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Tagebuch: Die Welt zwischen Kunst und Simulation

Herbert W. Franke
Die Welt ist alles, was sich der Mensch darunter vorstellt – jedenfalls in den Romanen, die Herbert W. Franke über sie schreibt. Der 83-Jährige geht in seiner Ausstellung "Wanderer zwischen den Welten" im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) ständig über das hinaus, was sich dem Auge an der Oberfläche der Welt bietet. Es muss für den gelernten theoretischen Physiker eine ständige Provokation sein, wenn sich ihm etwas nicht sofort erschließt. Auf der unaufhörlichen Jagd nach dem Verborgenen und Neuen hat er sich eine Lebenskurve geschaffen, die ihresgleichen sucht.

Herbert W. Franke vor dem Bild einer Höhle | Franke untersuchte auch zahlreiche Höhlen – und sie faszinierten ihn als Orte, an denen noch niemand zuvor gewesen ist.
Die Ausstellung in Karlsruhe, durch die Franke persönlich führt, liefert dafür mehr Belege, als in zwei Stunden wirklich zu verkraften sind. Doch zunächst berichtet der Schriftsteller, Philosoph und Computerkünstler über seine Wege in die Sciencefiction, oder, wie diese nach dem letzten Weltkrieg noch hieß, in utopische oder Zukunftsromane. Wenn man, wie er damals, gerade in der Quantenphysik der Elektronenoptik promoviert, ist es ja schon ungewöhnlich, plötzlich SF-Kurzgeschichten zu verfassen. Doch der Verleger Goldmann verschaffte ihm schließlich den Schub in eine schriftstellerische Karriere, als Franke innerhalb von 14 Tagen ein ganzes SF-Buch fertigstellen sollte. Es gelang und erschien als "Der grüne Komet".

"Ich merkte bald, dass sich Konflikte der Zukunft am besten dadurch darstellen ließen, wenn man sie in eine dramatische Handlung einkleidet", sagt Franke bei seiner Lesung. Während ich dabei vor dem Autor und Forscher sitze, blicken mich von der Wand hinter ihm um die 50 Bücher an: neben Dutzenden von Sciencefiction-Romanen jede Menge Sachbücher über Chemie, Kryptographie, Höhlenforschung – bis hin zu Computergrafik und Computerkunst. Jedes dieser Themen wäre eine eigene Geschichte! So hat sich Franke schon früh um die Datierung von Höhlen verdient gemacht mit einem Verfahren, das noch immer in Gebrauch ist. Warum ausgerechnet Höhlen? "Wo sonst kann man Räume betreten, in denen vorher noch niemals ein Mensch gewesen ist?", fragt Franke zurück. Kein Wunder, dass er auch ein Buch über Höhlen auf dem Mars geschrieben hat.

Herbert W. Franke und Reinhard Breuer | Der 83-jährige Autor, Künstler und Physiker zusammen mit Reinhard Breuer von "Spektrum der Wissenschaft"
Das Neue und Verborgene! Wer kann noch ermessen, dass schon in den 1950er Jahren so etwas wie "bildgebende Systeme" existierten, mit denen sich wunderlichste und ästhetisch neue und aufregende Bilder erzeugen ließen. So zeigte die Karlsruher Ausstellung ein aus Pappe geschnittenes Stroboskop, das mit Fotografie geometrische Fantasiezeichnungen generieren ließ. Später erst kamen echte Oszillografen und dann die "Rechner" der Computersteinzeit hinzu, die Franke für das damals revolutionäre Genre der Computerkunst nutzte. Das war lange vor den Zeiten, als Apfelmännchen-Bildschirmschoner die PCs schmückten.

Dann führt uns der Altmeister durch seine Ausstellung und wir landen vor einem PC, auf dem seit dem Beginn der Ausstellung im Oktober letzten Jahres ein automatisches Programm läuft: Zeilenweise erneuert sich der Bildschirm mit Einsprengseln, plötzlich tauchen seltsame Figuren auf, Wolken explodieren und vergehen, verschieben sich, wandern, wechseln die Farben – und verschwinden wieder im Rauschen.

"Mein erstes Kunstwerk" ... | ... nennt Franke diese mit Schwarzlicht illuminierten, gespannten Schnüre. Es ist nämlich eine Wiederholung dessen, was er bereits als Zehnjähriger im Wohnzimmer seiner Eltern realisierte.
Diese Welt ist eine Zeile auf dem Bildschirm, die sich "nach unten" dynamisch fortsetzt. Es ist die Welt der Zellularautomaten, die Franke hier – in Anlehnung an John Horton Conways ("The Game of Life") und Stephen Wolframs Idee der Weltsimulation ("A New Kind of Science") – selbst programmiert hat, auf Basis von Pixel-Elementen, die sich durch Nachbarschaftsregeln steuern. Und, anders als Wolfram (dem Erfinder der berühmten "Mathematica"-Software), diesmal versetzt mit einem Zufallsrauschen. "In so einer Welt entsteht ständig Neues", erläutert Herbert W. Franke. "Niemals wiederholt sich etwas." Auch diese Ideen von simulierten Welten, in denen sich sogar neue Gesetze auftun, hat er natürlich längst in einem Buch ausgearbeitet ("Das P-Prinzip. Naturgesetze im Rechnenden Raum", 1995).

Zu Anfang der Führung gelangen wir in einen dunklen Raum. Darin sind verwirrend viele Schnüre gespannt, die magisch violett leuchten. Halb tastend und stolpernd hangeln wir uns durch die Düsternis wie Kinder (siehe Foto). Wir verlaufen uns, drehen uns im Dunkeln und blicken in fast ebenso dunkle Gesichter. Aha! UV-Licht! Die Schnüre sind, so verrät Franke, mit "Schwarzlicht" illuminiert, was mich an Jugenderfahrungen in Tanzdiskotheken erinnert.

Ist das Ganze ein Vexierspiel zur gezielten Desorientierung im Raum? Nein, es geht um Kindheit: "Es ist mein erstes Kunstwerk", berichtet Franke. "Als Zehnjähriger spannte ich im Wohnzimmer meiner Eltern die Wäscheleine so kompliziert wie möglich – das habe ich hier nur wiederholt." Die Eltern waren damals weniger begeistert. Doch wir, auf den Spuren des Wanderers, blicken in verrückte Welten und unbekannte Dimensionen.

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