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Nobelpreis für Medizin - infektiöse Proteine


Mit Stanley B. Prusiner ehrt das Nobel-Komitee den Forscher mit den größten Verdiensten um die Aufklärung der spongiformen Enzephalopathien, einer Gruppe von übertragbaren tödlichen degenerativen Erkrankungen des Gehirns. Dazu zählen Kuru, die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, das Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom und die tödliche familiäre Schlaflosigkeit beim Menschen, die Traberkrankheit (englisch scrapie) bei Schaf und Ziege sowie BSE beim Rind (siehe "Prionen-Erkrankungen" von Stanley B. Prusiner, Spektrum der Wissenschaft, März 1995, Seite 44). Prusiner entwickelte Anfang der achtziger Jahre eine Hypothese über den Auslöser dieser Krankheiten, die allen gängigen Vorstellungen über Infektionserreger widersprach und ihm den Ruf eines wissenschaftlichen Ketzers und Bilderstürmers eintrug. Er hat diese Hypothese gegen wissenschaftlichen Widerspruch, ja Anfeindung durch Kollegen über viele Jahre weiterverfolgt und mit seiner Arbeitsgruppe in San Francisco eine große Zahl entscheidender Versuche zu ihrer Untermauerung durchgeführt.

Wegen der ungewöhnlichen physikalisch-chemischen Eigenschaften der Erreger von spongiformen Enzephalopathien spekulierten schon in den sechziger Jahren unabhängig voneinander Tikvah Alper, damals am Hammersmith-Hospital in London, und J. S. Griffith vom Bedford College in London, daß er im Unterschied zu allen anderen bekannten Auslösern übertragbarer Krankheiten keine Erbsubstanz in der üblichen Form einer Nucleinsäure enthalten könne. Nach jahrelangen Versuchen, das infektiöse Agens anzureichern, vermochte Prusiner ein Protein zu isolieren, das eng mit der Infektiosität gekoppelt war und offensichtlich einen Teil des Krankheitserregers oder sogar diesen selbst darstellte. Dies bewog ihn 1982 dazu, die Existenz infektiöser Proteinpartikel, von ihm Prionen genannt, zu postulieren und einen Mechanismus vorzuschlagen, wie sie sich selbst vermehren und dabei die Erkrankung auslösen können (siehe seinen Artikel "Prionen", Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1984, Seite 48).

Demnach ist das pathogene Agens die abgewandelte Form eines körpereigenen zellulären Proteins, das Prusiner als PrPC bezeichnete, während er die krankmachende Variante, die er aus Gehirnen an Scrapie verendeter Hamster isoliert hatte, PrPSc nannte. Gemäß der Prion-Hypothese kann PrPSc mit dem normalen PrPC in Wechselwirkung treten und es dabei veranlassen, sich ebenfalls in die pathogene Form umzuwandeln. Auf diese Weise käme eine lawinenartige Kettenreaktion in Gang, durch die aus körpereigenem PrPC immer mehr PrPSc entsteht, das seinerseits die Umwandlung weiterer PrPC-Moleküle bewirkt.

Eine wesentliche Stütze dieser Theorie lieferten 1993 Experimente von Charles Weissmann und seinen Mitarbeitern an der Universität Zürich. An Mäusen, bei denen das PrPC-Gen gezielt zerstört worden war, demonstrierten die Schweizer Wissenschaftler, daß sich pathogene Prionen nur dann vermehren und eine Erkrankung auslösen können, wenn die Nervenzellen des befallenen Organismus das normale Protein produzieren.

