausgebrütet hatte. Mythisches Empowerment! Das ist mal ein Beispiel, wie man sich selbst in extrem miesen Zeiten nicht unterkriegen lässt. Das Publikum ist dabei, wie die einst vergewaltigte Teenagerin ihre sexuelle Selbstständigkeit entdeckt und vollbekleidet ihren nächsten Lover, den nackten Daario Naharis ausführlich mit dem weiblichen Starren oder »female gaze« bedenkt. Das Publikum nickt komplizenhaft, als sie die Versammlung alter Khals, die ihr wie damals Viserys mit Gruppenvergewaltigung droht, kalt lächelnd wirkungsvoll in Feuer aufgehen lässt.

Daenerys bemächtigt sich nach den schlechten Erfahrungen konsequent selbst jenseits eines patriarchalischen Rechtssystems, dem sie nicht mehr trauen kann, und das sie ablehnt. Sie nimmt Bestrafung und Vergeltung selbst in ihre kleine, feuerresistente Hand und verfolgt eine außer-juristische Selbstverwirklichung mit dem Potenzial, die komplette patriarchalische Ordnung zu zerstören. Sie ist eine Waise und Witwe mit realer politischer Macht, mit Drachen und Eunuchen-Armeen und dem Geburtsrecht des Thronerbes, mit einem Sinn für Handeln frei von männlichem Einfluss. So wurde die schlecht erzählte und überschnelle Entwicklung ihres Charakters hin zur Wahnsinnigen zwar als irgendwie erklärbare Reaktion einer über einen längeren Zeitraum mehrfach traumatisierten Person gedeutet, aber vor allem als Betrug am Feminismus und Verrat an der Rolle gesehen. Was gut konstruiert begann, endete bedauerlicherweise mit einer Frau, die auf dem Drachen sitzt und nicht mehr verständliche Rache übt, sondern die Nerven verliert. Das fällt zurück in das alte Klischee der Hysterikerin.

Jede Anführerin ist in gewissem Sinne extrem und grenzt sich von den anderen ab, und so gießt Game of Thrones eine Bandbreite an zeitgemäßen Ideen über Leadership in weibliche Formen. Die andere der mächtigen Herrscherinnen, Cersei Lennister, entwickelt sich ähnlich wie Sansa und Daenerys und die anderen starken Frauen als Anführerin weiter und wappnet sich im Verlauf der Erzählung wortwörtlich mit der schweren Robe als symbolischer Rüstung – eine ähnliche optische Verwandlung wie bei Sansa. Bei Cersei jedoch wird diese Rüstung so fest und schwer, dass niemand mehr zu ihr durchzudringen scheint. Dramaturgisch und visuell ist diese Entwicklung hin zur Isolation sehr deutlich und ergiebig und lässt sich auch als eine Warnung verstehen.

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