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News: Schönheit im Büßergewand

Die Sonne ist eine grandiose Architektin schneebedeckter Landschaften. Hier modelliert sie große Eistürme und filigran anmutende Strukturen. Doch die Gestalt der Figuren bestimmt nicht sie allein, entscheidend ist, wie sauber oder schmutzig der Schnee ist.
Hoch oben im Himalaja ziehen seltsame Prozessionen von gebückt schreitenden Mönchen dahin. Bei näherer Betrachtung entpuppen sich diese, in weiße Gewänder gehüllten, mysteriösen Büßergestalten – die so genannten Penitentes, zu deutsch Büßerschnee – jedoch als mächtige Eissäulen von bis zu sechs Metern Höhe. Die geniale Künstlerin, die Sonne, schafft diese Formationen, indem sie strahlend weiße Gletscher und Schneefelder zum Schmelzen bringt.

An anderen Stellen brennt sie kleine Grübchen in den Schnee, die dem Inneren eines Eierkartons ähneln. Diese Mulden vertiefen sich rasch von selbst, indem die von den Seiten reflektierte Energie auf den Grund gelenkt wird.

Solche Ablationsstrukturen entstehen auf vielerlei Art und Weise. Ganz bedeutsam ist dabei Staub, der je nach Lage in unterschiedlichen Mengen herangeweht wird. Sind Gletscher oder Schneedecken von einem dünnen Staubfilm bedeckt, so können sich unter dem Einfluss der Sonne Netzwerke von dreckigen Erhöhungen in Gestalt eines Vieleckes mit sauberen Mulden in der Mitte bilden.

Lagert sich hingegen eine dicke Staubschicht auf Schneefeldern ab, können bis zu 85 Meter hohe Spitzen aus Schnee oder Eis in den Himmel aufragen. Während leicht schmutziger Schnee die Reflexionen des Sonnenlichts dämpft, mehr Energie absorbiert und dadurch schmilzt, kann eine dicke Staubschicht den Schnee jedoch abschirmen und den Schmelzprozess verlangsamen. Ob sich Grübchen bilden oder Eistürme und wie lange diese Strukturen existieren, ist somit von dem Staubgehalt des Schnees abhängig.

Nun entwickelte Meredith Betterton von der Havard University ein mathematisches Modell, mit dem sich die anfängliche Größe und Gestalt von Unregelmäßigkeiten abschätzen lässt, die sich auf einer annähernd ebenen Schneefläche unter dem Einfluss der Sonne ausbilden. In diesem Modell ist die Schmelzrate eine Funktion der Schmutzdicke: In sauberem Schnee weisen die sich selbst vertiefenden Senken eine charakteristische Größe auf, aus denen schließlich jene langlebige Büßerprozession wird.

Die vergänglichen Erhebungen – so sagt es das Modell voraus – erscheinen hingegen, wenn eine dünne Schmutzschicht die Reflexion des Sonnenlichtes unterdrückt und die erhöhte Absorption den Schmelzvorgang beschleunigt. Wenn der Schnee flüssig wird, sammelt sich der Staub auf den Graten an und dünnt sich in den Tälern aus. Als Ergebnis bilden sich die Erhebungen beständig neu, akkumulieren dünne Staubschichten und schmelzen wieder dahin.

Die Säulen, die von einem dicken Dreckmantel umhüllt sind, erscheinen dagegen markanter, denn hier ist der Schnee von dem erodierenden Sonnenlicht abgeschirmt. Die Wissenschaftlerin will nun ihr Modell im Labor mit künstlicher Beleuchtung überprüfen – eine zeitsparende Alternative zur Beobachtung in der rauhen Natur.

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