Der Umwandlungsprozeß selbst wirft freilich noch zahlreiche Fragen auf. Nach allem, was man inzwischen weiß, besteht er in einer Änderung der Konformation, das heißt der verschlungenen dreidimensionalen Anordnung (fachsprachlich: Faltung) der Aminosäurekette des Prionproteins. Die normale zelluläre Form ist ziemlich reich an alpha-helikalen, also schraubig gewundenen, Abschnitten (Bild), während die pathologische Variante mehr flächenhaft-starre Beta-Faltblattbereiche aufweist, in denen die Aminosäurekette zickzackförmig hin und her läuft (siehe Spektrum der Wissenschaft, September 1996, Seite 16). Zwei Modelle werden diskutiert: Nach dem einen ist die PrPSc-Form die energetisch stabilere, und das pathogene Protein katalysiert die Umwandlung der metastabilen zellulären in die thermodynamisch begünstigte Scrapie-Konformation; dagegen wird beim Nucleationsmodell angenommen, daß das PrPSc wie ein Kristallisationskeim wirkt, an den sich das normale PrPC anlagert und dabei die pathogene Form annimmt.

Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal der beiden Konformationen besteht darin, daß PrPC von Proteasen – proteinspaltenden Enzymen – zerlegt wird, PrPSc unter denselben Bedingungen dagegen nicht. Nun konnte PrPC im Reagenzglas zwar in eine proteaseresistente Form überführt werden; der entscheidende Nachweis, daß diese infektiös ist, ließ sich bisher jedoch nicht erbringen. Zu den vielen noch offenen Fragen gehört auch, was den Umwandlungsprozeß in Gang setzen kann, ob Kofaktoren daran beteiligt sind, welche natürliche Funktion das zelluläre Prionprotein hat und wie das infektiöse Agens nach oraler Aufnahme ins Gehirn gelangt. Ebensowenig ist mit hinreichender Sicherheit bekannt, was eigentlich den Untergang von Nervenzellen und letztlich den Tod des befallenen Organismus herbeiführt.

Aus diesem Grunde gab es nach der Entscheidung des Nobel-Komitees teilweise Kritik, daß die Auszeichnung für eine Hypothese verliehen worden sei, deren endgültiger Beweis noch ausstehe. Es fragt sich jedoch, was als solche eindeutige Bestätigung zu werten ist und ob es ihrer überhaupt noch bedarf. Die Wissenschaftsgeschichte lehrt, daß bei vielen Hypothesen kein letzter unumstößlicher Beweis geführt werden kann. Statt dessen kommen nur immer mehr stützende Indizien zusammen, während anhaltende Versuche zur Falsifizierung scheitern. Auf diese Weise wird es zunehmend wahrscheinlicher, daß die Hypothese zutrifft, bis sich schließlich jeder vernünftige Zweifel daran verbietet.

Viele werteten es als entscheidende Bestätigung der Prion-Theorie, als Prusiner und seine Mitarbeiter 1989 bei Familien mit erblichen spongiformen Enzephalopathien des Menschen wie der familiären Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, dem Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom und der tödlichen familiären Schlaflosigkeit Mutationen des Gens für PrPC nachwiesen. Auf noch nicht bekannte Art und Weise scheinen demnach bestimmte Abwandlungen des PrPC den Umfaltungsprozeß zum PrPSc zu begünstigen. In allen untersuchten Familien erkranken sämtliche Träger der Mutation an einer tödlichen, erblichen und im Tierexperiment übertragbaren spongiformen Enzephalopathie.

Die Verfechter der Hypothese, daß in Wahrheit ein noch nicht entdecktes Virus solche Erkrankungen hervorrufe, halten diese Befunde freilich nicht für beweiskräftig. Ihrer Meinung nach sind sie auch so interpretierbar, daß die mutierten Prionproteine als Rezeptoren für ubiquitäre krankheitsauslösende Viren fungieren, die somit nur die betreffenden Familien befallen. Das gleiche Argument wurde vorgebracht, als Prusiner und seine Mitarbeiter transgene Mäuse schufen, die ein mutiertes PrP produzieren, das für das Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom charakteristisch ist, und an einer übertragbaren spongiformen Enzephalopathie zugrunde gehen.

