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Gene und Umwelt arbeiten Hand in Hand

Epigenetik ist derzeit in aller Munde. Seit der Veröffentlichung der ersten kompletten menschlichen DNA-Sequenzen hat kaum ein Aspekt der modernen Biologie so viel Echo in der Öffentlichkeit gefunden. Die Hintergründe dieser Aufregung versuchen die beiden Biologen Peter Spork und Bernhard Kegel jeweils in einem Buch zu erklären. Zunächst einmal: Der Begriff Epigenetik wird unterschiedlich verwendet. Zum einen bezeichnet er den Weg, über den Erbinformationen in Eigenschaften eines Lebewesens übersetzt werden – also wie etwa Gene in Pflanzen die Blütenform erzeugen.

Epigenetik spielt hier die Rolle einer Stereoanlage, die aus einer CD erst die Musik hervorbringt. Zum anderen verstehen viele Forscher darunter ein Fachgebiet, das sich mit Informationen befasst, die nicht im DNA-Kode selbst stecken, aber trotzdem an die Nachkommen weitergegeben werden. Häufig handelt es sich dabei um Veränderungen der DNA, die erst auf Grund von Erfahrungen im Lauf des Lebens entstehen und bestimmte Teile des Erbguts stilllegen oder aktivieren.

Diese unterschiedlichen Ansätze spiegeln sich auch in den beiden Büchern wider. Wissenschaftsjournalist Spork orientiert sich eher an der ersten, der Romanautor Kegel an der zweiten Definition. Obwohl im Fokus unterschiedlich, widmen sich beide also zentralen Fragen der Biologie: Wie kann das gleiche Genom, das identisch in mehreren hundert Zelltypen komplexer Organismen vorliegt, deren unterschiedliche Formen, Größen und Funktionen erzeugen? Und können Umweltfaktoren beeinflussen, welche Gene in unseren Nachkommen aktiv sind?

Der Mensch ist kein Sklave seines Erbguts

Auch die Konzepte der beiden Bücher unterscheiden sich deutlich. Spork verwendet relativ wenig Platz darauf, seinen Lesern zu erklären, wie Forscher wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen. Er zeigt dafür an einer Vielzahl von Beispielen, wie wandlungsfähig genetische Programme sind und wie Umwelteinflüsse das Ablesen von Genen steuern können.

Der Biologe will so demonstrieren, dass wir nicht Sklaven unseres Erbguts sind, sondern über unser Verhalten und unsere Umwelt die Wirkung der Gene beeinflussen. Allerdings erweckt Spork dabei wiederholt den Eindruck, es sei eine neue Erkenntnis, dass nicht allein die Gene einer Zelle ihre Funktion bestimmen, sondern auch, wie sehr sie abgelesen werden. Doch das ist längst bekannt. Seit Jahrzehnten untersuchen Forscher, welche spezifischen Gene in welchen Zelltypen unter welchen Bedingungen aktiv sind.

Neu ist hingegen die Erkenntnis, wie wichtig bestimmte regulatorische Prozesse in der Epigenetik sind: So können etwa an die DNA angeheftete Methylgruppen Gene abschalten. Solche Vorgänge erklärt Spork in einem kurzen, aber ausgezeichneten Kapitel, das er unverständlicherweise mit dem Hinweis versehen hat, man könne es getrost überspringen. In einem weiteren Kapitel beschreibt der Autor, dass psychische Traumata die Genaktivität von Tieren durch epigenetische Veränderungen der DNA-Struktur beeinflussen können. Während er die zu Grunde liegenden Experimente leider nur kurz erläutert, verliert er sich in einem langen Exkurs über die Folgen von posttraumatischem Stress, Hunger und Vernachlässigung von Kindern. Dabei bleibt oft unklar, welche epigenetischen Mechanismen hier beteiligt sein könnten. Das hält Spork nicht davon ab, zu spekulieren, wie man diese mit Medikamenten beeinflussen könnte, um etwa eine Alternative zu Psychopharmaka zu entwickeln.

Bernhard Kegel baut sein Buch ganz anders auf. Zunächst vermittelt er ausführlich, wie Forscher ihre Erkenntnisse gewinnen. So beschreibt er etwa, wie die Fellfarbe bei genetisch identischen Mäusen vererbt wird. Der Biologe beginnt mit einer merkwürdigen Entdeckung von Mäusezüchtern: Das Fell ihrer Nager konnte auch dann wahlweise eine von zwei verschiedenen Farben annehmen, wenn sie genetisch nahezu identisch waren.

Kegel beschreibt akribisch, wie Forscher Substanzen in der Nahrung der Mäuse identifizierten, welche die Vererbung der Fellfarbe beeinflussen können, weist dabei aber auch auf sich widersprechende Ergebnisse hin. Die Stärke des Buchs ist, dass es den aktuellen Stand der Forschung detailliert und anhand von Beispielen erklärt. Die Leser bekommen einen guten Eindruck davon, wie man von einer ersten Beobachtung ausgehend alternative Erklärungen ausschließen kann, um letztlich epigenetische Mechanismen nachzuweisen.

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  • Quellen
Gehirn&Geist 5/2010

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