Ein Affe namens Macbeth
Wenn Frau Antje aus Holland heimischen
Käse auftischt, enthält er
mehr Milchzucker als ein Käse, der beim
Griechen serviert wird. Das ist sinnvoll,
denn im Durchschnitt verstoffwechseln
Südeuropäer Milchzucker schlechter als
Holländer. Im Lauf der Evolution hat
sich ein Nord-Süd-Gefälle der genetisch
bedingten Laktoseintoleranz entwickelt:
Skandinavier vertragen Milchzucker besser
als Menschen in Afrika, wo ihn in
einigen
Gegenden nahezu niemand verwerten
kann. Die Menschen haben unbewusst
die Milchwirtschaft auf ihr genetisches
Profil abgestimmt. Die kulturelle
Evolution des Gehirns passt sich so der
biologischen des Genoms an.
Nach Ansicht des Evolutionsbiologen Wolfgang Wieser haben die Wissenschaften bislang den Beitrag des Gehirns zur menschlichen Entwicklungsgeschichte unterschätzt. Dabei sei es doch das Denkorgan, das dem Menschen ermögliche, sich auch kurzfristig an eine wechselnde Umgebung anzupassen. Mittlerweile werde die menschliche Evolution vor allem von kognitiven Fähigkeiten bestimmt. Deshalb fordert Wieser "ein neues Drehbuch für die Evolution". Mit diesem Ziel vor Augen erhebt der Autor den Anspruch, mit "Gehirn und Genom" die veraltete Evolutionstheorie auf den neuesten Stand zu bringen.
Auf den ersten Seiten ist ihm das geglückt, und auch zwischendurch darf der Leser oft staunen und schmunzeln. Eine der spannendsten, aber auch umstrittensten seiner Ideen beantwortet die Frage, warum der Neandertaler ausgestorben ist. Wieser erläutert dazu die Theorie des Sprachforschers Steven Mithen, wonach sich der Homo sapiens durchgesetzt habe, weil er ein ausbaufähiges Idiom beherrschte, während sein Verwandter nur eine rudimentäre Sprache besaß. Das fehlende Entwicklungspotenzial der Sprache hätte dem Neandertaler demnach langfristig das Leben so schwer gemacht, dass er schließlich ausstarb.
An anderer Stelle vergleicht Wieser Mensch und Tier – mit einem ernüchternden Ergebnis. Wie sehr sie sich im Verhalten ähneln, zeigen ihm zufolge die Machtkämpfe zwischen Schimpansen im Zoo oder zwischen Pavianen in der Savanne. Es genüge bereits, ihnen die Namen der Herrscher aus Shakespeares Königsdramen zu geben, und schon erschiene das Verhalten der Tiere so intrigant und grausam wie das von Macbeth.
Schöne Geschichten. Trotzdem stellt der Leser nach 285 Seiten fest, dass es nicht zu einem neuen Drehbuch der Evolution gereicht hat – bestenfalls zu einem Remake einer alten Idee. Warum ist Wieser damit gescheitert? Er präsentiert ein kulturelles Allerlei mit vielen unverbunden nebeneinanderstehenden Fassetten. Am Beispiel der Laktoseintoleranz zeigt er etwa, wie biologische und kulturelle Entwicklung miteinander verknüpft sind, doch gelingt es ihm nicht, das Phänomen in einem größeren Kontext zu deuten.
Außerdem kommt die Rolle des Gehirns zu kurz. Für die Evolution des Bewusstseins genügen Wieser ein paar Zeilen, seine neurologischen Betrachtungen bleiben diffus, wohingegen er altbekannten Zeugnissen früherer Kulturen viel Platz einräumt. Der spannende Versuch, die abstrakte Malerei des 20. Jahrhunderts mit Hilfe der neuronalen Verarbeitung von Sinneseindrücken zu deuten, wirkt verloren, weil die argumentative Einordnung fehlt. Das Buch bietet viele interessante Details, aber es fehlt ein geistiges Band, das sie fest miteinander verknüpft.
Nach Ansicht des Evolutionsbiologen Wolfgang Wieser haben die Wissenschaften bislang den Beitrag des Gehirns zur menschlichen Entwicklungsgeschichte unterschätzt. Dabei sei es doch das Denkorgan, das dem Menschen ermögliche, sich auch kurzfristig an eine wechselnde Umgebung anzupassen. Mittlerweile werde die menschliche Evolution vor allem von kognitiven Fähigkeiten bestimmt. Deshalb fordert Wieser "ein neues Drehbuch für die Evolution". Mit diesem Ziel vor Augen erhebt der Autor den Anspruch, mit "Gehirn und Genom" die veraltete Evolutionstheorie auf den neuesten Stand zu bringen.
Auf den ersten Seiten ist ihm das geglückt, und auch zwischendurch darf der Leser oft staunen und schmunzeln. Eine der spannendsten, aber auch umstrittensten seiner Ideen beantwortet die Frage, warum der Neandertaler ausgestorben ist. Wieser erläutert dazu die Theorie des Sprachforschers Steven Mithen, wonach sich der Homo sapiens durchgesetzt habe, weil er ein ausbaufähiges Idiom beherrschte, während sein Verwandter nur eine rudimentäre Sprache besaß. Das fehlende Entwicklungspotenzial der Sprache hätte dem Neandertaler demnach langfristig das Leben so schwer gemacht, dass er schließlich ausstarb.
An anderer Stelle vergleicht Wieser Mensch und Tier – mit einem ernüchternden Ergebnis. Wie sehr sie sich im Verhalten ähneln, zeigen ihm zufolge die Machtkämpfe zwischen Schimpansen im Zoo oder zwischen Pavianen in der Savanne. Es genüge bereits, ihnen die Namen der Herrscher aus Shakespeares Königsdramen zu geben, und schon erschiene das Verhalten der Tiere so intrigant und grausam wie das von Macbeth.
Schöne Geschichten. Trotzdem stellt der Leser nach 285 Seiten fest, dass es nicht zu einem neuen Drehbuch der Evolution gereicht hat – bestenfalls zu einem Remake einer alten Idee. Warum ist Wieser damit gescheitert? Er präsentiert ein kulturelles Allerlei mit vielen unverbunden nebeneinanderstehenden Fassetten. Am Beispiel der Laktoseintoleranz zeigt er etwa, wie biologische und kulturelle Entwicklung miteinander verknüpft sind, doch gelingt es ihm nicht, das Phänomen in einem größeren Kontext zu deuten.
Außerdem kommt die Rolle des Gehirns zu kurz. Für die Evolution des Bewusstseins genügen Wieser ein paar Zeilen, seine neurologischen Betrachtungen bleiben diffus, wohingegen er altbekannten Zeugnissen früherer Kulturen viel Platz einräumt. Der spannende Versuch, die abstrakte Malerei des 20. Jahrhunderts mit Hilfe der neuronalen Verarbeitung von Sinneseindrücken zu deuten, wirkt verloren, weil die argumentative Einordnung fehlt. Das Buch bietet viele interessante Details, aber es fehlt ein geistiges Band, das sie fest miteinander verknüpft.
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