Angesichts der Spitzfindigkeit, welche die Anhänger der Virus-Hypothese bei der Suche nach alternativen Erklärungen an den Tag legen, muß man sich allerdings fragen, welchen Beweis sie überhaupt anerkennen würden. Angenommen, man könnte eines Tages mit gentechnologischen Mitteln PrPC im Reagenzglas erzeugen, statt es aus einem Säugetierorganismus zu isolieren, so daß eine Kontamination garantiert ausgeschlossen wäre, und es gelänge, dieses Protein in die PrPSc-Form umzuwandeln und nachzuweisen, daß es infektiös ist. Selbst dann ließe sich der obige Einwand vorbringen und als denkbar hinstellen, daß das veränderte, von außen zugeführte PrPSc womöglich der Rezeptor des ubiquitären krankheitsauslösenden Virus sei oder ein endogenes Virus aktiviere, das sich normalerweise stumm als blinder Passagier im Erbgut des Menschen versteckt. Doch welchen Glauben soll man solchen doch recht weit hergeholten gedanklichen Konstruktionen schenken, nachdem mehr als 20 Jahre erfolglos nach einem Virus oder einer viralen Nucleinsäure gesucht worden ist?

Letztlich kann die Lösung nur darin bestehen, das gesamte Krankheitsgeschehen – die biophysikalischen Bedingungen des Umfaltungsprozesses ebenso wie die Invasion des Gehirns durch Prionen und den provozierten Nervenzelltod – lückenlos aufzuklären und zu zeigen, daß es vollständig durch infektiöse Proteine erklärbar ist und an keiner Stelle die Beteiligung eines Virus erfordert.

Die Prion-Hypothese erlaubt die schlüssige Deutung vieler komplizierter Zusammenhänge. Obwohl sie falsifizierbar ist und immer wieder gründlich mit großer Skepsis geprüft wurde, konnte sie bisher nicht widerlegt werden. Die Anerkennung der bahnbrechenden Arbeiten von Prusiner durch das Nobel-Komitee wird der Forschung auf diesem faszinierenden, medizinisch wichtigen Gebiet sicherlich weiteren Auftrieb geben.

Kasten: Rinderwahnsinn und die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit

Große öffentliche Beachtung haben Prionerkrankungen in der jüngsten Zeit durch das Auftreten der populär als Rinderwahnsinn bezeichneten bovinen spongiformen Enzephalopathie (BSE) gefunden. Sie könnte durch Verfütterung von Schlachtabfällen scrapie-infizierter Schafe auf Rinder übertragen worden sein, aber ebensogut eine sehr seltene eigene Krankheit bei Rindern darstellen, die im Sinne der Prion-Hypothese wie jede andere Prion-Krankheit jederzeit durch spontane Mutation von PrPC in Säugetieren entstehen kann; die Verfütterung von Tiermehl hätte ihrer Verbreitung dann Vorschub geleistet.



Für die Öffentlichkeit besonders brisant ist die Frage, ob die tödliche Erkrankung durch Verzehr von Rindfleisch auf den Menschen übertragen werden kann. Diesen Verdacht weckte vor allem eine neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (nvCJD), die rund zehn Jahre nach den ersten BSE-Fällen in Großbritannien aufkam und an der dort schon mehr als 20 Patienten gestorben sind. Sie ist pathologisch-anatomisch durch sogenannte floride prionproteinhaltige Plaques im Gehirn gekennzeichnet, die in der humanen Neuropathologie vorher nie beobachtet worden waren (Bild).



Wie Moira Bruce und ihr Team am Institute of Animal Health in Edinburgh (Schottland) kürzlich zeigten, hat der Erreger der BSE und der nvCJD praktisch identische Inkubationszeiten und ruft dieselben pathologischen Veränderungen in den Gehirnen eines Mäuse-Inzuchtstammes hervor. In beiden Charakteristika unterscheidet er sich völlig vom Verursacher der herkömmlichen Form der CJD oder dem von Scrapie.



Zusammen mit anderen Befunden muß man dies als Beweis dafür werten, daß BSE und nvCJD vom selben Erregerstamm hervorgerufen werden; aus epidemiologischen Gründen ergibt sich daraus des weiteren, daß BSE auf den Menschen übertragbar ist und die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit verursacht. Unklar sind allerdings die Infektionsrate und die Frage, ob die Übertragung durch den Verzehr von Rindfleisch allgemein oder nur von speziellen Organen wie dem Gehirn möglich ist.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1997, Seite 22
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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