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Photomolekularer Effekt: Licht lässt Wasser verdunsten – ganz ohne Wärme

Offenbar sind einzelne Photonen in der Lage, Wassermoleküle in die Luft zu befördern. Das haben Forschende des MIT beobachtet – und in zahlreichen Experimenten überprüft. Möglicherweise lässt sich damit ein 80 Jahre altes Rätsel der Klimawissenschaft lösen.
Dunst liegt über einem See
Der photomolekulare Effekt tritt überall da auf, wo sichtbares Licht auf Wasser trifft. Damit sollte er in der Natur weit verbreitet sein – von der Wolkenbildung über Nebelfelder hin zu Ozeanen und der Transpiration von Pflanzen.

Manchmal wirkt Physik wahre Wunder. So auch in diesem Fall: Licht kann Wasser zwar nicht in Wein verwandeln, aber offenbar verschwinden lassen. Das hat ein Forscherteam am Massachusetts Institute of Technology (MIT) nun in einer Reihe von akribisch geplanten Experimenten beobachtet. Demnach ist nicht nur Wärme in der Lage, Wasser zum Verdunsten zu bringen; auch Photonen, die auf eine Fläche treffen, an der Luft und Wasser zusammenkommen, können Wassermoleküle herauslösen und in die Höhe treiben. Diesen photomolekularen Effekt, wie die Forschenden das Phänomen getauft haben, beschreiben sie ausführlich im Fachmagazin »PNAS«.

Die Verdunstung von Wasser ist allgegenwärtig, und wir Menschen beobachten und nutzen sie, seit es uns gibt. Angefangen vom Schweiß, der unseren Körper abkühlt, über den Tau, der in der Morgensonne verdampft, bis hin zur Dampfmaschine. Doch offenbar fehlte die ganze Zeit ein entscheidendes Puzzlestück, um den Prozess in Gänze wissenschaftlich zu verstehen.

Dass auch sichtbares Licht im Stande ist, Wasser verdunsten zu lassen, könnte in der Natur weit verbreitet sein und womöglich enorme Auswirkungen auf die Grundlagenforschung haben. Unter Umständen ließe sich damit etwa ein 80 Jahre altes Rätsel der Klimawissenschaft lösen. Messungen haben in der Vergangenheit mehrfach gezeigt, dass Wolken mehr Sonnenlicht absorbieren, als die herkömmliche Physik für möglich hält. Der photomolekulare Effekt könnte erklären, wie der sichtbare Teil des Sonnenlichts die Wolken zusätzlich zur Wärmestrahlung aufheizt und so die Wolkenbildung beeinflusst. Das wiederum hätte Folgen für die Berechnung der Auswirkungen des Klimawandels auf die Wolkendecke und den Niederschlag. Aber es sind auch neue industrielle Anwendungen auf Basis des Effekts denkbar wie beispielsweise solarbetriebene Trocknungsanlagen.

Mehr als 14 verschiedene Tests und Messungen

Die neue Arbeit baut auf Forschungsergebnissen aus dem Jahr 2023 auf. Damals hatte die Gruppe um Gang Chen, Professor für Energietechnik am MIT, den Effekt erstmals beobachtet und bereits beschrieben – allerdings nur unter sehr speziellen Bedingungen, nämlich auf der Oberfläche von speziell präparierten Hydrogelen. Jetzt zeigen die Forscher, dass das Hydrogel für den Prozess nicht notwendig ist; er tritt an jeder Wasseroberfläche auf, die Licht ausgesetzt ist, egal ob es sich um eine flache Oberfläche wie ein Gewässer oder eine gekrümmte Oberfläche wie Wasserdampf handelt.

Da der Effekt so unerwartet war, versuchte die Arbeitsgruppe, seine Existenz mit zahlreichen Experimenten zu beweisen. Insgesamt führte sie 14 verschiedene Tests und Messungen durch, um zu zeigen, dass Wasser tatsächlich auch unter völliger Abwesenheit von Wärme verdunstet. Ein Schlüsselindikator, der sich in verschiedenen Experimenten immer wieder zeigte, war, dass sich die über der Wasseroberfläche gemessene Lufttemperatur abkühlte, wenn das Wasser unter sichtbarem Licht aus einem Testbehälter zu verdampfen begann. Das zeige, so schreiben die Fachleute, dass Wärmeenergie nicht die treibende Kraft gewesen sein könne.

Die Experimente legen nahe, dass der Effekt dann am stärksten ist, wenn das Licht in einem Winkel von 45 Grad auf die Wasseroberfläche trifft. Auch ist er stärker, wenn die Photonen transversal-magnetisch polarisiert sind. Außerdem erreicht er seinen Höhepunkt bei grünem Licht – was merkwürdigerweise die Farbe ist, für die Wasser am transparentesten ist und mit der die Moleküle daher normalerweise am wenigsten wechselwirken.

»Wer hätte gedacht, dass wir immer noch etwas Neues über so alltägliche Phänomene wie die Verdunstung von Wasser lernen?«Shannon Yee, Professor für Maschinenbau

Der Name »photomolekularer Effekt« ist eine Analogie zum photoelektrischen Effekt , den Heinrich Hertz 1887 entdeckte und Albert Einstein 1905 erklärte. Der Effekt war einer der ersten Beweise dafür, dass Licht auch Teilcheneigenschaften hat. So wie der photoelektrische Effekt Elektronen aus den Atomen eines Materials herauslöst, wenn dieses von einem Photon getroffen wird, zeige der photomolekulare Effekt, dass Photonen ganze Moleküle einer Flüssigkeitsoberfläche freisetzen können, sagen die Forscher.

»Die Beobachtungen im Manuskript deuten auf einen neuen physikalischen Mechanismus hin, der unser Denken über die Kinetik der Verdunstung grundlegend verändert«, sagt auch Shannon Yee, ein Professor für Maschinenbau am Georgia Institute of Technology, der nicht an dieser Arbeit beteiligt war. »Wer hätte gedacht, dass wir immer noch etwas Neues über so alltägliche Phänomene wie die Verdunstung von Wasser lernen?«

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